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Jugendgewalt in Italien «Keine Werte, keine Ethik, kein Kompass»

Baby-Gangs machen die Strassen Neapels zunehmend unsicher. Korrespondent Battel erläutert, was es damit auf sich hat.

Attacken von sogenannten Baby-Gangs halten Italien in Atem. Vor allem in Neapel kommt es immer wieder zu brutalen Überfällen dieser Gangs auf Teenager. Allein in den letzten Wochen wurden dabei elf Jugendliche zum Teil schwer verletzt. Oftmals greifen die Banden Minderjähriger andere Jugendliche ohne offensichtlichen Grund an.

Nun will Neapel etwas dagegen tun. Doch eine einfache Lösung für das Phänomen gebe es nicht, wie SRF-Korrespondent Franco Battel im Interview erläutert.

SRF News: Was für Jugendliche sind in den sogenannten Baby-Gangs dabei?

Franco Battel: Es handelt sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern bei der Mafia, in Neapel ist es die Camorra, dabei sind. Die Eltern erziehen ihren Nachwuchs oftmals geradezu, ebenfalls kriminell zu werden. Sie müssen beispielsweise schon im Kindesalter Drogen abpacken oder haben schon als Jugendliche Zugang zu Waffen. In diesen Familien wird die Gewalt verherrlicht. Auch ist es für sie keine Schande, im Gefängnis zu landen – sondern eine Ehre. Andere Jugendliche machen in den Baby-Gangs mit, ohne aus einer Camorra-Familie zu stammen. Sie kommen meist aus verwahrlosten Familienverhältnissen und sehen ihre einzige Chance darin, zu Macht, Einfluss oder Ansehen zu gelangen, wenn sie kriminell werden und bei diesen Gangs mitmachen.

Viele italienische Grossstädte leiden an einer Verwahrlosung ihrer Vororte.

Haben die Kinder der Mafiosi keine Chance, aus dem Teufelskreis der Kriminalität herauszukommen und ein normales Leben zu führen?

Es ist tatsächlich äusserst schwer, aus dem Teufelskreis herauszukommen. Das zeigt sich etwa, wenn man die Namen der vor Jahrzehnten verurteilten Mafiosi oder Camorristi mit jenen von Mitgliedern der Baby-Gangs vergleicht: Es sind die gleichen. Die verurteilten Mafia-Kriminellen haben ihr Geschäft ihrem Nachwuchs also quasi vererbt. Immer mehr Richter versuchen hier anzusetzen: Sie entziehen den kriminellen Eltern das Sorgerecht für die Kinder und platzieren sie in einer Pflegefamilie beispielsweise im Norden Italiens. Nur so erhalten die Kinder eine Chance, ein anderes Leben überhaupt kennenzulernen.

Neben den Mafiosi-Kindern machen manche auch aus Langeweile oder Verwahrlosung in Baby-Gangs mit. Müssten diese Kinder eigentlich nicht in der Schule sitzen, statt sich auf der Strasse herumzutreiben?

Im Süden Italiens gibt es das Phänomen, dass viele Jugendliche vor Ende der Schulpflicht die Schule abbrechen. Niemand kümmert sich um diese Teenager – weder die Eltern, noch die Schule, noch eine Sozialbehörde. Es wird einfach hingenommen, dass sie nicht mehr zur Schule gehen. Diese Jugendlichen sind besonders anfällig dafür, irgendwann in den Fängen des organisierten Verbrechens wie der Camorra zu landen.

Die Jugendlichen verherrlichen, was sie im Fernsehen gesehen haben – ein Zeichen sozialer Verwahrlosung.

Geht es bei den Baby-Gangs vor allem um Machtgehabe, indem sie die mafiösen Machenschaften ihrer Eltern oder Vorbildern nachmachen?

Die Motive sind unterschiedlich. Manche Jugendliche dealen mit Drogen, sie wollen also auch Geld verdienen. So geht es mitunter auch darum, ein gewisses Terrain zu markieren und für den Drogenhandel zu beanspruchen. Viele Jugendliche verherrlichen auch die Gewalt, versuchen sich aufzuspielen und Eindruck zu schinden. Manchmal spielen die Jugendlichen auch ganz einfach Szenen aus der bekannten TV-Serie «Gomorrha», die nach dem Roman von Roberto Saviano produziert wurde, nach. Die Jugendlichen verherrlichen quasi, was sie im Fernsehen gesehen haben. Das ist ein Zeichen sozialer Verwahrlosung: Die Jugendlichen haben keine Werte, keine Ethik, keinen Kompass.

Zwei Jugendliche in Unterhosen schiessen am Strand mit Sturmgewehren.
Legende: Verwahrloste, gewaltverherrlichende Jugendliche. Szene aus dem Film «Gomorrha». Keystone Archiv

Allein in den letzten Tagen ist es zu mehreren brutalen Gewaltattacken gegen andere Jugendliche gekommen. Hat der aus Rom angereiste Innenminister Minniti schon gesagt, wie er das Problem anpacken will?

Als Sofortmassnahme möchte er 100 zusätzliche Polizisten nach Neapel entsenden. Doch das allein kann das Problem natürlich nicht lösen. Man müsste auch mittel- oder langfristige Massnahmen ergreifen – und dabei bei der Schule beginnen. Denn wenn man verhindern will, dass diese Jugendlichen in den Fängen der Camorra landen, müsste man zunächst sicherstellen, dass sie zur Schule gehen und einen Abschluss machen, um überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.

Die mafiösen Organisationen greifen immer mehr in Richtung Norditalien aus. Das Problem wird also quasi exportiert.

Was unternimmt die Stadt Neapel, um der Baby-Gangs Herr zu werden?

Sie hat beispielsweise Präventionsprogramme an den Schulen lanciert. Dabei besuchen Polizisten die Schulklassen und klären die Schüler über die Machenschaften der Camorra auf. Sie zeigen auch, wie man sich davor schützen kann. Problematischer als in Neapel selber sind die Verhältnisse meist aber in der Peripherie der Millionenstadt. In den kleinen Gemeinden im Hinterland fehlen meist Mittel und Strukturen für die Präventionsarbeit. Und zuweilen fehlt dort dazu auch der Wille.

Gibt es die Baby-Gangs vor allem in Neapel oder sind sie ein Phänomen, das auch sonst in Italien vorkommt?

Gerade in den letzten Tagen ist es beispielsweise auch in Turin zu ähnlichen Vorkommnissen gekommen. Jugendliche aus verwahrlosten Vororten zogen dort gewalttätig durch die Stadt. Das Problem der Verwahrlosung der Aussenquartiere oder Vororte betrifft nicht nur Neapel. Viele italienische Grossstädte leiden daran. Auch greifen die mafiösen Organisationen immer mehr in Richtung Norditalien aus, das Problem wird also quasi exportiert.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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