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International Guantanamo-Leiter: «Das Gefängnis macht die USA sicherer»

Vor 13 Jahren wurde das Gefangenenlager eröffnet, erst jetzt befasst sich ein US-Bundesgericht mit den Haftbedingungen und den Folter-Vorwürfen. US-Korrespondentin Karin Bauer besuchte Guantanamo. Sie erfuhr: Im Widerspruch zur Regierung Obama sieht das Militär die Häftlinge weiter als Gefahr.

Das Pentagon lädt Journalisten mit einer klaren Strategie nach Guantanamo: Die Welt soll erfahren, dass das Gefangenenlager «sicher, human, legal und transparent» ist. So steht es in allen Medienunterlagen, und die Wärter wiederholen die Botschaft gebetsmühlenartig. Die Pressefahrt in eines der dunkelsten Kapitel der US-Geschichte ist eine Farce. Drei Tage sind wir dort. Über den Zustand der Gefangenen erfahren wir: nichts. Umso mehr dafür über Überwachung und Zensur des Pentagons.

Was sollen wir überhaupt filmen?

Um den Charter zur US-Militärbasis Guantanamo auf Kuba zu besteigen, müssen der Kameramann und ich eine 13seitige Verbotsliste unterschreiben: Wir verpflichten uns unter anderem, weder die Gesichter der Gefangenen noch der Militärangestellten zu filmen. Vom Lager selbst sind nur genau definierte Nahaufnahmen zugelassen. Unsere Unterkunft liegt eine halbstündige Autofahrt vom Lager entfernt.

Die Wachen holen uns frühmorgens mit einem Bus ab und weichen nicht von unserer Seite, bis wir abends wieder zu Bett gehen. Speziell in Erinnerung bleibt «Opsec», Operation Security. Am Ende jedes Drehtags schauen zwei Soldaten das Material durch. Nach Gutdünken entscheiden sie, was gelöscht werden muss. Diskussion zwecklos.

Camp X-Ray – Schandfleck des «Kriegs gegen den Terror»

Am ersten Tag fährt man uns dahin, wo nach dem Terroranschlag von 9/11 alles begann: Die Käfige von Camp X-Ray wurden Ende 2001 aus dem Boden gestampft, um die vor allem in Afghanistan und Pakistan festgenommenen Männer zu inhaftieren – und der Welt zu zeigen, was die USA mit angeblichen Terroristen machen.

Unser Führer deutet auf ein an der Käfigwand befestigtes Rohr, in das die Gefangenen in der brütenden Hitze urinieren mussten. «Anus» hätten die Soldaten es genannt, «Keine schlechte Idee», meint er schmunzelnd. Dann beeilt er sich zu sagen, das Lager sei nur dreieinhalb Monate in Betrieb gewesen, solange die heutigen Hochsicherheitsgefängnisse im Bau waren.

Heute Abend in «10 vor 10»

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Mehr zum Thema sehen Sie heute Abend in «10 vor 10», um 21:50 Uhr auf SRF1.

90% der Inhaftierten sind unschuldig

Camp X-Ray ist ein Mahnmal wider Willen. Seine Zerstörung wird durch einen US-Gerichtsbeschluss verhindert, das überwucherte Freiluftgefängnis gilt als Beweismaterial. In Holzhütten hinter den Käfigen wurden die Gefangenen rund drei Jahre lang verhört und gefoltert. Unser gesprächiger Führer verstummt, als wir ihn zu den Verhörmethoden befragen: «Das weiss ich nicht».

Nie vergessen dagegen wird sie Lakhdar Boumediene. Sieben Jahre wurde der ehemalige Mitarbeiter einer Hilfsorganisation von den Amerikanern auf Guantanamo festgehalten, ohne Anklage, ohne Beweise. Er ist unschuldig, ebenso wie 90% der total 779 Männer, die seit 9/11 auf Guantanamo eingesperrt waren.

Boumediene zu «10vor10»: «Jeder Inspektor spielt sein Spiel: Der erste schlägt dich, der zweite lässt dich stundenlang auf einem Stuhl stehen, bis du runterfällst.» Die Soldaten hätten ihn in der Nacht auch gezwungen, mit ihnen zu rennen. Als er erschöpft zusammenbrach, schleiften sie ihn auf dem Boden mit, bis er blutete.

Drei Minuten bei den Gefangenen

Die Pressereise in Guantanamo dauert drei Tage. Die Gefangenen aber bekommen wir während gerade mal drei Minuten zu sehen. Wie im Zoo werden sie uns vorgeführt hinter Fensterglas. Unser Raum ist abgedunkelt, aus Sicherheitsgründen, wie es heisst. Das Pentagon will Begegnungen verhindern.

Früher hatten Gefangene versucht, Kontakt mit Journalisten aufzunehmen. Die Soldaten betonen, kooperative Häftlinge dürften sich ganztags in Gemeinschaftsräumen aufhalten. Gerne zeigt man uns die Bibliothek und die Küche, in der täglich eine Auswahl an Gerichten gekocht würde.

Aber auch hier werden unliebsame Fragen mit angeblicher Unkenntnis gekontert. Ob diese Häftlinge angeklagt seien, wollen wir wissen. «Das kann ich nicht sagen», antwortet der Führer. Tatsache ist: Keiner der Männer, die wir zu Gesicht bekommen, wurde je angeklagt, trotz jahrelanger Gefangenschaft.

Geheimer Aufenthaltsort der mutmasslichen Terroristen

Nur sieben der verbleibenden 149 Häftlinge soll der Prozess gemacht werden, es handelt sich um die mutmasslichen Drahtzieher von 9/11. Auf die Frage, wo diese Männer untergebracht sind, wird die Führung abgebrochen.

Der Presse werden nur Camp 5 und 6 gezeigt, zwei Hochsicherheitsgefängnisse für kooperative und unkooperative Häftlinge mit Gemeinschaftsräumen und Isolationshaft. Die mutmasslichen Terroristen aber sind im geheimen Camp 7, kein Journalist hat es je zu Gesicht bekommen.

Guantanamo-Leiter: «Ein gutes Gefühl bei diesem Einsatz»

Die US-Regierung hat die Freilassung von 79 Häftlingen angeordnet, sie hält also über die Hälfte der noch Inhaftierten für ungefährlich. Amnesty International nennt Guantanamo den «Gulag unserer Zeit». Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte kritisiert, dass die USA Menschen willkürlich festhält.

Admiral Richard Butler, der das Gefängnis leitet, winkt ab. «Guantanamo ist Teil des weltweiten Krieges gegen den Terror», sagt er zu «10vor10». «Darum habe ich ein gutes Gefühl bei diesem Einsatz.» Wie lange soll dieser von den USA definierte Krieg gegen den Terror denn noch dauern? Der Admiral zuckt mit den Schultern.

Ex-Häftling: «Zwangsernährung ist Folter»

An seinem ersten Arbeitstag hat US-Präsident Obama die Schliessung des Lagers unterschrieben. Auch in seinem sechsten Amtsjahr aber weigert sich der Kongress, die Häftlinge auf amerikanischen Boden zu lassen, und ihr Transfer in andere Staaten geht nur langsam vor sich. Letztes Jahr machten über 100 Häftlinge auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam, in dem sie in einen Hungerstreik traten.

Die Schlagzeilen kamen dem Pentagon ungelegen, seit anfangs Jahr werden keine Zahlen zum Hungerstreik mehr publiziert. Auch das aktuelle Hearing vor einem US-Bundesgericht zur Zwangsernährung eines Häftlings hätte unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden sollen, wäre es nach dem US-Militär gegangen. Die Richterin aber entschied anders. Seit gestern wird der Fall öffentlich in Washington DC verhandelt, der Vorwurf der Folter steht im Raum.

Tagsüber Zwangsernährung, abends McDonald’s und Golf

Bei unserer Führung durchs Spital wird erst auf Nachfrage der Stuhl vorgeführt, in dem Häftlinge im Hungerstreik gefesselt und zwangsernährt werden. «Folterstuhl» hätten sie ihn genannt, bestätigt der ehemalige Häftling Lakdhar Boumediene. Die Zwangsernährung durch einen Schlauch in den Magen sei sehr schmerzhaft.

«Wenn du erbrichst, hören sie einen Moment lang auf, dann schütten sie weiter in dich rein». Dass der Weltärztebund die Zwangsernährung von urteilsfähigen Menschen im Hungerstreik als unethisch kritisiert, sorgt die Ärzte und Pfleger nicht – alle sind Angestellte des US-Militärs. Sie seien glücklich ihren Auftrag erfüllen zu können und hätten keinen Grund, die Mission anzuzweifeln, sagen sie.

Auf der US-Militärbasis in Kuba können sie sich wie zuhause fühlen: Es gibt einen McDonalds und Sportanlagen für Golf und Basketball. Nur rechtlich ist Guantanamo ein Niemandsland, von den USA genutzt, um sogenannte «feindliche Kombattanten» ohne Anklage und Prozess auf unbestimmte Zeit festzuhalten.

Zeitgeist der Bush-Jahre

Die Erkenntnis nach drei Tagen: Das US-Militär auf Guantanamo ist in den Bush-Jahren stehen geblieben. Macht Guantanamo die USA sicherer? «Ja!» ruft Admiral Richard Butler. Unsicher wird er erst bei der Feststellung, dass sein Präsident das Gegenteil sagt – Guantanamo mache die Vereinigten Staaten nicht sicherer, Terrororganisationen wie Al Kaida und der IS würden seine Existenz im Gegenteil dazu benützen, um neue Terroristen zu rekrutieren. «Wir werden sehen», sagt Butler zum Abschied.

Auf der anderen Seite des Atlantiks sagt der sieben Jahre lang unschuldig inhaftierte Lakdhar Boumediene seit 2009, als Frankreich ihn aufnahm, habe er keinen Job mehr gefunden. Auf eine Entschuldigung der USA warte er bis heute.

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