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Europa am Abgrund?
Aus Echo der Zeit vom 01.03.2017. Bild: Keystone
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Franz Fischler im Interview «Es müssten alle Alarmglocken läuten»

Aus Euphorie wurde Ernüchterung: Ex-EU-Kommissar Fischler spricht über die Probleme der EU und darüber, wieso er dennoch an ihr festhält.

Der Österreicher Franz Fischler war Landwirtschaftsminister Österreichs und erstes österreichisches Mitglied in der EU-Kommission. Auf Einladung der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik spricht er am Mittwoch an der Universität Bern. Dort erklärt er, wieso seine Euphorie für die EU abgenommen hat.

SRF News: Woher kommt Ihr Gesinnungswandel?

Ein glühender Verfechter Europas bin ich immer noch. Meine Einstellung hat sich aber gewandelt. Früher war ich der Meinung, dass Europa immer näher zusammenwächst und zu einem gemeinsamen Bundesstaat wird. Jetzt geht es aber in eine ganz andere Richtung.

Gibt es einen konkreten Auslöser für Ihren Meinungswechsel?

Vor allem das Verhalten von Regierungschefs in einzelnen Mitgliedsstaaten. Man darf nicht vergessen, dass die EU nicht nur das ist, was in Brüssel passiert. In den letzten Jahren werden immer stärker die Regierungschefs im europäischen Rat die Entscheidungsträger.

Man darf nicht vergessen, dass die EU nicht nur das ist, was in Brüssel passiert.

Das ist demokratiepolitisch ein Problem und führt dazu, dass das europäische Parlament ausgeschaltet wird. Es zeigt sich in immer mehr Staaten, dass es keine Bereitschaft gibt, die gemeinsame Sache vor die eigene nationale zu stellen – der Gipfel davon ist jetzt natürlich der Brexit.

Sie sagen, dass die EU vor dieser Realität die Augen verschliesst.

Das tut sie in dem Sinne, dass sie zu wenige Konsequenzen daraus zieht. Heute müssten alle Alarmglocken läuten. Vor allem in den letzten Wochen, in denen Donald Trump offen gesagt hat, dass er die EU kaputt machen will. Wenn wir zudem noch wissen, dass auch Wladimir Putin schon seit Jahren ähnliche Ideen hat, braucht es eigentlich keinen Weckruf mehr.

Wie erklären Sie das?

Die Einsicht in die Bedeutung und die Wichtigkeit des gemeinsamen Projektes ist geschwunden. Wir haben heute eine Generation, die mit dem Zweiten Weltkrieg keine unmittelbare Erfahrung mehr hat.

Die Idee, es dürfe in Europa nie wieder Krieg geben, reicht nicht mehr aus, um ausreichend Druck zu erzeugen, mit der Integration voranzuschreiten

Die Idee, es dürfe in Europa nie wieder Krieg geben, ist natürlich nach wie vor wichtig. Sie reicht aber nicht mehr aus, um ausreichend Druck zu erzeugen, mit der Integration voranzuschreiten. Wenn jetzt der Druck von aussen grösser wird, könnte das dazu führen, dass es auch nach innen eine entsprechende Reaktion erfolgt, sicher kann man da aber nicht sein.

EU-Komissionspräsident Juncker hat heute in Brüssel seine Pläne für eine Reform der EU vorgestellt. Er sprach beispielsweise von einer reinen Freihandelszone, einer ausgebauten EU für die Länder, die sie wollen oder der Möglichkeit, den heutigen Kurs zu behalten. Wofür würden Sie plädieren?

Das Weiterwursteln ist sicher keine Option, eher müssen wir davon dringend wegkommen. Zwei andere Möglichkeiten könnte man aber verbinden. Eine Idee ist, dass es eine Gruppe von Mitgliedsstaaten gibt – da zählt man Deutschland, Frankreich, die Benelux-Staaten und manchmal auch Italien und andere dazu –, die bei der Integration weitermachen wollen und das auch tun. In erster Linie bedeutet das, dass man eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik vorantreiben möchte. Das beinhaltet dann gleichzeitig, dass es daneben eine Art Freihandelszone gibt, an der alle EU-Staaten teilnehmen. Sie umfasst auch die Staaten, die nicht an der weiteren Integration teilnehmen.

Wenn in Frankreich Marine Le Pen gewählt wird, fällt diese Option weg.

Ehrlich gesagt: Daran glaube ich nicht. Ich habe grosses Vertrauen in die französischen demokratischen Kräfte. Sollte Le Pen wider Erwarten gewählt werden, dann wird es schwierig. Dann sehe ich nicht, dass die Möglichkeit der engeren Zusammenarbeit zustande kommen kann.

Viele europäische Länder sind mit sich selber beschäftigt und haben keine Zeit, sich auch noch Gedanken über das Gemeinschaftsprojekt Europa zu machen.

Das kommt in erster Linie vom Erstarken des Populismus. Dieses Problem haben wir auch in Österreich. Es geht aber nicht nur um die Innenschau Europas.

Zentrale Fragen der Zukunft werden wir als Europäer nur meistern können, wenn wir mehr gemeinsam machen

Während wir darüber diskutieren, welches Modell wir in Europa verfolgen wollen, geht die Globalisierung weiter. Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft massiv, die Ungleichheit steigt, Nachhaltigkeitsprobleme wachsen. Gerade diese zentralen Fragen der Zukunft werden wir als Europäer nur meistern können, wenn wir mehr gemeinsam machen.

Wie gross ist der Wille dazu?

Im Moment zu gering, das muss ich leider sagen. Es könnte aber der Fall sein, dass er durch einen wachsenden Druck steigt.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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