Die Anschläge von Paris
Die Anschläge überraschen, aber dann auch wieder nicht
Das Ausmass der Anschläge war für die Teilnehmer der Gesprächsrunde der Tagesschau Sondersendung überraschend. «Man musste aber etwas erwarten», meinte der Publizist und Frankreich-Experte Peter Rothenbühler. Die Aktion sei koordiniert gewesen. Er erinnerte an den Abschuss des Flugzeugs über der Sinai-Halbinsel und die Anschläge in Beirut. «Paris ist gefährdet, weil sich Frankreich seit einiger Zeit sehr stark gegen den Islamischen Staat in Syrien engagiert.» Islamwissenschaftler Reinhard Schulze zeigte sich überrascht, dass die Anschläge jetzt in Paris stattfänden. Jetzt hätten wir es mit Attentaten zu tun, die auf die laut den Attentätern lasterhafte Gesellschaft insgesamt zielen würde. Die Gesellschaft als Ganzes sei schuldig. «Bei solchen Attentaten ist man immer überrascht,» erklärt der Leiter der Auslandredaktion bei der SRF-Tagesschau, Antonio Antoniazzi. Die schnelle Kadenz der Anschläge und auch der Ermittlungserfolge deuteten eindeutig auf etwas Grösseres hin, so Antoniazzi weiter. Sicherheitsexperte Kurt Spillmann erklärt, dass vor allem die Technik der Weiterleitung der relevanten Nachrichten an die Entscheidungsträger versagt hätten. «Ich nenne das den Pearl-Harbour-Effekt.»
Rothenbühler: «Es ist ein Krieg!»
«Es ist auch ein grosses Problem der Einstellung. Die Schiiten und Sunniten haben uns schon vor Jahren den Krieg erklärt», erklärt der Publizist Rothenbühler. Sie hätten immer gesagt, sie würden sich für die Kreuzzüge rächen. «Wir werden uns rächen, weil ihr Israel unterstützt», betont der Frankreich-Kenner weiter. Die Subkultur in Frankreich sei antisemitisch. Jetzt habe man Jagd auf unsere Kultur gemacht. Das sei eine Strategie, die vor Jahren geplant wurde. «Es ist ein Krieg!»
Schulze: «Das Teuflische der westlichen Welt wird angegriffen»
«Natürlich wählt auch der Islamische Staat seine Ziele spektakulär aus», erklärt Islam-Experte Schulze die Tatsache, dass die meisten Tote bei einem Konzert einer amerikanischen Rock-Band zu beklagen ist. Viel wichtiger sei der symbolische Gehalt. Hier werde eigentlich das Teuflische der westlichen Welt angegriffen. Das grösste Interesse, dass der französische Präsident François Hollande den Islamismus bekämpft, hätten die integrierten Muslime, sagt der Publizist Peter Rothenbühler. «Und diese leiden jetzt darunter, dass man jetzt eine allgemeine Islamophobie betreibt.» Das strategische Ziel sei es gewesen, die Gesellschaft insgesamt zu erschüttern, erklärt wiederum Sicherheitsexperte Kurt Spillmann.
Taugen die neuen Sicherheitsvorkehrungen nach Charlie Hebdo?
Die Attentäter, welche sich vor dem Fussball-Stadion in die Luft gesprengt haben, wollten sicher viele Personen vor den Augen von Präsident Hollande und dem deutschen Aussenminister Frank-Walter Steinmeier mit in den Tod reissen, erklärt Rothenbühler. Dennoch ist Rothenbühler überzeugt, dass die neuen Sicherheitsvorkehrungen, welche Frankreich ergriffen hat, nicht funktionieren würden.
Die offene Gesellschaft hat Schwachstellen
«Es ist viel gemacht worden», betont Spillmann. Man könne aber nicht alles lückenlos abdecken. Aber wenn eben jemand die Schwachstellen ausspähe, dann könne er wissen, da und dort könne man ohne Kontrolle reinkommen. «Unsere offen Gesellschaft, alle Staaten, haben hunderterlei solcher Schwachstellen.» Solche Präsenzmassnahmen seien jedoch nicht nur auf polizeilicher Ebene zu führen, meint wiederum der Islamwissenschaftler Schulze. «Sie brauchen gerade dafür die Kooperation mit den Moscheen-Gemeinden und den muslimischen Verbänden», so Schulze weiter.
Paris ist ein guter Humus für solche Attentate»
Es sei ein Ding der Unmöglichkeit, so viele Personen zu überwachen, gibt wiederum Leiter der Auslandredaktion Antoniazzi zu bedenken. Vom Staat erwarte man das aber. «Aber: neben der grossen Symbolik dieser ausgesuchten Attentatsorte, spielt vielleicht auch eine Rolle, dass der Humus in Paris, in Frankreich ein besserer ist, als an anderen Orten», erklärt Antoniazzi.
Der IS wird weiter machen
«Meine Antwort ist leider ja», sagt Spillmann auf die Frage, ob man weiter mit Anschlägen rechnen muss. Aber der IS habe diese Ereigniskette in Paris deutlich als Stärkung interpretiert und leider werde diese Organisation davon ableiten: «Jetzt gehen wir auf diesem Weg weiter.» Der IS wolle diese Gesellschaft verunsichern und diese westliche, sündige Gesellschaft im Grund erschüttern. Der IS sei viel straffer organisiert, als Al-Kaida, betont wiederum Antionazzi. «Diese Erfolge in Anführungszeichen des IS stärken die Organisation auf jeden Fall», urteilt der Ausland-Chef der Tagesschau.
Der IS ist nicht gleich Al-Kaida
Al-Kaida habe immer deutlich gemacht, dass ihr Feind der Westen sei, weist Schulze darauf hin. Der IS habe sich ganz deutlich von dieser Strategie abgesetzt. Der IS hingegen konzentriert sich darauf einen eigenen Staat zu errichten.
Die Gesellschaft soll zum Kippen gebracht werden
«Deutschland müsste Lektionen aus dem totalen Versagen Frankreichs bei der Integration ziehen», fordert der Publizist Rothenbühler. Es sei ein quantitatives Problem. Von einem gewissen Punkt würden die Flüchtlinge eigene Gemeinschaften bilden. Es entstehen so genannte Parallelwelten. Es sei die Absicht der Islamisten, die Gesellschaft zum Kippen zu bringen. Das müsse man einfach sehen, da sei man nicht ein böser Islamophob.
Der IS führt Krieg und die Menschen sind bereit zu sterben
«Man muss versuchen kühlen Kopf bewahren, es werden aber bestimmt wieder Attentate auf uns zukommen», bedauert Antoniazzi. Der Feind sei identifiziert, betont wiederum Rothenbühler. «Der Feind führt Krieg und Menschen sind bereit zu sterben und auf unserer Seite ist niemand dazu bereit.» Wenn diese Polarisierung so weitergeführt werde, dann sei das genau dies, was der IS möchte, wirft Schulze ein. Es sei wichtiger: Wie verhindern wir, in diese Falle des IS zu treten, denn der IS wolle Krieg im eigenen Land. Kurt Spillmann appellierte wiederum dafür, Allianzen gegen den IS zu schmieden.
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