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Literatur Warum die besten Krimis aus Schweden kommen

Seit Jahren boomt der skandinavische Krimi, allen voran der schwedische. Dank Autoren wie Henning Mankell oder Stieg Larsson geniesst das Land den Ruf, die besten Krimis der Welt zu liefern. Ausgerechnet einem unaufgeklärten Mord sei diese Entwicklung zu verdanken, meint Thriller-Autor Arne Dahl.

Die Menschen in Schweden fühlten sich sicher. In ihrem Land konnte sich ein Staatsoberhaupt problemlos ohne Leibwächter in der Öffentlichkeit bewegen, schwere Kriminalität fand anderswo statt. Aber der 28. Februar 1986 änderte diese Situation radikal: Ein bis heute unbekannter Täter erschoss auf offener Strasse den Ministerpräsidenten Olof Palme und versetzte das ganze Land in einen Schockzustand. «An diesem Tag haben wir unsere Unschuld verloren», sagt Arne Dahl, schwedischer Erfolgsautor. «Wir wurden quasi aus dem Paradies vertrieben.»

Arne-Dahl-Reihe

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Zwischen dem 28. März und dem 25. April zeigt SRF 1 die fünf ersten Arne-Dahl-Verfilmungen.

Eine Nation von Detektiven

In der Folge dominierte in Schweden jahrelang nur noch ein Gesprächsthema: der Mord an ihrem geliebten Politiker. Alle mutierten zu Detektiven und Kommissaren, vertraten eigene Thesen, wer diese Tat begangen haben könnte. «Denn unser Alltag war ja praktisch eine konstante Mordermittlung», erinnert Arne Dahl: «Die Polizei durchsuchte tausende von Wohnungen, holte unzählige Bürgerinnen und Bürger zum Verhör auf den Posten.» Damit war der Tisch gedeckt für den schwedischen Krimiboom: «Diese direkte Betroffenheit hat eine breite Sensibilität für das Genre ausgelöst und auch eine Neugier auf das Rätselhafte, das Unbegreifliche geweckt.»

Pionier Henning Mankell

Der erste Schwede, der mit seinen Wallander-Romanen dann international für Furore sorgte, war Henning Mankell. Nicht aus Zufall hiess sein erster Band «Mörder ohne Gesicht», betont Arne Dahl: «Er spielt damit auf den mysteriösen Todesschützen an».

Ein Mann mit graumellierten Haaren und um den Hals geschwungenen Schal blickt in die Kamera.
Legende: Arne Dahl, schwedischer Krimi-Autor: «Wir Schweden wurden aus dem Paradies vertrieben.» Wikimedia/Sara Arnald

Henning Mankell ist der Vater der neuen Krimi-Generation in Schweden, sagt Arne Dahl; «auch für mich war er ein grosses Vorbild, weil er uns zeigte, dass auch ein Krimi hochstehende Literatur sein kann. Und dass sich dieses Genre als sehr gute Plattform eignet, um gesellschaftskritische Fragen zu stellen und sie mit existentiellen Fragen zu verknüpfen.»

Sjöwall/Wahlöö

Bereits Mitte der 1960er-Jahre war das Schrifsteller-Paar Maj Sjöwall und Per Wahlöö in dieser Richtung unterwegs: In ihrem zehnbändigen Romanzyklus «Roman über ein Verbrechen» dokumentierten sie den Niedergang des schwedischen Wohlfahrtstaates. Damit waren die Weichen gestellt für eine drastische Politisierung des Krimigenres.

Henning Mankell nahm diese Tradition im Nachgang zum Palme-Mord wieder auf und drückte ihr seinen eigenen Stempel auf. «Danach war der schwedische Krimi thematisch lange Zeit von gesellschaftlichen Problemen beherrscht», sagt Arne Dahl. Erst Stieg Larsson habe dann 2005 dem Genre nochmals eine neue Dimension beigefügt mit seiner Millennium-Trilogie «Verblendung», «Verdammnis» und «Vergebung». Nicht nur waren seine Geschichten noch komplexer, sondern er nahm sich auch die Freiheit, zuweilen die Realität zu verlassen. «Seine Ermittlerin Lisbeth Salander hat ja schon fast übermenschliche Kräfte. Und ähnelt eher einer Comic-Figur.»

Verwässerung des Genres?

Längst ist der Krimi in Schweden – dank seiner hohen Qualität – zum Wirtschaftsfaktor geworden: Verlage reissen sich um neue Manuskripte, weil sie wissen, wie gut sich diese Bücher auch im Ausland verkaufen lassen. «So nehmen sie zum Teil Leute unter Vertrag, die weder ein schriftstellerisches Talent noch ein politisches Bewusstsein haben», kritisiert Arne Dahl.

Er glaubt, dass diese Entwicklung zum Eigentor werden könnte: Im Moment sei der schwedische – wie übrigens der skandinavische Krimi generell – auf dem besten Weg, zur «reinen Unterhaltungsliteratur» zu verkommen. «Ich befürchte, dass er dadurch seine Besonderheit verliert. Und in letzter Konsequenz auch – paradoxerweise – seinen kommerziellen Wert.»

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