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«Es gibt keine globale Elite»
Aus Echo der Zeit vom 30.12.2016. Bild: © by Hannes Röst - Own work, CC BY-SA 3.0.
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Spaltung der Gesellschaft «Der Mittelstand schrumpft kontinuierlich»

Begriffe wie «das Volk» und «die Elite» werden nicht nur von Rechtspopulisten oft bemüht. Doch was steckt dahinter?

SRF News: Was halten Sie von der Behauptung, dass das Volk und die Elite eine Art Klassenkampf austragen?

Michael Hartmann

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Michael Hartmann ist Soziologe. Er beschäftigt sich vorrangig mit internationalen Eliten und der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich. Er war bis 2014 Professor an der Technischen Universität Darmstadt in Deutschland.

Michael Hartmann: Es steckt ein wahrer Kern darin. Deshalb ist der Erfolg des Rechtspopulismus in den letzten Jahren auch nicht einfach nur mit Manipulation oder Internet und Sozialen Medien zu erklären. In den meisten Ländern hat am unteren Ende der Gesellschaft ein grösser werdender Teil der Menschen das Gefühl, dass vom wirtschaftlichen Wohlstand nicht mehr das abfällt, was man ihnen versprochen hat. Daneben gibt es auch eine allgemeine Verunsicherung, die weit in jene Teile der Bevölkerung hinein reicht, die noch nicht direkt von einer Verschlechterung betroffen sind. Diese Mischung ist je nach Land sehr verschieden.

Gibt es überhaupt eine globale Elite, also eine vernetzte Klasse von Reichen und Mächtigen?

Nein, die gibt es nicht. Wissenschaftlich betrachtet gibt es nur ganz wenige Länder, in denen die Wirtschaftselite wirklich internationalisiert ist, und an der Spitze liegt ganz eindeutig die Schweiz. Hier wird ein grosser Teil der Grossunternehmen von Ausländern geleitet. Das ist aber eine absolute Ausnahme. Wenn man sich das weltweit anschaut, leben und arbeiten über 90 Prozent der Topmanager und Milliardäre in dem Land, in dem sie geboren und gross geworden sind.

Elite bedeutet, dass man Entscheidungen, die für die Gesellschaft massgeblich sind, treffen kann.

Aber am World Economic Forum (WEF) in Davos kommt diese Elite doch einmal im Jahr zusammen?

Ja, das ist so etwas wie ein allgemeiner Informationsaustausch. Dort kann man jeweils ungezwungen unter seinesgleichen Probleme diskutieren. Aber das ist etwas anderes als eine wirkliche Elite. Elite bedeutet, dass man Entscheidungen, die für die Gesellschaft massgeblich sind, treffen kann. Dass man wirklich Macht besitzt. Die Elite in Davos kann sich wirklich austauschen, aber eine einheitliche Macht steckt nicht dahinter. Mein Lieblingsbeispiel im Moment ist immer der Brexit. Die britische Wirtschaftselite ist die, die nach der Schweiz zu den am stärksten internationalisierten gehört. Das hat aber nicht ausgereicht, um den Brexit zu verhindern. Und dieser ist für einen Grossteil der Wirtschaftselite eine Katastrophe.

Zeigt die Ansammlung von Privilegierten in England und der Schweiz nicht, dass das Kapital mobil ist und sich den Landesgesetzen entzieht?

Wenn man die 1000 reichsten Personen der Welt ansieht, so ist die Schweiz die Fluchtburg Nummer Eins, keine Frage. Aber es ist trotzdem ein begrenzter Anteil. Und die Milliardäre, die in der Schweiz wirklich residieren, stammen überwiegend aus benachbarten Ländern. Von den 19 Milliardären aus Deutschland, die unter den Top 1000 sind und im Ausland leben, leben gleich 14 in der Schweiz. Fast alle am Zürichsee, also in der deutschsprachigen Schweiz. Dann ist die Hälfte der französischen Milliardäre, die im Ausland leben, am Genfersee; die Hälfte der italienischen Milliardäre im Ausland im Tessin. Das heisst, sie versuchen, in ihrer eigenen, sprachlich und kulturell vertrauten Umgebung zu bleiben. Es ist aber insgesamt eine relativ begrenzte Zahl.

Es gibt wenige Länder, in denen die Wirtschaftselite internationalisiert ist. An der Spitze liegt die Schweiz.

Ein anderes Beispiel sind die russischen Milliardäre. Man vermutet ja gemeinhin, dass sie überwiegend in der Schweiz oder in London leben. Sie haben tatsächlich zu einem erheblichen Teil teure Immobilien dort. Doch sie leben überwiegend in Russland, vor allem in Moskau. Dies weil die Beziehungen zum russischen Staat für ihre Geschäfte so wichtig sind, dass sie es sich nicht leisten können, zu viel Zeit ausserhalb Moskaus oder ausserhalb Russlands zu verbringen.

Zum anderen Begriff: das Volk. Gibt es das Volk, das immer angerufen wird – unterprivilegiert, lokal verankert, sozial immobil?

Nein, das Volk gibt es nicht. Das Volk ist getrennt. Ob man das als Schichten oder Klassen bezeichnet, hängt vom politischen Standpunkt ab. Es ist klar, dass eine Bevölkerung nicht einheitlich ist und es das Volk als Einheit auch gar nicht gibt. Dass dieser Begriff in den letzten 10 bis 15 Jahren so populär geworden ist, hat aber damit zu tun, dass es am oberen Ende der Bevölkerung inzwischen eine sehr kleine Gruppe oder Schicht gibt, die sich vom Rest fast vollkommen entfernt hat. Das macht auch diese Attraktivität dieses «1 gegen 99 Prozent» aus und fördert die Vorstellung, man habe da oben eine kleine Elite, und der Rest sei das Volk. Aber das ist Unsinn, denn der Rest ist natürlich auch massiv unterschiedlich. Nehmen Sie Personen in gut bezahlten Jobs, sagen wir den gehobenen Mittelstand, und Personen, die arbeitslos sind oder im Billiglohnsektor arbeiten, dann besteht da eine riesige Kluft, die man mit dem Begriff «das Volk» überhaupt nicht fassen kann.

Der Anteil der Bevölkerung, den man als Mittelstand bezeichnen kann, schrumpft kontinuierlich.

In der Schweiz oder auch in Deutschland gehören ja die meisten dem Mittelstand an. Wieso ist dieser nicht mehr so behaglich?

Der Anteil der Bevölkerung, den man klassisch als Mittelstand bezeichnen kann, schrumpft. Nicht massiv, aber kontinuierlich: In Deutschland von zwei Drittel auf inzwischen 56 Prozent. Gleichzeitig ist am unteren Ende dieser Mittelschicht der Übergang in das, was man als Unterschicht oder das untere Drittel bezeichnet, ein fliessender geworden. Deshalb ist die Angst, dass man dahin abrutscht, viel grösser als noch vor 20 Jahren. Die Mitte ist am Erodieren. Das darf man jetzt nicht dramatisieren. Denn das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich, in der Schweiz sehr viel weniger als in Frankreich, in den USA oder auch in Grossbritannien. Aber der Prozess ist überall derselbe. Die Mitte, die noch halbwegs gesichert ist, wird kleiner. Der untere Rand wird grösser, und die Übergänge werden fliessender. Die Wahrscheinlichkeit, dass man von der Mitte nach unten abrutscht, wird grösser.

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

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