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Digital Twitter als provinzielle Plauderecke

Forscher in den USA und Grossbritannien haben analysiert, wie sich welche Menschen auf Twitter zusammenfinden. Die Antwort: in Gruppen mit gemeinsamen Interessen, deren Mitglieder gern unter sich bleiben – und sogar eine eigene Sprache entwickeln.

Wer twittert, kann die ganze Welt erreichen: Jeder einzelne der Abermillionen Nutzer des Kurznachrichten-Tickers darf sämtliche Nachrichten lesen – falls er oder sie die Zeit hätte, die Geduld und die Sprachkenntnisse. Dieses Weltumspannende verleiht Twitter seinen Charme. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, hat Sebastian Funk von der Princeton University herausgefunden: «Unsere Forschung zeigt, dass das Twitter-Netzwerk eine sehr ausgeprägte Gruppenstruktur aufweist.» 

Diese Gruppen seien stark vernetzt in ihrem Innern, aber ausserhalb finde kaum Kommunikation statt: Twitter bietet seinen Bürgerinnen und Bürgern eine globale Plattform, aber diese nutzen sie für provinzielle Plauderecken. Herausgefunden haben Sebastian Funk und seine Mitforscher dies, indem sie per Computer Millionen von Nachrichten durchforsteten und analysierten, wer mit wem über was spricht.

Twitter-«Dialekte» entdeckt 

Zum Beispiel haben sich Fans der Filmreihe Twilight zusammengerottet, die Anhänger der Dankbarkeitsbewegung «Gratitude» oder die Fans des Teenie-Idols Justin Bieber. Als die Forscher die Wörter untersuchten, die in den maximal 140 Zeichen langen Botschaften ausgetauscht wurden, stiessen sie auf eine Art von Dialektbildung: «Zum Beispiel schreiben die Anhänger von Justin Bieber das Wort »please« meistens mit Doppel-»e« am Ende», sagt Sebastian Funk.

Dieses Doppel-«e» muss man sich wohl als Steigerungsform denken: «Bitteee, bitteee». Kreativ ist auch die Gruppe der leidenschaftlichen Tierfreunde, die Wörter mit Tierbezug bilden. Etwa «anipals», ein Zusammenzug von «animal» – Tier – und «pal», was Freund bedeutet. Oder «pawsome»: «awesome», «grossartig», wird mit «paw», «Pfote» ergänzt und verstärkt. Diese Kreationen sind vermutlich Erkennungszeichen und Identitätsstiftung in einem.

Grafik mit dem Verhalten von prominenten Gruppen, die sich über Twitter austauschen.
Legende: . Bryden et al. EPJ Data Science 2013 2:3 doi:10.1140/epjds15

Infografik:

Die Grafik zeigt prominente Gruppen auf Twitter (graue Kreise): Je grösser der Kreis, desto mehr Mitglieder. Die drei wichtigsten Begriffe, die in ihren Nachrichten auftauchen, sind erwähnt. Nachrichten werden vor allem innerhalb der Gruppen ausgetauscht, das zeigen die farbigen Schlaufen: je dunkler, desto mehr Botschaften bleiben innerhalb.

Fragen nach dem Ursprung

Die bisherigen Analysen können die gefundenen Resultate allerdings noch nicht bestätigen. Genauso wenig wie die Frage, ob die Wortkreationen oder auch die Gruppen selbst im virtuellen Raum entstanden sind, oder ob es Abbilder aus der realen Welt sind. «Zum Teil handelt es sich um bereits bekannte Wortschöpfungen», sagt Sebastian Funk, «aber andere könnten auf Twitter entstanden sein.» Dies soll nun untersucht werden.

Die Wissenschaftler erhoffen sich Aufschlüsse darüber, wie sich in der Gesellschaft Gruppen bilden und wie sie kommunizieren. Die Wissenschaft hat erkannt, dass sich solche Gruppen- und Netzwerkphänomene vielerorts abspielen und dass sie sich in manchem erstaunlich gleichen, ob es sich nun um Diskussionsgruppen auf Twitter oder um politische Parteien dreht.

Modelle mit möglichem Nutzen

Sogar ansteckende Krankheiten verhalten sich in vielem ähnlich, sagt Sebastian Funk. Neben Twitter untersucht er denn auch, wie sie sich ausbreiten: Wenn man sich Infizierte als Twitter-Benützer vorstellt und die Keime als Nachrichten, die sie austauschen, dann wird plausibel, dass man vom Twitter-Netzwerk vielleicht auch etwas über Viren-Netzwerke lernen könnte.

Auch die Herzen von Marketingfachleuten schlagen höher. Die Analyse von Sebastian Funk lässt anhand der Wörter, die jemand verwendet, erkennen, zu welcher Gruppe er gehört. So kann man schnell beliebige Gruppen identifizieren und ihre Mitglieder gezielt ansprechen. Die Universität London, die an der Studie beteiligt ist, hat schon ein Patent auf die neue Analysemethode angemeldet.

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