Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Club «Wir schrieben uns einen Liebesbrief, von Vater zu Sohn»

Mehr als 1200 Menschen sind im vergangenen Jahr mit begleiteter Sterbehilfe aus dem Leben geschieden. Ein Interview mit einem Sohn, dessen Vater die Sterbehilfe wählte.

SRF: Ihr Vater hat sich aus psychischer Not heraus für den Freitod mit Exit entschieden. Haben sie oder die Familie versucht, ihn daran zu hindern?

C.G.*: Ja, selbstverständlich. Gemeinsam mit meinem Bruder erwirkten wir eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie, nachdem der Vater offen den Freitod ankündigte und er im Besitz einer alten Armeewaffe war. Nutzlos, denn nach der Einweisung unternahm er alles, um sich möglichst rasch wieder den Ärzten zu entziehen. Nach seiner Entlassung fanden intensive Gespräche statt, denn er empfand die Zwangseinweisung als entwürdigend. Er bat offen darum, dass wir Söhne nicht mehr versuchen sollen, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Dieser Wunsch war rational verständlich. Emotional als Sohn war es aber eine Achterbahnfahrt, den eigenen Vater beim Sterben zu begleiten und ihn gehen zu lassen.

Wie belastend war der Zeitraum als der Entschluss für den Freitod feststand, ihr Vater aber noch lebte?

Sehr. Wir konnten ihn dank intensiven Gesprächen noch einmal davon abhalten, aber der Todeswunsch wurde immer stärker. Der gesamte Prozess erstreckte sich über rund sechs Monate. Zumal er nur die Söhne einweihte und explizit wünschte, dass seine Partnerin erst nach seinem Tod informiert wird. Der schlimmste Moment war der Vorabend seines Todes. Als Sohn hatte ich mich aus emotionalen Gründen dagegen entschieden, meinem Vater beim Sterben zuzusehen. Also kam zwangsläufig der Zeitpunkt, mich von ihm zu verabschieden, ihn ein letztes Mal zu umarmen, ins Auto zu steigen, loszufahren und meinen noch lebenden Vater zurückzulassen. Das war ein tieftrauriger Moment, den ich niemandem wünschen möchte. Ich stand dann am Vorabend nur noch per Mail mit ihm in Kontakt. Wir schrieben uns einen Liebesbrief. Von Vater zu Sohn, zwischen zwei Männern. Der Besuch von Exit war für den folgenden Tag fixiert.

Haben sie im Moment des Todes auch Erlösung verspürt?

Ich ging am Tag seines Todes am Vormittag noch zur Arbeit. Ich hoffte insgeheim, dass er noch einmal einen Rückzieher macht. Der Termin war auf den frühen Nachmittag fixiert. Wir hatten vereinbart, dass die Sterbebegleiterin von Exit uns anrufen würde, wenn er gestorben wäre. Mein Bruder und ich setzten uns an diesem wunderschönen sonnigen Herbsttag auf eine Wiese, warteten und hofften beide, dass uns vielleicht der Vater anrufen würde. Dass er sich nochmals fürs Leben entscheiden würde. Es meldete sich die Frau von Exit. Unser Vater sei friedlich eingeschlafen. Nein, es war keine Erlösung. Eine tiefe Traurigkeit machte sich breit. Traurigkeit auch darüber, vielleicht zu wenig versucht zu haben, um den Vater aufzuhalten. Gleichzeitig war da auch Verständnis, den Willen eines Menschen zu respektieren. Das war ein emotionaler Spagat, den ich niemandem wünsche.

Wie haben sie Exit vor und nach dem Tod ihres Vaters wahrgenommen, wurde ihrer Familie Unterstützung angeboten?

Exit kümmert sich um ihre Mitglieder, die Familie oder Angehörige gehören nicht dazu. Wir konnten aber die klare Vereinbarung treffen, dass die Sterbebegleiterin von Exit uns Söhne als erste Handlung verständigt, nachdem unser Vater die tödliche Dosis des Barbiturats eingenommen hatte. So war es uns möglich, unserer Mutter die Todesnachricht zu überbringen und ihr zu ersparen, von zwei uniformierten Polizisten über die Tat informiert zu werden. Von Exit habe ich seit dem Suizid meines Vaters nie wieder etwas gehört.

* Der Interviewte möchte anonym bleiben.

Meistgelesene Artikel