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Jagd durch Europa - Warum Arno Frank ständig umziehen musste
Aus Kulturplatz vom 29.03.2017.
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Mein Vater, der Hochstapler «Was ich als Umzug wahrnahm, entpuppte sich als Flucht»

Er war mit seinen Eltern mehr als ein Jahre auf Achse, verfolgt von der Polizei. Arno Frank erlebte als Sohn eines Hochstaplers eine abenteuerliche Jugend – nun erzählt er darüber in seinem Debütroman.

SRF: «So, und jetzt kommst du» – was hat es mit dem Titel Ihres Buches auf sich?

Der Autor

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Arno Frank ist Journalist, u.a. für die «taz», den «Spiegel» und «Die Zeit». Sein erster Roman «So, und jetzt kommst du» beruht auf seiner Kindheit: 1971 geboren in Kaiserslautern, flieht Franks Familie in den 1980ern nach Frankreich – weil Interpol den kriminellen Vater sucht.

Arno Frank: Diese Floskel hat mein Vater häufig verwendet, um seinen Punkt zu machen, um alle möglichen Fragen abzublocken. Als Kind hat man darauf natürlich nicht viel zu entgegnen. Man bekommt nochmal bestätigt, was man schon weiss: Dass man nichts durchblickt im Leben.

Nicht durchgeblickt haben Sie auch, als Sie als 12-Jähriger Ihr Leben in Kaiserslautern schlagartig hinter sich lassen mussten und Ihre Famile über Nacht nach Südfrankreich zog. Was war das für ein Gefühl?

Das war natürlich aufregend, als 12-Jähriger in Aussicht gestellt zu bekommen, dass es in einen Urlaub geht, der überhaupt nie wieder aufhört.

Ein bisschen verwirrend vielleicht, aber sehr aufregend. Wir waren froh, das alles hinter uns zu lassen und in eine neue Welt aufzubrechen.

Diese Aufregung war am Anfang prägend, aber liess später wohl nach?

Genau. Südfrankreich war damals zwar noch glamourös und wunderschön. Man konnte da zauberhaft leben, in einer Villa mit Blick über Antibes und das Mittelmeer.

Aber irgendwann merkte ich, dass es das Geld überhaupt nicht gibt, um unseren Lebensstil zu bezahlen und dass meine Eltern auch keinen Plan hatten, wie es in Zukunft weitergehen könnte. Was ich als Umzug wahrgenommen hatte, entpuppte sich letztlich als Flucht.

Ihr Vater war ein Hochstapler, hatte mehrere 100'000 Mark unterschlagen. Wie viel haben Sie als Kind davon mitgekriegt?

Er arbeitete immer an Geschäften, die mir nebulös blieben. Mir war unklar, wie er sein Geld machte.

Klar war, er würde eines Tages sehr, sehr viel Geld verdienen. Mitten in der Nacht hiess es dann plötzlich, dass das geklappt habe und wir jetzt aufbrechen müssten und zwar auf der Stelle.

Wann wurde Ihnen die ganze Dimension der krummen Geschäfte Ihres Vaters bewusst?

Erst sehr spät. Man glaubt dem Vater, den Eltern, dass alles gut werde, und es schon nicht so schlimm sei, wie man vielleicht befürchtet.

Mir war unklar, wie mein Vater sein Geld machte. Die Geschäfte waren nebulös.

Hochstapler in der Literatur

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Erst in dem Moment, als die Polizei vor der Tür stand und mein Vater einen Zusammenbruch hatte, weil er keinen Ausweg mehr sah – erst da wurde mir klar, dass sie uns haben. Dass es keinen anderen Ausweg gibt, als sich zu stellen. Denn Interpol und die französische Gendarmerie waren meiner Familie auf den Fersen.

Hat diese Jugend auf der Flucht Ihre Persönlichkeit geprägt?

Ich habe heute noch grossen Respekt vor der Polizei. Mein Puls geht hoch, wenn ich sie sehe, auch bei Grenzkontrollen ist mir unwohl. Und ich fürchte mich vor Geld.

Ihr Vater büsste nach der Rückkehr nach Deutschland im Gefängnis für seine Taten. Wie war später der Kontakt zu ihm?

Ich habe ihn nie mehr gesehen. Es war seine Entscheidung – wie ja alles seine Entscheidung gewesen war – sich zu verflüchtigen. Sich in ein Gespenst zu verwandeln, wenn man so will.

Haben Sie darunter gelitten?

Für meine beiden jüngeren Geschwister und die Mutter war es nicht einfach. Aber es war auch erleichternd. Uns ging es ohne ihn besser.

War denn da nie Wut? Schliesslich hat er Sie gewissermassen um Ihre Jugend betrogen.

Ja, das stimmt schon. Ich brauchte auch mehrere Anläufe, um diese Geschichte niederzuschreiben. Mit 20 hätte sie ganz anders geklungen, mit 30 auch noch. Inzwischen ist sie von einem Trauma zu einem Thema geworden.

Inzwischen ist meine Geschichte von einem Trauma zu einem Thema geworden.

Humor braucht es dazu, denn das Leben hat alle möglichen Seiten. Es gibt daher im Buch auch die heiteren, lustigen, teilweise brüllend komischen Momente – Ernst und Komik liegen ja nah beieinander, so wie eben im Leben auch.

Buchhinweis

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Arno Frank: «So, und jetzt kommst du». Klett-Cotta 2017. Hier gibt's eine Leseprobe.

Gibt es etwas, das Sie aus dieser aussergewöhnlichen Erfahrung für heute mitnehmen?

Vielleicht etwas, das mir auch als Journalist hilft: ein gesundes Misstrauen. Wenn es heisst, die Dinge seien so, wie sie sind, dann glaube ich dies oft nicht.

Das war eine Erfahrung in meiner Kindheit: Was die Eltern erzählten, stimmte einfach nicht. Dahinter taten sich ganz andere Dinge auf. Ich habe dadurch aber auch gelernt, dass es im Endeffekt nicht so schlimm ist.

Das Gespräch führte Richard Herold.

Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 29. März 2017, 22:25 Uhr

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