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International «Oppositionelle Medien sprechen von einem ‹Maulkorb›»

Kaum Zeitungen und nur Spielfilme und Unterhaltung im Fernsehen: Die Journalisten in Griechenland streiken gegen eine geplante Rentenreform. Aber nicht alle Medien heissen die Arbeitsniederlegung gut. Die Gründe für die Unstimmigkeiten kennt Journalistin Corinna Jessen in Athen.

Neue Verhandlungen

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Griechenland und seine Gläubiger setzen ihre Verhandlungen in Athen fort. Dabei wird nach Informationen aus Kreisen des Finanzministeriums über zwei Sparpakete gesprochen. Der linke Flügel der Regierungspartei Syriza hat bereits Bedenken geäussert.

SRF News: Können Sie unter diesen Umständen überhaupt arbeiten?

Corinna Jessen: Die Arbeit ist etwas erschwert. Bestimmte Nachrichtensendungen im Fernsehen und Radio, die eigentlich zu meinem festen Programm gehören, fehlen. Aber ein Grossteil der Nachrichtenseiten im Internet wird trotz des Streiks aktualisiert. Ausserdem wurden am Samstag die Zeitungen nicht bestreikt, das heisst, die Sonntagsausgaben sind erschienen.

Der Streik ist unter Journalisten sehr umstritten. Weshalb?

Vor allem oppositionelle Medien prangern auf ihren Internetseiten die regierungsnahe Journalistengewerkschaft an. Sie werfen der Gewerkschaft vor, durch den von ihr verhängten tagelangen Streik der Regierung von Alexis Tsipras entgegenzukommen. Es komme der Regierung gerade recht, wenn die Bürger aufgrund des Streiks die aktuellen Verhandlungen der Regierung mit den Kreditgebern nicht so genau verfolgen könnten, lautet der Vorwurf. Die Regierung Tsipras könne so unter Ausschluss der Öffentlichkeit schmerzhafte Vereinbarungen treffen. Die Gewerkschaft hatte im Vorfeld gedroht, Journalisten aus dem Verband auszuschliessen, wenn sie sich nicht am Streik beteiligen. Oppositionelle Medien sprechen deshalb von einem «Maulkorb», den die Gewerkschaft den Mitgliedern aufbinde.

Corinna Jessen

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Corinna Jessen ist freie Journalistin in Athen, Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Tageszeitungen und Mitarbeiterin des ZDF. Sie ist in Athen geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie in Deutschland.

Gleichzeitig protestieren alle Journalisten gegen die geplante Rentenreform.

Ja. Es ist tatsächlich so, dass diese Reform die Journalisten hart trifft. Ihnen drohen herbe Einschnitte, denn die relativ gesunde Kasse der Journalisten soll an eine grosse Kasse angeschlossen werden, die bereits viele defizitäre Kassen einverleibt hat. Ausserdem soll eine Sonderabgabe auf Medienprodukte abgeschafft werden. Bisher hat diese Abgabe den Anteil der Sozialabgaben der Arbeitgeber für Journalisten ausgemacht. Für die Journalisten bedeutet all das eine mangelhafte medizinische Versorgung und weniger Rente.

Die Vorlage ist Teil eines grösseren Reformpakets, das Griechenland diese Woche beschliessen muss. Sind nur die Journalisten unzufrieden?

Nein, praktisch alle Griechen sind von den neuen Massnahmen betroffen und viele Berufsstände haben den Arbeitskampf wieder aufgenommen, wenn auch mit wenig Aussicht auf Erfolg. Denn eine weiter Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 23 auf 24 Prozent ist bereits beschlossene Sache. Auch scheint man sich bereits über die Senkung des Steuerfreibetrages von 9000 Euro einig zu sein, wenn auch nicht, wie vom Internationalen Währungsfonds IWF verlangt, um über 1000 Euro, sondern nur um 200 Euro. Getroffen hat man sich angeblich auch bezüglich der Immobilienkredite, die nicht mehr bedient werden können. Hier soll die Regierung Tsipras eine weitere Schonfrist vor Zwangsversteigerungen von Hauptwohnsitzen für die unteren Einkommensklassen durchgesetzt haben. Noch verhandelt wird vermutlich über die Schaffung einer übergreifenden Privatisierungsbehörde. Sie soll allen staatlichen Besitz verwalten und das Privatisierungsprogramm vorantreiben.

Es gibt allerhöchsten einen Puffer von einem Monat, bis Griechenland wieder vor der Zahlungsunfähigkeit steht.

Die Euro-Länder und der IWF fordern von Griechenland nun auch noch einen sogenannten «Notfallplan», für den Fall, dass die bisherigen Reformen nicht genügend umgesetzt werden.

Audio
Hören Sie hier das ganze Gespräch mit Corinna Jessen
aus SRF 4 News aktuell vom 25.04.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 17 Sekunden.

Der sogenannte Reservefonds wird auch als viertes Hilfspaket bezeichnet, wobei sich sowohl die Regierung, als auch die Kreditgeber gegen diese Bezeichnung wehren. Es handle sich «nur» um eine Sicherheitsmassnahme, beteuern sie. Athen argumentiert in diesem Verhandlungspunkt, dass es in Griechenland nicht möglich sei, Gesetze über Eventualitäten zu verabschieden. Die Kreditgeber ihrerseits machen deutlich, dass die nächste Kreditrate ohne eine solche Sicherheitsmassnahme nicht ausbezahlt werde. Nun geht es offenbar darum, eine Formel zu finden, diesen Reservefonds auch ohne parlamentarische Verabschiedung zu etablieren. Denkbar wäre die Schaffung einer automatischen Aktivierung über den sogenannten «Fiskalrat». Dieser überwacht in Griechenland die öffentlichen Ausgaben.

Im Juli läuft die Frist für die Rückzahlung von 3,5 Milliarden Euro Schulden ab. Steht Griechenland einmal mehr kurz vor dem Bankrott?

Es könnte tatsächlich wieder knapp werden. Die Regierung Tsipras hofft, bis Dienstagabend eine Einigung zu erzielen. Diese würde dann am Donnerstag an einer Sondersitzung der Euro-Gruppe abgesegnet. In Griechenland kämen die entsprechenden Gesetzesvorlagen nach dem heute beginnenden orthodoxen Osterfest ins Parlament. Zeitgleich, so hoffen die Griechen, begännen Gespräche über versprochene Schuldenerleichterungen, die der IWF für seinen Verbleib im Programm fordert. Diese Gespräche dürften aber kaum vor Ende Juni abgeschlossen sein und die bitter benötigte Tranche würde erst dann ausbezahlt. Es wird also allerhöchsten einen Puffer von einem Monat geben, bis Griechenland wieder vor der Zahlungsunfähigkeit steht.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

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