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Holocaust auf Instagram Wie schön darf Auschwitz sein?

Die Auschwitz Gedenkstätte betreibt einen Instagram-Account – kann das gut gehen? «Bildung durch Bilder ist unser Ziel», rechtfertigt sich der Social-Media-Verantwortliche.

SRF: Instagram ist die Plattform für Ferienfotos, für Lifestyle, für die perfekte Selbstinszenierung. Was hat Auschwitz hier verloren?

Zur Person

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Pawel Sawicki (37) ist ausgebildeter Journalist und Fotograf. Seit über zehn Jahren arbeitet er beim Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, wo er 2009 den Start der Social-Media-Aktivitäten begleitete. Heute ist er verantwortlich für die Inhalte der offiziellen Social-Media-Kanäle der Gedenkstätte:

Pawel Sawicki: Das war die grosse Herausforderung, als wir unsere Social-Media-Präsenz ganz generell gestartet haben. Uns war bewusst, dass unsere Posts neben Ferienfotos, Lifestyle-Bildern und witzigen Videos stehen werden.

Deshalb haben wir in einem unserer ersten Facebook-Posts die User direkt gefragt: Was denkt ihr – ist es richtig, dass wir in den Sozialen Medien präsent sind?

Wie waren die Reaktionen?

Überraschend positiv. Wir wären auch bereit gewesen, einen Rückzieher zu machen. Aber die Leute nahmen unser Vorhaben in Schutz: Sie meinten, dass sie ja selbst bestimmen könnten, wem sie folgen wollen.

Das Bedürfnis jedenfalls ist da: Alleine auf Instagram haben Sie fast 30'000 Follower.

Und wenn Sie nach #Auschwitz suchen, finden Sie mehr als 250'000 Fotos. Für all diese Leute ist es wichtig, dass sie uns besucht haben – und dass sie ihre Bilder und Emotionen irgendwo deponieren können.

Die Frage ist nur: Ist Instagram dafür die richtige Plattform?

Für Instagram gilt das gleiche wie für unsere Facebook- oder Twitter-Präsenz auch: Es ist für uns zu einem wichtigen Bildungsinstrument geworden. So publizieren wir auf Instagram nicht nur eigene Bilder. Meist reposten wir Fotos von Besuchern und ergänzen sie mit historischen Hintergründen zum Sujet – mal kürzer, mal sehr ausführlich.

Instagram dient uns also in erster Linie dazu, die Leute aufzuklären. Bildung durch Bilder – das ist unser Ziel.

Dem widerspricht, dass die Bilder in Ihrem Instagram-Feed zum Teil stark bearbeitet sind. Manche wirken wie Touristen-Fotos. Wie schön darf Auschwitz sein?

Vorab darf man eines nicht vergessen: Die ikonischen Bilder aus Auschwitz sind zwar schwarz-weiss – aber Menschen wurden auch bei Sonnenschein umgebracht. Wenn ich Bilder für unseren Feed auswähle, steht für mich die Motivation des Fotografen im Vordergrund: Warum war dem Besucher gerade dieses Bild wichtig, warum gerade dieses Sujet?

Instagram dient uns in erster Linie dazu, die Leute aufzuklären.

Das sind die wichtigen Fragen, wenn es darum geht, der Geschichte zu gedenken. Es wäre falsch, sich nur auf den visuellen Aspekt der Fotografie zu konzentrieren.

Dennoch unterwerfen Sie sich der Instagram-Ästhetik. Verlieren die Bilder nicht an Dringlichkeit, wenn sie mittels Filter aufgehübscht und dadurch leichter konsumierbar werden?

Wir müssen akzeptieren, dass Filter auf Instagram dazugehören. Klar haben wir Grenzen: Wir posten keine Bilder, die extrem nachbearbeitet sind und dadurch die Geschichte verzerren. Oder solche, auf denen nachträglich Dinge hinzufügt wurden.

Die ikonischen Bilder aus Auschwitz sind zwar schwarz-weiss – aber Menschen wurden auch bei Sonnenschein umgebracht.

Aber wir wollen eben auch zeigen, wie die Leute Auschwitz interpretieren. Gerade weil Instagram ein «soziales Medium» ist, können wir sehen, wie unterschiedlich die Besucher Auschwitz wahrnehmen. Und wie unterschiedlich das Gedenken an einen Ort letztlich aussehen kann.

Ein Selfie aus Auschwitz – also kein Problem?

Sie spielen auf das Selfie eines Teenagers an, das 2014 weltweit für Schlagzeilen sorgte.

Genau – das Bild sorgte damals für grossen Wirbel in den Sozialen Medien. Verstehen Sie diese Entrüstung?

Screenshot

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Wir sprechen über aktuelle Geschichten und Debatten im Internet. Von Montag bis Donnerstag um 17.40 Uhr in der Rubrik «Screenshot» bei Radio SRF 2 Kultur.

Selfies sind nicht grundsätzlich respektlos – sie gehören zur Bildsprache der heutigen Zeit. Auch bei diesen Bildern frage ich mich immer: Was ist die Motivation dahinter? Oft sind Selfies voller Emotionen. Sie sprechen vom Willen, mit der eigenen Präsenz der Geschichte zu gedenken. Das gilt selbst für das berühmte Selfie, das viele empörte: Dahinter steckt eine sehr emotionale Geschichte.

Trotzdem verzichten Sie darauf, Selfies zu reposten oder zu liken, wie Sie dies bei anderen Bildern tun.

Wir wissen, dass Selfies für manche Follower «too much» sind, eine Grenze überschreiten.

Und wenn Ihre eigene Grenze überschritten wird – wie reagieren Sie?

Das braucht Fingerspitzengefühl. Vor ein paar Jahren haben wir zum Beispiel versucht, respektlose Bilder öffentlich mit den Usern zu diskutieren – das funktionierte nicht. Die Welle von hasserfüllten Kommentaren war zum Teil viel schlimmer als der ursprüngliche Post.

Heute sind wir zurückhaltender und versuchen, nicht öffentlich mit dem Finger auf andere zu zeigen. Bei wirklich unangemessenen Bildern versuche ich, mit den Usern zu sprechen. Manche löschen dann ihre Bilder. Wir verstehen uns als Wächter der Geschichte und der Würde der Auschwitz-Opfer – da haben wir jedes Recht zu reagieren, wenn User Grenzen überschreiten.

Das Gespräch führte Christian Schaub.

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