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«Ich bin nicht meine Depression»
Aus Rehmann vom 28.06.2021.
abspielen. Laufzeit 38 Minuten 37 Sekunden.
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Rehmann «Ich bin nicht meine Depression»

Jenny litt an schweren Depressionen. Wie es ihr heute geht und mit welchen Vorwürfen sie sich konfrontiert sieht, erzählt sie im Gespräch mit Robin Rehmann.

*Triggerwarnung: In dieser Podcast-Folge sowie im Artikel wird explizit über Selbstverletzung und suizidale Gedanken gesprochen.

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Wenn es dir psychisch nicht gut geht und du Hilfe brauchst, wende dich an eine der folgenden Stellen. Stay safe!

«Wieso geht es mir so schlecht?» Diese Frage stellte sich Jenny schon oft. In der Oberstufe hat sie Mühe, sich zu konzentrieren, ist sehr oft traurig und verletzt sich immer häufiger selber. «Ich wollte und konnte einfach nichts mehr machen», blickt sie zurück.

Irgendwann merkt die junge Frau, dass es so nicht mehr weitergeht. Sie nimmt ihren Mut zusammen und geht auf einen Lehrer zu. Dieser verweist sie an die Schulsozialarbeiterin. «Es war sehr speziell, das erste Mal mit jemandem darüber zu reden», erinnert sich die 21-Jährige. Mindestens einmal die Woche besucht Jenny ihre Sozialarbeiterin. Es hilft ihr, aber gleichzeitig merkt sie, dass sie mehr Unterstützung braucht.

Schon früh in psychiatrischer Behandlung

Mit 13 wird sie an eine Psychiaterin verwiesen. «Die Psychiaterin brachte mich schliesslich dazu, mit meiner Mutter zu reden und sie in den Prozess zu involvieren.» Auch um ihr selbstverletzendes Verhalten umgehen zu können, erhält Jenny Ratschläge und lernt, strategisch damit umzugehen. «Dass meine Mutter davon wusste, brachte eine gewisse Kontrolle über mich. Darüber bin ich froh, denn ich wüsste nicht, wie meine Arme und Beine heute sonst aussehen würden», räumt sie ein.

In Momenten der Überforderung oder Wut staut sich bei Jenny auch heute noch den Drang zur Selbstverletzung auf. «Das geschieht mittlerweile vielleicht eins bis zweimal monatlich. Ich kann aber mittlerweile im Nachhinein erkennen, wodurch das Verhalten ausgelöst wurde», beschreibt sie. Häufig ist das Unverständnis für ihre psychische Lage Auslöser solcher Momente. «Ich merke, wie Leute mich als unmotiviert oder traurig wahrnehmen oder mich unbewusst enorm unter Druck setzen.»

Ich beisse oder kratze mich, um den Druck ab zu bauen.

Der Kollaps

Im November 2019 kommt es zum psychischen Zusammenbruch. «Ich wurde zwei Wochen krankgeschrieben, die ich aber durchgehend im Bett verbrachte», erinnert sich Jenny. Sie weint jeden Tag, hat suizidale Gedanken. «Ich ass und trank fast nichts, hatte nicht mal die Kraft, zu rauchen.»

Ich wusste, wenn es so weitergeht, lebe ich nicht mehr lange. Dann bringe ich mich um.

Dennoch schafft sie es, sich aus eigener Kraft in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Die erste Woche kommt Jenny auf die Krisenintervention. «Dort konnte ich mich etwas entspannen und von den nervlichen Strapazen erholen. Es wurde auch nicht viel Teilnahme an Aktivitäten von mir erwartet», erzählt sie. «Ich wusste, ich muss nichts, aber ich darf. Das hat mir sehr geholfen.»

Ich muss schwierige Momente nicht gutheissen, aber versuchen, sie mit Achtsamkeit anzugehen.

Nach einer Woche kommt Jenny auf die psychosomatische Station. Dort wird sie psychologisch betreut, besucht Gruppen-, Sport- und Kunsttherapien. Jenny erlebt einige Auf und Abs, doch der psychologische Aufenthalt hilft ihr. Sie lernt, gewisse Schemata im Alltag anzuwenden. «Es beinhaltet einerseits sehr viel Meditation. Andererseits lernt man, den Moment, indem man sich gerade befindet, zu akzeptieren», erläutert sie.

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Die psychische Gesundheit verdient mehr Aufmerksamkeit

Nach sechs bis acht Wochen erfolgt normalerweise der Klinikaustritt. So auch bei Jenny. «Zu Beginn hatte ich enorm Respekt davor, wieder in den Alltag zurückzukehren», räumt sie ein. «Ich musste wieder Verantwortung übernehmen und in das Umfeld zurück, in welchem es mir nicht gut ging.» Gleichzeitig wünscht sich Jenny nichts mehr als wieder leistungsfähig und ein Teil der Gesellschaft sein zu können.

«Ich vertraue sehr auf meine Medikamente. Ohne sie könnte ich auch heute nicht sein.» Die Skepsis gegenüber Psychopharmaka hat sie früher selbst erlebt, sieht es heute jedoch anders. «Wenn sich jemand das Bein bricht, erhält er ja auch Medikamente gegen Schmerzen. Wieso sollte ich gegen meine Depression keine nehmen?» Auch spreche man in der Schule zu wenig über die seelische Gesundheit und psychische Aufenthalte. Medikamente würden tabuisiert, findet die Aargauerin. «Ich bin nicht meine Depression», betont sie. «Mit meinen Medikamenten, bin ich die Person, die ich wirklich bin und diese gefällt mir viel besser.»

Mit meinen Medikamenten, bin ich die Person, die ich wirklich bin und diese gefällt mir viel besser.

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