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Radovan Karadzic muss lebenslang hinter Gitter
Aus Echo der Zeit vom 20.03.2019. Bild: Keystone
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Reaktionen auf Karadzic-Urteil «Alle sehen sich als Opfer und niemand als Täter»

Der Gang ans Berufungsgericht hat sich für Radovan Karadzic nicht ausbezahlt: Die Richter des Tribunals in Den Haag haben den ehemaligen bosnischen Serbenführer zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihm werden «extrem schwerwiegende Verbrechen» während des Bosnienkriegs angelastet.

Damit gingen die Berufungsrichter weiter als die erste Instanz, die Karadzic zu vierzig Jahren Haft verurteilt hatte. Der Balkan-Kenner Walter Müller sieht alte Muster in den Reaktionen auf das Urteil – und das in einem politischen Klima, in dem Nationalisten allerorten Auftrieb haben.

Walter Müller

Walter Müller

Ehemaliger Korrespondent, SRF

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Walter Müller ist ehemaliger Südosteuropa-Korrespondent von Radio SRF und lebt in Belgrad.

SRF News: Welche Reaktionen hat das Urteil in Bosnien-Herzegowina und Serbien ausgelöst?

Walter Müller: Erleichterung und Applaus bei den bosnischen Muslimen. Diese Volksgruppe hatte am meisten unter Karadzic zu leiden und beklagte am meisten Opfer. Im serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina, der Republika Srpska, sind Verbitterung und Wut spürbar.

Das Urteil ‹lebenslänglich› steht als Symbol dafür, dass ein internationales Gericht das Leiden der Opfer und der Hinterbliebenen anerkennt.

Im benachbarten Serbien herrscht die gleiche Gefühlslage, vor allem unter den Nationalisten. Nach Urteilen des Tribunals sind die Reaktionen eigentlich immer dieselben: Für die serbische Seite ist klar, dass das Tribunal politische Urteile fällt und serbenfeindlich ist.

In erster Instanz war Karadzic noch zu vierzig Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt erhält er lebenslänglich. Wie wichtig ist diese Verschärfung für die Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer?

Für sie ist das Urteil von enormer Bedeutung, auch wenn es für den 73-Jährigen praktisch keinen grossen Unterschied macht. Das Urteil «lebenslänglich» steht als Symbol dafür, dass ein internationales Gericht das Leiden der Opfer und der Hinterbliebenen anerkennt. Es wird anerkannt, dass es Völkermord war, dass in Srebrenica beinahe 8000 Muslime umgebracht wurden und dass die Bevölkerung von Sarajevo unter der gut dreijährigen Belagerung masslos gelitten hat.

In beinahe jedem Staat des ehemaligen Jugoslawiens zieht sich die Politik wieder auf die eigene Volksgruppe zurück.

Umgekehrt wird der Völkermord während des Bosnien-Kriegs nun immer lauter verleugnet. Unter anderem hat das Parlament der bosnischen Serbenrepublik zwei Kommissionen geschaffen, die das Srebrenica-Massaker letztlich weiss waschen sollen.

Auf dem ganzen Westbalkan sind erneut nationalistische Tendenzen spürbar. Auf welchen Boden fällt das Urteil?

Auf fruchtbaren Boden. In beinahe jedem Staat des ehemaligen Jugoslawiens zieht sich die Politik wieder auf die eigene Volksgruppe zurück. Politisiert wird mit nationalistischen Gefühlen, Schuld sind immer die anderen. Alle sehen sich als Opfer und niemand als Täter – und Kriegsverbrecher werden als Helden gefeiert.

Dem hat die Belgrader Jugendinitiative für Menschenrechte heute ein sehr kräftiges Statement entgegengesetzt: Serbien und seine Institutionen müssten damit aufhören, den Völkermord von Srebrenica ständig zu relativieren. «Kriegsverbrecher sind nicht unsere Helden. Wenn wir sie feiern, heisst das, die Verbrechen zu weihen, die sie begangen haben», schreiben die jungen Menschenrechtler. Dem ist nichts mehr beizufügen. Nur: Es wird noch lange dauern, bis sich diese Einsicht auch durchsetzt.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

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