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IKRK-Vizepräsidentin: «Die humanitäre Krise in Mali spitzt sich zu»
Aus SRF 4 News aktuell vom 02.02.2018.
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Humanitäre Krise in Mali «Militärische Unterstützung reicht nicht»

Mali wird immer wieder von Kämpfen und schweren Terroranschlägen erschüttert. Erst am Wochenende starben bei einem Angriff auf einen Armeestützpunkt in der Stadt Soumpi mindestens 16 Zivilisten und 14 Soldaten. Vor allem die Sahara-Gebiete im Norden Malis dienen Milizen und islamistischen Terroristen als Rückzugsgebiet. Trotz der internationalen Militärpräsenz und trotz eines Friedensabkommens hat sich die Sicherheitslage in den letzten fünf Jahren massiv verschlechtert.

Die humanitäre Krise in dem westafrikanischen Land spitze sich zu, sagt Christine Beerli, Vizepräsidentin des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). Sie hat sich von der Not der Bevölkerung in Mali selbst ein Bild verschafft.

Christine Beerli

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Die frühere Ständerätin und FDP-Fraktionspräsidentin ist seit 2008 ständige Vizepräsidentin des IKRK. Erst letzte Woche kam sie von einer Mali-Reise zurück, die sie auch in den Norden des Landes geführt hatte, wo der Machtkampf zwischen Rebellen, Islamisten und internationalen Truppen besonders heftig tobt.

SRF News: Wie zeigt sich die Not der malischen Bevölkerung?

Christine Beerli: Wenn man mit den Menschen spricht, spürt man, dass sie unter einer extremen Unsicherheit leiden. Sie wissen nie, was am nächsten Tag geschieht, ob sie sicher von der Arbeit nach Hause kommen werden oder ob ihnen auf dem Heimweg ihr schwer verdientes Geld abgenommen wird. Unsicherheit herrscht in Mali natürlich wegen des Konflikts, aber auch wegen einer hohen Kriminalitätsrate.

Christine Beerli spricht in einem bunten afrikanischen Gewand vor einer Dorfgemeinschaft unter einem einfachen Unterstand.
Legende: Die Menschen litten an der extremen Unsicherheit, sagt Christine Beerli. «Das spürt man, wenn man mit ihnen spricht.» ZVG

Wie beeinflusst der Konflikt den Alltag der Menschen?

Die Lage in Mali ist ausgesprochen komplex. Es gibt einen internen Konflikt mit einer Vielzahl bewaffneter Gruppen. Bei so vielen Waffenträgern im Land ist klar, dass die Situation sehr aufgeheizt, unsicher ist, und die Zivilbevölkerung zum grossen Teil darunter leidet. Einige der bewaffneten Gruppen haben 2015 mit der Regierung einen Friedensvertrag abgeschlossen, nur ist er noch nicht umgesetzt.

Unsicherheit herrscht in Mali natürlich wegen des Konflikts, aber auch wegen einer hohen Kriminalitätsrate.

Zudem sind im Norden Malis seit Jahren auch verschiedene islamistische Gruppen aktiv. Und es gibt in dem Land vier Armeen: die malische, die UNO-Friedenstruppen, die Einsatztruppen der Franzosen und neu die «G5-Armee». Zu dieser haben sich fünf Länder der Sahelzone zum Kampf gegen den Terrorismus zusammengeschlossen. Doch die G5-Truppe ist erst im Aufbau.

Sie besuchten auch Spitäler, die das IKRK unterstützt. Welche Situation haben sie dort angetroffen?

Ich war in Mopti, Gao und Timbuktu. Im Spital in Gao liegen sehr viele Menschen mit Waffenverletzungen, Minenopfer mit abgerissenen Gliedern. Alle, die ich gesehen habe, sind Zivilpersonen. Ich traf zum Beispiel eine Frau, Mutter von sechs Kindern, deren beide Beine abgerissen waren. In einem orthopädischen Zentrum wird ihr nun geholfen, wieder so selbständig zu werden, dass sie ihre Familie versorgen kann.

Rechtssicherheit und Schulbildung wären von enormer Bedeutung.

Gerade aus dem Norden des Landes sind seit Beginn des Konflikts 2012 Tausende Menschen geflüchtet. Welche Folgen haben Sie miterlebt?

Es gibt sehr viele Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen geflohen sind. Letzte Woche erhielten wir die Meldung, dass Menschen aus Burkina Faso nach Mali strömen, weil es an der Grenze zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen ist. Der ganze Sahel ist sehr unruhig. Deshalb kommen zu den intern Vertriebenen Flüchtlingsströme hinzu, die durch die Länder hindurchgehen, um über Libyen nach Europa zu gelangen.

Ein Soldat in voller Kampfmontur mit gesenktem Maschinengewehr im Vordergrund. Dahinter zwei Kinder vor einer Hausmauer.
Legende: Viele Waffenträger im Land heizten die Stimmung zusätzlich an, sagt Christine Beerli. Reuters

Was müsste geschehen, damit sich die Lage für die Bevölkerung in Mali verbessert?

Rechtssicherheit und Schulbildung wären von enormer Bedeutung. Die Regierungen in den Sahel-Ländern müssten wieder Präsenz zeigen. Auch Verwaltungen, die alle Bevölkerungsgruppen umfassen und ernst nehmen, wären sehr wichtig.

Einige der bewaffneten Gruppen haben 2015 mit der Regierung einen Friedensvertrag abgeschlossen, nur ist er noch nicht umgesetzt.

Zudem müssten die Schulen wieder geöffnet werden. Derzeit sind in der Region von Mopti und Tumbuktu über 200 Schulen geschlossen. Das ist der Beginn eines Teufelskreises. Vor allem die junge Bevölkerung sieht im Moment nicht, wie sie ihre Zukunft gestalten und ihr Leben selbst verdienen soll. Mit der Öffnung der Schulen gäbe es vor allem für die Jungen wieder Zukunftsperspektiven.

Der Konflikt in Mali

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Ende 2012 hatten islamistische Extremisten und Tuareg-Rebellen im Norden Malis die Macht übernommen. Die Tuareg, die als Söldner für den libyschen Ex-Machthaber Muammar Gaddafi gedient hatten, kehrten nach dessen Sturz 2011 – schwer bewaffnet – in ihre Heimat zurück.

Einige von ihnen starteten in Mali eine Rebellion, um in der Wüste im Norden des Landes einen eigenen Tuareg-Staat zu errichten. Mit al-Kaida verbündete Dschihadisten kaperten dies Bewegung jedoch schon bald. Ende 2012 übernahmen sie dann den Norden Malis. Sie wurden 2013 von Truppen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zurückgedrängt.

Der Einsatz der Franzosen hat den Weg für die UNO-Friedensmission geebnet. Die 13'000 Mann starke Blauhelmtruppe Minusma hilft im Norden des Landes dabei, das Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen durchzusetzen. Doch bis heute kommt es vor allem im Norden immer wieder zu Angriffen auf die malischen Streitkräfte und die UNO-Blauhelme. Laut UNO hat sich die Sicherheitslage im Land seit dem letzten Juni «besorgniserregend» verschlechtert.

Militärische Unterstützung für die malische Regierung halten Sie für weniger aussichtsreich?

Es kann nicht die einzige Massnahme sein. Es muss auch auf die Rechtsstaatlichkeit hingearbeitet werden und daraufhin, dass die Menschen wieder die Möglichkeit haben, ihr Leben zu verdienen, Handel zu treiben und für ihre Familien zu sorgen. Neben allem Unfrieden und aller Unsicherheit herrscht in Mali auch noch eine Dürre. Sie drückt zusätzlich stark auf die Einkommensmöglichkeit der Menschen.

Sollte das nicht gelingen, wie sähe die Zukunft der Bevölkerung in Mali und im ganzen Sahel aus?

Heute sind im Sahel rund 12 Millionen Menschen von dieser Krise betroffen. Allerdings hat die Gegend ein rasantes Bevölkerungswachstum. Man rechnet mit einer Verdoppelung auf 160 Millionen Menschen innerhalb weniger Jahre. Wir müssen uns im Klaren sein: Wenn diese Menschen keine Zukunftsperspektive haben, werden die Wanderbewegungen gegen Norden sicher zunehmen. Das Bestreben vieler dieser Menschen ist, nach Europa zu kommen.

Das Gespräch führte Hanna Jordi.

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