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Anschläge von Oslo und Utoya jähren sich zum achten Mal
Aus SRF 4 News aktuell vom 22.07.2019.
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Acht Jahre nach Utoya «Der erste Gedenktag, der ohne Breivik stattfindet»

Acht Jahre ist es her, dass in Norwegen der Rechtsextreme Anders Behring Breivik 77 Menschen tötete. Acht von ihnen kamen bei einem Bombenanschlag im Zentrum Oslos ums Leben, 69 durch Schüsse auf der Ferieninsel Utoya. Heute gedenken die Norwegerinnen und Norweger der Opfer. Das tue weh, sei aber nötig, glaubt Korrespondent Bruno Kaufmann.

Bruno Kaufmann

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Mitarbeiter

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

SRF News: Der Gedenktag spielt in Norwegen eine wichtige Rolle. Warum?

Bruno Kaufmann: Dieser politisch motivierte Massenmord vom 22. Juli 2011 ist ein Einschnitt, der Norwegen so stark verändert hat, dass es am Jahrestag immer noch angebracht scheint, sich mit den Folgen der Tat zu befassen.

Ist das auch im Sinne der Menschen im Land?

Viele Norwegerinnen und Norweger möchten dieses Kapitel jetzt endlich abschliessen. Aber den meisten ist sicher bewusst, dass dieser Einschnitt nicht einfach vergessen werden kann. Der diesjährige Jahrestag ist zudem besonders, weil der Attentäter selbst erstmals nicht mehr in einem juristischen Prozess steckt und sich und seine Thesen dabei präsentieren kann. Es ist also der erste Gedenktag, der ohne ihn stattfindet.

Gefahr für die Allgemeinheit

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Anders Behring Breivik, der seinen Namen mittlerweile in Fjotolf Hansen änderte, wurde im August 2012, gut ein Jahr nach seiner Tat, zur Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis verurteilt. Diese Strafe kann auf unbestimmte Zeit verlängert werden, solange er weiter als Gefahr für die Allgemeinheit eingeschätzt wird. Der rechtsextreme Massenmörder zog wegen seiner Haftbedingungen – er sitzt in Isolationshaft – vor Gericht, unterlag mit seiner Beschwerde aber im Sommer 2018 vor dem Menschenrechtsgericht in Strassburg, das seine Klage abwies.

Wieso ist das Regierungsgebäude in Oslo, das bei dem Bombenanschlag zerstört wurde, bis heute nicht wieder aufgebaut worden?

Der Schock sitzt immer noch tief, dass Breivik damals einfach ohne Kontrolle einen Lieferwagen mit der riesigen Bombe vor das Büro des Ministerpräsidenten stellen konnte. Man wollte das Gebäude in eine Festung umwandeln. Dagegen gab es aber Proteste. Deshalb diskutiert man bis heute, wie dieser symbolträchtige Teil Oslos wieder aufgebaut werden soll.

Die Jugendlager auf Utoya werden jetzt zwar wieder durchgeführt. Sie müssen aber von der Polizei bewacht werden.

Es gibt Filme, Theaterstücke und ein Museum zum Thema. Welche Rolle spielt die kulturelle Aufarbeitung?

Sie spielt eine Rolle, ist aber auch sehr umstritten, weil man einerseits diese brutale Realität der Anschläge sieht, auf der anderen Seite aber auch den Versuch Kulturschaffender, eine Fiktion daraus zu machen. Je realistischer die Tat in Filmen und in Theaterstücken gezeigt wird, desto grösser ist die Opposition der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden.

Breivik bekommt immer noch Hunderte Unterstützerbriefe pro Jahr. Überlebende erhalten Drohbriefe.

Es gibt einen Versuch der Überlebenden selbst, das Erlebte in einem Theaterstück nachzuspielen. Das wird sicher besser akzeptiert, als wenn sich Fremde an den Stoff machen – vor allem ausländische Regisseure.

Die Sozialdemokraten führen ihr Sommerlager auf der Insel Utoya seit 2015 wieder durch. Ist das Trauma inzwischen überwunden?

Nein, aber das Ganze hat politisch viel ausgelöst. So hat zum Beispiel die Jugendorganisation der Sozialdemokraten sehr viele neue Mitglieder bekommen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch extreme Kräfte, die durch das Attentat politisiert wurden. Breivik bekommt immer noch Hunderte Unterstützerbriefe pro Jahr. Überlebende erhalten Drohbriefe. Es ist etwas, was die Menschen bewegt. Die Jugendlager werden zwar wieder durchgeführt. Sie müssen aber von der Polizei bewacht werden.

Gibt es ein Norwegen vor dem 22. Juli 2011 und eines danach?

So ist es. Es ist ein Norwegen, das reifer geworden ist, abgeklärter, das gesehen hat, dass seine Demokratie stark dasteht. Ich würde sagen, der 22. Juli ist für Norwegen eine Art Spiegel mit einer brutal grossen Tiefenschärfe. Er zeigt das Schlimmste aus Hass und Gewalt, aber auch das beste des Landes; den Zusammenhalt und die Widerstandskraft.

Statt diesen Spiegel einfach wegzustellen oder ihn zu zerschlagen, hat Norwegen entschieden, in diesen Spiegel hineinzublicken.

Es ist letztlich ein unbequemer Spiegel. Aber statt ihn einfach wegzustellen oder ihn zu zerschlagen, hat Norwegen entschieden, in ihn hineinzublicken – ganz besonders an einem Gedenktag wie dem heutigen.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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