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Trailer zu «Glaube, Hoffnung, Liebe»
Aus DOK vom 15.11.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 2 Sekunden.
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100 Jahre Russische Revolution Katja Fedulova: «Der Chauvinismus hat in Russland Tradition»

Katja Fedulova hat mit «Glaube, Hoffnung, Liebe» einen ebenso persönlichen, wie traurigen DOK-Film gemacht. Im Interview spricht die russische Filmemacherin über ihren etwas anderen Blick auf die Heimat, die sie mit 17 Jahren verlassen hat. Ein Gespräch über Kämpferinnen, Klischees und Konkurrenz.

Katja Fedulova

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Wurde 1975 in Leningrad geboren. Als 17-Jährige floh sie aus dem Chaos der Perestroika nach Deutschland. Sie studierte unter anderem an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Seit 2005 ist Katja Fedulova als freie Kamerafrau und Regisseurin tätig.

SRF: Sie haben sich aufgemacht, im heutigen Russland Kämpferinnen zu suchen, wie ihre Grossmutter eine war. Erfolgreich?

Katja Fedulova: Mir tut es unheimlich leid, dass Frauen, obwohl sie so viel Potential und Stärke haben, immer noch in ihrer Entwicklung, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gehindert werden. Der Chauvinismus hat in Russland eine lange Tradition. Zwar treten dort Frauen als scheinbar starke Persönlichkeiten in die Öffentlichkeit, meist zieht aber bei ihrem Tun und Lassen irgendein Mann im Hintergrund die Fäden.

Im März 2018 wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Schon jetzt ist klar, es wird wieder Wladimir Putin sein. Aber überraschenderweise und nach sehr langer Zeit, haben sich drei Frauen für die Präsidentschafts-Kandidatur beworben. Sie stehen in Opposition zu Putin und pochen auf ihr Recht, wonach sich jede Frau und jeder Mann im Land für die Kandidatur des Präsidenten aufstellen lassen darf. Doch die Frauen sind chancenlos. Ich bin überzeugt, dass auch hinter diesen Frauen Männer mit eigenen Interessen stehen. Einmal mehr sind die Frauen nur Marionetten.

Olga sitzt und daddelt mit ihrem Smartphone und Konstatin schaut sich im Spiegel an.
Legende: Olga Li und Konstantin Beresin Wie weit auch hinter Olga Li ein Mann – in diesem Fall Konstantin Beresin – die Fäden zieht, bleibt im Dunkeln. Katja Fedulova

«DOK» am Donnerstag

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2017 jährt sich die Russische Revolution zum 100. Mal. Aus diesem Anlass zeigen wir den Film von Katja Fedulova «Glaube Hoffnung Liebe», am 15. November 2017, um 22:55 Uhr, SRF 1

Olga und Natalia, zwei Protagonistinnen aus Ihrem Film, sehen aus wie Models und laufen konsequent in diesen unglaublich hohen Hacken durch die Welt. Muss eine Frau, die in der Öffentlichkeit für etwas kämpft, in Russland in das gängige Schönheitsideal passen?

Ja, auf jeden Fall. Russische Frauen, wenn sie nicht gerade im hintersten Dorfwinkel leben oder alkoholkrank sind, sind gepflegt und achten sehr auf ihr Äusseres. Es gibt in Russland nach wie vor mehr Frauen als Männer. Und es gibt nur wenige Männer, die nicht Alkoholiker oder sonst irgendwie kaputt sind. Es stehen also nur wenige Männer zur Auswahl, mit denen sich eine Frau eine Zukunft vorstellen kann. Die Konkurrenz unter Frauen ist gross, und da hilft es, gut auszusehen.

Wenn also eine Frau politische Ambitionen hat oder in der Musik- und Filmbranche etwas erreichen will, muss sie in jedem Fall gut aussehen. Sonst wird sie schlicht nicht wahrgenommen.

Natalia steht auf der Brücke mit einem Plakat.
Legende: Abtreibungsgegnerin Natalia Moskwitina: «Nur Frauen werden Russland verändern.» Katja Fedulova

Wie lange haben Sie die zwei Protagonistinnen begleitet?

Mein Filmteam und ich waren insgesamt viermal in Russland. Nur so konnte ich die Entwicklung der Frauen zeigen. Als ich Natalia kennenlernte, hatte sie ihre politische Karriere gerade erst gestartet. Am Anfang der Dreharbeiten hatte ich keine Ahnung, ob sie Erfolg haben würde. Für den Film war es sicher ein Glück, dass Natalias Karriere in ihrem Sinn so gut verlaufen ist. Inzwischen ist Natalia politisch anerkannt. Sie begann mit ihrer Mission ganz alleine auf der Brücke mit einem Plakat. Am Ende des Films steht sie auf einem Podium vor vielen Menschen, die an ihren Lippen hängen. Solche Szenen bekommt man nur, wenn man sich als Filmemacherin Zeit nimmt.

Haben Sie noch Kontakt zu den Protagonistinnen?

Selten. An Natalia bin ich privat nicht interessiert, ich finde ihre Ideologie schrecklich. Und bei Olga ist der Kontakt abgerissen. Sie hat die Wahlen verloren und ist seitdem untergetaucht.

Katja Fedulova sitzt in einem russischen Treppenhaus und telefoniert.
Legende: Katja Fedulova: «Die grossen Gefühle sind mir verdächtig geworden, sie werden so oft missbraucht. Und die Heimat retten sie auch nicht.» Katja Fedulova

Der Film ist sehr persönlich. Warum haben Sie diesen intimen Ansatz gewählt?

Wenn ich einen Film über Menschen mache, von ihnen verlange, dass sie sich öffnen, dann muss ich mich auch selber öffnen. Es ist wichtig für diesen Film, dass ich auch persönliche Dinge von mir preisgebe. Deshalb mache ich meine eigene Abtreibung zum Thema und thematisiere auch die Reaktion meiner Mutter. Denn ihre Reaktion ist sehr repräsentativ für die sowjetische Gesellschaft, in der Abtreibung als Verhütungsersatz gilt.

Warum ist die Anzahl der Abtreibungen in Russland so hoch?

Das ist ein Erbe der Sowjetzeit, in der wenig bis gar nicht über Verhütung gesprochen wurde. Auch Sex war immer ein Tabu. Unsere Eltern haben uns nicht aufgeklärt. Die Eltern haben immer gehofft, dass die Schule die Aufklärung übernimmt. Und die Lehrer in der Schule hofften, die Eltern würden aufklären. Aber die Menschen haben natürlich trotzdem Sex und die Frauen werden trotzdem schwanger. Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor miserabel. Deshalb bleibt die Abreibungsrate hoch.

Weshalb haben Sie mit 17 Jahren Russland verlassen und sind nach Deutschland gezogen?

Es war damals eine sehr schwierige Zeit in Russland. Boris Jelzin kam gerade an die Macht. Die Sowjetunion fiel auseinander. Die Arbeitslosigkeit war hoch, auch meine Eltern hatten keine Arbeit mehr. Wir mussten buchstäblich hungern. Die meisten Unis waren aus finanziellen Gründen geschlossen. Für die wenigen Hochschulen, die noch offen waren, musste man viel Geld hinblättern. Zudem gab es eine sehr hohe Kriminalität.

Es gab damals die Möglichkeit, mit einem Studentenvisum nach Deutschland zu gehen. Diese Chance habe ich genutzt. Ich wollte weg aus dem Chaos.

Ein Kameramann hat Olga Li im Bild.
Legende: Dreharbeiten mit Olga Li: Mit 17 ist Katja aus Russland weggegangen. Doch die Heimat lässt sie nicht los. Katja Fedulova

Warum lässt Sie das Thema Russland nicht los?

Ich habe Russland tortz des Chaos nicht gerne verlassen. Ich hatte damals einfach keine andere Option. Meine Mutter, alle meine Freunde, sind in Russland geblieben. Als Putin an die Macht kam, habe ich mit Bedauern gemerkt, dass Russland einen Rückschritt macht. Dass immer mehr Menschen immer mehr zu sowjetischen Ideologien zurückkehren. Es ist fast die gleiche Ideologie wie zu Zeiten von Lenin. Es ist genauso verlogen.

Ich habe mich in Deutschland gut integriert und inzwischen einen anderen Blick auf Russland, als meine Freunde, die dortgeblieben sind. Aber ich habe auch einen anderen Blick auf Russland als meine deutschen Freunde. Deshalb bin ich vielleicht die Richtige, um diese besondere, aktuelle Situation in Russland aufzuzeigen.

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