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Deutschland und die Türkei bewegen sich aufeinander zu
Aus Echo der Zeit vom 06.01.2018. Bild: Keystone
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Beziehung Deutschland–Türkei Deutschland und die Türkei bewegen sich aufeinander zu

Die Türkei wirbt auffallend um Goodwill in Frankreich und Deutschland. Hintergründe zur Charme-Offensive von SRF-Korrespondent Peter Voegeli in Berlin und Journalistin Inga Rogg in Istanbul.

In die schwer belastete Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei kommt Bewegung. Am Freitag besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron in Paris.

Am Samstagmorgen trafen sich auch der deutsche und türkische Aussenminister, Sigmar Gabriel und Mevlüt Cavusoglu, in Goslar. Gabriel sprach dabei von «meinem Freund», sein türkischer Amtskollege vom «lieben Gabriel».

Die Charme-Offensive aus deutscher Sicht

Wie kann diese medial inszenierte Charme-Offensive interpretiert werden?

Peter Voegeli

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Peter Voegeli ist seit Sommer 2015 SRF-Korrespondent in Deutschland. Er arbeitet seit 2005 für Radio SRF, zunächst als USA-Korrespondent, danach als Moderator beim «Echo der Zeit».

Peter Voegeli: Aus deutscher Sicht ist die Türkei ein wichtiger Eckstein in der strategischen Partnerschaft, etwa als Südostflanke der Nato, als Bremse der Flüchtlingsströme und im Kampf gegen den IS.

In solchen strategischen Kategorien denkt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD). Ein wichtiges historisches Detail: Auch die SPD hat schon im Kalten Krieg auf einen guten Dialog mit der Sowjetunion gesetzt. Dieses Aufeinanderzugehen von Regierungen und die Pflege guter Beziehungen verbessern die Verhältnisse – das steht in einer langen Tradition sozialdemokratischer Aussenpolitik.

Warum kommen diese harmonischen Töne gerade jetzt wieder?

Aussenminister Gabriel war Ende letzten Jahres im Wahlkreis des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu in Antalya eingeladen. Heute kam es zum Gegenbesuch in Goslar. Das sind symbolische Schritte aufeinander zu. Beide Seiten haben ein Interesse, gut miteinander auszukommen, trotz der Meinungsverschiedenheiten.

Mevlüt Cavusoglu schrieb vor dem Besuch in einem Gastkommentar von «Freundschaft, Zusammenarbeit und Neustart». Was soll «neu gestartet» werden?

Im Prinzip alles. Denn das zerrüttete Verhältnis, das beiden Seiten schadet, soll verbessert werden. Es leben ja auch 2,9 Millionen Menschen mit türkischem Hintergrund in Deutschland. Aber man kann sich fragen, ob Deutschland nicht schon früher mit Hinweisen auf die Wirtschaft hätte reagieren sollen, um die Emotionen des türkischen Präsidenten abzukühlen. Die Wirtschaft ist ein starkes Drohmittel, denkt man etwa an deutsche Touristen in der Türkei. Oder an den Technologiekonzern Bosch, der in der Türkei allein zwei Prozent der türkischen Exporte generiert.

Ein wichtiges Thema in den Beziehungen sind auch die sieben in der Türkei inhaftierten Deutschen. Kann sich die Lage entspannen, solange diese in Haft sitzen?

Die Freilassung ist sicher eine Voraussetzung. In Deutschland herrscht die Meinung, dass der Journalist Deniz Yücel eine türkische Geisel ist. Präsident Erdogan benutzt diesen Journalisten als Pfand. Und es gab auch Berichte, dass die Türkei einen Tausch angeboten habe. Aus deutscher Sicht muss Yücel einen fairen Prozess erhalten, der eigentlich nur in einem Freispruch enden kann.

Gabriel hat in einem «Spiegel»-Interview gesagt, er verknüpfe die Wiederaufnahme der Lieferung von deutschen Rüstungsgütern an die Türkei mit der Freilassung des deutschen Journalisten. Ist das denkbar?

Aus deutscher Sicht kann das so nicht geschehen. Wenn Deniz Yücel freigelassen wird und die Restriktionen bei Rüstungsexporten aufgehoben werden, ist es aus türkischer Sicht aber genau das. Gabriel hat auch gesagt, die Türkei sei Nato-Partner im Kampf gegen den IS und deshalb seien das keine Gründe, um gegenüber der Türkei derartige Restriktionen im Rüstungsexport zu haben.

Die Charme-Offensive aus türkischer Sicht

Deutsche Rüstungsgüter für die Türkei und als Gegenleistung die Freilassung inhaftierter Deutscher. Wäre das für die Türkei ein denkbarer Deal?

Inga Rogg

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Legende: ZVG

Inga Rogg ist NZZ-Journalistin und lebt zeitweise im Irak. Zurzeit ist sie in Istanbul. Seit 2003 berichtet sie für die NZZ und die «NZZ am Sonntag» aus dem Irak, seit 2009 ist sie auch für SRF im Einsatz.

Inga Rogg: Für die Türkei geht es bei der Inhaftierung der sieben Deutschen eigentlich um mehr: Die Türkei will von Deutschland zum Beispiel, dass sie angebliche Anhänger von Fethullah Gülen ausliefert und dass Deutschland stärker gegen Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeht.

Sehen Sie Anzeichen, dass die inhaftierten Deutschen in absehbarer Zeit freikommen?

Die Türkei hat einige Schritte auf Deutschland zu gemacht. Es wurden ein Menschenrechtler und eine Journalistin freigelassen, und die Haftbedingungen von Deniz Yücel wurden erleichtert. Es kommt Bewegung in die Sache, aber Entscheidungen hängen eigentlich nur von Präsident Erdogan ab.

Welche Strategie verfolgt die türkische Regierung mit den Besuchen von Erdogan in Frankreich und Cavusoglu in Deutschland?

Die türkische Regierung hat sich in der Region, in Europa und den USA isoliert. Darum ist die Türkei darauf angewiesen, die Verhältnisse zu entspannen. Darum ist heute auch Aussenminister Cavusoglu nach Deutschland gereist. Es geht dabei vor allem um die türkische Wirtschaft, die stark abhängig ist von Investitionen aus Europa. Ankara muss sich also aus wirtschaftlichen Gründen bewegen.

Ist die Türkei trotzdem weiterhin in einer Position der Stärke gegenüber der EU?

Die Türkei ist ein wichtiges Land an der Nahtstelle zwischen den Konflikten im Nahen Osten und Europa. Man braucht die Türkei vor allem jetzt, nachdem der IS geschlagen ist. Es soll verhindert werden, dass die Extremisten nach Europa zurückkehren und dort Anschläge verüben. Die Sicherheitskooperation ist darum sehr wichtig.

Aber insgesamt ist die Türkei nicht in der Position der Stärke. Und was das Flüchtlingsabkommen angeht, hat die Türkei in der Vergangenheit immer wieder damit gedroht, die Kooperation mit der EU aufzukündigen. Aber die Türkei lässt inzwischen selber kaum mehr Flüchtlinge ins Land: Sie hat die Grenze zu Syrien fast völlig dichtgemacht. Dieses Abkommen sticht also praktisch nicht mehr.

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