Zum Inhalt springen

Header

Bild von Reto Rufer
Legende: Reto Rufer arbeitet bei der Schweizer Sektion von Amnesty International. Er ist unter anderem für Nordkorea zuständig. PD
Inhalt

Gefangene in Nordkorea «Ausländer werden als Druckmittel festgehalten»

Nach dem Tod des US-Bürgers Otto Warmbier stehen die Straflager Nordkoreas im Fokus. Folter, Hunger und Zwangsarbeit gehören zur Tagesordnung. Ob dies auch für inhaftierte Ausländer gilt, erklärt Reto Rufer von Amnesty International im Interview.

SRF News: Erst gestern wurde bekannt, dass der US-Student Otto Warmbier nach seiner Entlassung aus der Haft in Nordkorea gestorben ist. Wie muss man sich die Situation in einem solchen Gefangenenlager vorstellen?

Reto Rufer: Über den konkreten Fall des US-Studenten wissen wir nicht viel. Über die Straflager, wo politische Häftlinge – aber nicht Ausländer – inhaftiert sind, gibt es immerhin einige Informationen. Diese stammen von Ex-Häftlingen sowie weitere Kenntnisse aus der Auswertung von Satellitenbildern.

Was weiss man darüber?

In diesen Gefangenenlagern leiden die Häftlinge an Hunger, müssen extrem harte Zwangsarbeit leisten. Schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Exekutionen für geringe Regelübertretungen gehören zur Tagesordnung.

Die politischen Häftlinge werden in riesigen Lagern festgehalten, die extrem abgeschirmt sind. Seit Jahrzehnten erhielten weder Angehörige von Häftlingen noch unabhängige Personen Zutritt zu diesen Gefangenenlagern. Das grösste Straflager in Hwasong, offizieller Name Kwan-li-so (Straflager) Nr. 16, hat eine Gesamtfläche von über 500 Quadratkilometern. Insgesamt wissen wir von vier Lagern für politische Häftlinge.

Weiss man denn, wie viele Personen sich in den Straflagern befinden?

Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber Amnesty International und die UNO gehen von etwa 120‘000 politischen Häftlingen aus. Dazu gehören auch Angehörige, Verwandte und Nachkommen eines politischen Häftlings. Damit wird klar: Nordkoreas Diktatur wendet das Prinzip der Sippenhaft an. Zudem gibt es auch Berichte, wonach Kinder in diesen Lagern zur Welt gekommen sind und dort ohne Chance auf Entlassung aufwachsen.

Die Ausländer werden von den nordkoreanischen Häftlingen getrennt.
Autor: Reto RuferVerantwortlich für Nordkorea bei Amnesty Schweiz

Weiss man, wie viele Ausländer ungefähr in Haft sind?

Auch hier gibt es keine genauen Zahlen. Amnesty International weiss von insgesamt fünf Fällen. Dabei handelt es sich um einen Amerikaner, einen Kanadier sowie drei Südkoreaner.

Werden Ausländer strenger behandelt?

Die Ausländer werden von den nordkoreanischen Häftlingen getrennt. Sie werden nicht in einem der grossen Straflager inhaftiert. Meist werden sie in Isolationshaft in einem Haus gesetzt. Zumindest der kanadische Pfarrer war / ist zeitweise auch in einem Arbeitslager. Sehr wahrscheinlich werden diese Gefangenen zumeist nicht misshandelt.

Die Flucht nach China ist Grund, um in einem Straflager zu enden.
Autor: Reto RuferVerantwortlich für Nordkorea bei Amnesty Schweiz

Benutzt Nordkorea ausländische Gefangene als Druckmittel?

Ja, das ist wohl der Hauptgrund, warum Ausländer unter fadenscheinigen Gründen in Haft genommen werden. Dass vor allem US-Bürger und Südkoreaner festgehalten werden, ist kaum Zufall. So bestehen ja jeweils Spannungen zwischen Südkorea und den USA mit Nordkorea.

Die Gefangennahmen sind einerseits eine Art politische Reaktion, aber die Gefangenen werden andererseits auch als Faustpfand missbraucht, um die USA oder Südkorea zu politischen oder wirtschaftlichen Konzessionen zu bewegen. Darüber, ob und zu welchen Konzessionen es in der Vergangenheit in derartigen Fällen kam, wurde nichts bekannt.

15 Monate im Koma

Der 22-jährige Student Otto Warmbier war in Nordkorea zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Grund: Er hatte angeblich ein Propaganda-Plakat gestohlen. Nach 17 Monaten Haft wurde Warmbier vergangene Woche freigelassen. Nach Darstellung von Ärzten hatte er während seiner Zeit in Nordkorea schwere Schädigungen am Gehirn erlitten und war im Wachkoma liegend in die USA zurückgebracht worden.
Warmbier konnte zwar die Augen öffnen und blinzeln, es gab aber keine Anzeichen, dass er auf Sprache oder Aufforderungen reagieren konnte. Die Eltern erfuhren eine Woche vor der Rückkehr, dass ihr Sohn seit fast 15 Monaten im Koma lag. Die Begründung der nordkoreanischen Seite, er sei an Botulismus (Fleischvergiftung) erkrankt und nach Einnahme einer Schlaftablette nicht mehr aufgewacht, halten sie für nicht glaubwürdig. Warmbier ist gestern gestorben.

Welche «Straftaten» führen zu einer Verurteilung zur Arbeit im Straflager?

Dazu reicht der «Tatbestand» der Subversion, jegliche Art von Opposition oder Verwandtschaft mit einem bereits inhaftierten politischen Häftling reicht. Aber auch die Flucht nach China ist Grund, um in einem Straflager zu enden.

Die Behörden verurteilen Menschen – darunter auch Ausländer – zu langjährigen Haftstrafen nach unfairen Prozessen. So wurde beispielsweise der US-Student Otto Warmbier wegen «Subversion» verhaftet. Er hatte im Prozess «gestanden», ein Propaganda-Plakat abgerissen zu haben.

Kim Kong-Chul, ein US-Bürger, der in Südkorea geboren wurde, wurde im April 2017 wegen «Spionage» zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Auffällig ist der Zeitpunkt der Verurteilung. Denn zuvor hatte die UNO neue Sanktionen gegen die Diktatur in Nordkorea verhängt. Zudem stand unmittelbar der nordkoreanische Parteikongress im Mai bevor. Ein Zeitpunkt, zu dem Nordkorea im internationalen Rampenlicht stand.

Video
US-Student Otto Warmbier ist tot
Aus SRF News vom 20.06.2017.
abspielen. Laufzeit 32 Sekunden.

Zum Schluss: Bestehen Hoffnungen, dass sich die Situation in diesen Straflagern ändert?

Auch die Diktatur in Nordkorea wird nicht ewig Bestand haben. Allerdings gibt es – trotz gewisser wirtschaftlicher Öffnungen in letzter Zeit – keine konkreten Anzeichen dafür, dass sich die Lage in den Straflagern demnächst ändern soll oder die Lager gar aufgelöst werden. Das darf aber kein Grund sein, nicht immer wieder zu versuchen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu benennen und zu dokumentieren.

Das Gespräch führte Richard Müller.

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel