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«Menschen begreifen, dass wir Probleme gemeinsam lösen müssen»
Aus News-Clip vom 19.06.2020.
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Bundestagspräsident Schäuble «Europa wird in Krisenzeiten nur stärker»

Deutschland übernimmt Ende Monat für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Wegen der Coronakrise kommt eine grosse Verantwortung auf das Land zu. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble spricht über die Verletzlichkeit Europas, aber auch über den Tod von George Floyd und die Demonstrationen in Europa.

Wolfgang Schäuble

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Der deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ist seit 2017 Präsident des Deutschen Bundestages. Von 1984 bis 1991 und von 2005 bis 2017 war er als Innen- und Finanzminister in der Bundesregierung. Ebenso war er Kanzleramts- und Fraktionschef. Schäuble war massgeblich für den deutschen Einigungsvertrag nach dem Fall der Mauer zuständig.

SRF News: Die Corona-Pandemie hat Europa durchgeschüttelt. Haben Sie je Angst gehabt, dass die Europäische Union auseinanderbricht?

Wolfgang Schäuble: Es war eine fürchterliche Krise, ist es noch. Aber ich war immer zuversichtlich, dass eine solche Krise dazu führt, dass nach kurzen Irritationen – wir haben ja die Grenzen geschlossen – Europa gestärkt wird, weil die Menschen besser begreifen, dass wir diese Probleme im 21. Jahrhundert nur gemeinsam lösen können. Und das zeigt sich jetzt.

Hätten Sie es jemals für möglich gehalten, dass Deutschland eine Lieferung von Schutzmasken in die Schweiz blockieren würde?

Nein, aber ich hätte mir vorstellen können, dass die Schweiz in dieser Lage auch eine Lieferung von Schutzmasken nach Deutschland blockiert hätte. In dieser Krise war jeder in Versuchung, zunächst an sich selbst zu denken. Das ist wie ein Ertrinkender. Wenn man ihn retten will, ist die Gefahr gross, dass er sich so an einen klammert, dass man mit ihm ertrinkt. Natürlich war es falsch. Das ist inzwischen unbestritten. Aber so war dann die Reaktion – von allen.

In dieser Krise war jeder in Versuchung, zunächst an sich selbst zu denken.

In den letzten Jahren waren die Zentrifugalkräfte sehr stark: Euro-, Flüchtlings-, Coronakrise. Es ist ja nicht sicher, ob die EU immer hält...

Nein, aber sie hat auch jetzt wieder gezeigt: Sie hält dann doch. Und darum gilt der alte Satz: Die Integration in Europa wird nur in Krisenzeiten stärker.

Die Antwort der EU auf Krisen ist immer mehr EU. Wieso nicht weniger EU? Wieso nicht einfach zurück zu einer Wirtschaftsgemeinschaft?

Wenn Europa gemeinsam grosse Probleme lösen muss, dann muss Europa auch die Zuständigkeit haben, um diese Probleme zu lösen. Deswegen geht es im übrigen auch beim Wiederaufbaufonds mit den 500 Milliarden darum: Was machen die Länder mit diesen Mitteln? Einfach nur Geld zu verteilen wird die Lage nicht verbessern. Sondern es kommt darauf an, dass die richtigen Massnahmen, die die wirtschaftliche Lage und die Perspektiven, die Wettbewerbsfähigkeit der Länder verbessern, endlich durchgesetzt werden.

Wir stellen sicher, dass die Zuschüsse für das verwendet werden, was wirklich hilft, und nicht für etwas anderes.

Ich hoffe auf einen Kompromiss, der lautet: Ja, wir sind solidarisch. Wir helfen, auch mit hohen Zuschüssen. Aber wir stellen sicher, dass die Zuschüsse für das verwendet werden, was wirklich hilft, und nicht für etwas anderes. Italien hat noch immer eine sehr viel geringere Lebensarbeitszeit als Deutschland. Und es kann ja nicht angehen, dass man immer früher in Rente geht. Und wenn man dann das Sozialsystem nicht mehr finanzieren kann, irgendwo anders spart und hinterher sagt, daran sei Brüssel oder Berlin schuld.

Nach dem Tod von George Floyd gab es auch in Europa Demonstrationen. Frühere Fälle von Polizeigewalt in den USA hatten nie ein solches Echo. Wie erklären Sie sich das? Hat das auch etwas mit Corona zu tun?

Die Globalisierung ist auch eine Globalisierung der Öffentlichkeit. Das sehen wir bei dieser Pandemie sehr stark. Dann kommt noch die besondere Situation mit China und Hongkong hinzu und die problematische Entwicklung in den USA. Aber unter dem Begriff 68er gab es in Europa auch grosse Demonstrationen, Reformen, sogar Revolten. Frankreich stand am Rande eines Bürgerkriegs. Staatspräsident Charles de Gaulle war aus Paris verschwunden, weil er dort nicht mehr sicher war. Das war damals alles ein Stück weit von Amerika rübergekommen und war auch eine Reaktion auf die grossen Auseinandersetzungen dort. Das ist ja an sich nicht schlecht.

Wir müssen auch demütig sein und zugeben: Ja, wir haben auch gegen Vieles verstossen.

Wir sind eine Wertegemeinschaft im Westen. Und wenn sichtbar wird, dass wir uns nicht an unsere eigenen Werte halten, ist es gut, dass es Reaktionen darauf gibt. Insofern haben auch die Reaktionen auf diesen Todesfall dazu geführt, dass viele sich gewahr wurden, dass das eben nicht nur ein Problem in Amerika ist. Und dagegen wird demonstriert. Freiheit und Menschenrechte sind ansteckend. Deswegen fürchten Diktaturen diese geradezu panisch.

Auch die Schweiz wird verstehen, dass das Rahmenabkommen nicht das einzige Problem ist in Europa.

Und deswegen müssen wir die Prinzipien von Menschenwürde, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und Religion, vertreten. Wir müssen aber auch demütig sein und zugeben: Ja, wir haben auch gegen Vieles verstossen.

Europa ist mit sich selbst beschäftigt. Ist das gut für die Schweiz mit ihrem Rahmenabkommen?

Wir respektieren die Schweiz, und wir arbeiten ja auch mit der Schweiz zusammen. Und die Schweiz kann auch ein Stück weit mit der allgemeinen Entwicklung mitgehen. Auch in der Frage der Grenzkontrollen haben wir keinen Unterschied gemacht zwischen Frankreich und der Schweiz. Insofern wird jetzt die Schweiz auch verstehen, dass das Rahmenabkommen nicht das einzige Problem ist in Europa. Ich bin immer dafür eingetreten, mit der Schweiz respektvoll umzugehen, auch zu respektieren, dass die Schweiz ihre eigene Tradition hat. Aber es ist jetzt nicht die drängendste Frage heute.

Das Gespräch führte Peter Voegeli.

Audio
«Europa wird nur in Krisenzeiten stärker»
aus Echo der Zeit vom 19.06.2020. Bild: Keystone
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Echo der Zeit, 19. Juni 2020, 18 Uhr;

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