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Roost über die Gefahr eines Lagerkollers
Aus Sport-Clip vom 31.07.2020.
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NHL-Scout Roost zum Re-Start Roost: «Sehr spektakulär, aber sportlich fragwürdig»

Lange mussten sich die NHL-Fans gedulden, seit dem 12. März ist die beste Eishockey-Liga der Welt wegen des Coronavirus unterbrochen. Am 1. August wird die Wiederaufnahme einer Saison lanciert, die so ist wie keine je zuvor: Sämtliche Teams sind an nur zwei Orten, die sie nicht verlassen dürfen, vor der endgültigen Entscheidung werden Pre-Playoffs gespielt.

Wir haben mit NHL-Scout Thomas Roost über den Re-Start der NHL gesprochen: Welche Vorkehrungen wurden getroffen? Mit welchen Chancen und Gefahren sieht sich die NHL konfrontiert? Und droht den Spielern nun eine besondere psychische Belastung?

SRF Sport: Am 1. August wird der Spielbetrieb in der NHL wieder aufgenommen. Wie gross ist Ihre Vorfreude, dass es weitergeht?

Thomas Roost: Ich persönlich freue mich riesig, ich habe die NHL sehr vermisst. Ich bin aber nicht repräsentativ, sondern ein «Puckhead». Aus Sicht der NHL geht es einfach um Business, um Geld.

Wie sieht dann der Alltag eines NHL-Cracks aus?

Die Spieler sind sozusagen im goldenen Käfig kaserniert, werden täglich getestet. Es gibt orchestrierte Tagesabläufe, unglaubliche Sicherheitsmassnahmen. Ich stelle mir das nicht wahnsinnig lustig vor. Vielleicht die ersten beiden Wochen, aber wenn man bis in den Final kommt, ist das eine psychische Belastung. Auch wenn man sich das schön vorstellt: ein Fünf-Sterne-Hotel mit Swimming Pool und Massage, exzellentem Essen – es ist nicht so einfach. Weder Freunde noch Familie darf man in dieser Zeit sehen. Da sind die Teampsychologen gefragt.

Wie beurteilen Sie das Format mit vorgängigen Pre-Playoffs?

Es ist für die Zuschauer sehr spektakulär. Das Playoff-Format ist aber grundsätzlich sportlich fragwürdig, jetzt wird es noch fragwürdiger. In sehr kurzer Zeit entscheidet sich sehr vieles. Wenn da ein Schlüsselspieler 2-3 Wochen ausfällt oder ein Formtief hat, ist man weg vom Fenster. Aber für die Geldmaschine NHL ist es hervorragend.

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«Noch fragwürdiger als sonst»
Aus Sport-Clip vom 31.07.2020.
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Ist das eine faire Lösung?

Fair ist es schon, weil es für alle Beteiligten gleich ist. Der Zufallsfaktor spielt jedoch eine noch grössere Rolle als sonst schon in den Playoffs.

Pro Stadion werden 32 statt der üblichen 20 Kameras installiert. Es wird eine Weltklasse-Übertragungstechnik geben.

Wo sehen Sie bei der Fortsetzung Gefahren und wo Chancen?

Die Gefahr ist natürlich, dass sich eine grosse Gruppe von Spielern oder Funktionären gleichzeitig infiziert. Dann müsste man die Playoffs wohl abbrechen. Ich denke aber nicht, dass das eintreffen wird. Die Massnahmen sind enorm. Die Spieler sind abgeschirmt, jeder Spieler wird täglich auf Corona getestet. Es gibt ein detailliertes Protokoll, wonach ein betroffener Spieler in die Quarantäne muss, nicht aber das ganze Team.

Eine Chance ist es vor allem für das Fernsehen. Mit riesigem Aufwand werden die Übertragungen vorbereitet. Pro Stadion werden 32 statt der üblichen 20 Kameras installiert. Es wird eine Weltklasse-Übertragungstechnik geben. Hintergrund ist hier: In anderthalb Jahren werden die Übertragungsrechte der NHL neu vergeben. Wenn die NHL nun hohe Einschaltquoten einfährt, ist sie dann in einer guten Verhandlungsposition.

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Roost über die Chancen und Gefahren des NHL-Restarts
Aus Sport-Clip vom 31.07.2020.
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Die Teams sind nun an den Spielorten eingetroffen. Wie gehen Spieler und Funktionäre mit der speziellen Situation um? Wie ist die Stimmung?

Das ist sehr individuell. Es ist sicher eine Mischung aus Vorfreude und Unsicherheit. Dazu kommt der Respekt vor einem Lagerkoller. Die Teams sind ja wie gesagt in einem «goldenen Gefängnis» eingesperrt. Es wird alles unternommen, um das zu verhindern. Die Spieler haben sämtliche Annehmlichkeiten innerhalb dieses «goldenen Gefängnisses».

Sven Bärtschi verzichtet wegen des Coronavirus freiwillig auf eine Teilnahme ...

Ich glaube, das ist eine Ausnahmemeinung eines Spielers. Ich glaube nicht, dass viele Angst davor haben, sich zu infizieren. Und wenn sie angesteckt sind, haben sie als junge, fitte Sportler auch weniger das Risiko, schwer vom Virus erwischt zu werden.

Hat es Konsequenzen, wenn ein Spieler sich nicht in den Dienst der Mannschaft stellt?

Wäre Bärtschi ein wichtiger Spieler des Teams gewesen, wäre das nicht gut angekommen. Er war aber in einer anderen Situation, da er ja schon die ganze Saison ins Farmteam abgeschoben worden war. Er dachte sich wohl, dass es nicht gerade attraktiv wäre, kaserniert zu werden und dann möglicherweise nicht einmal zu spielen. Vielleicht hat er auch nicht im Hinterkopf, dass er sich für ein anderes Team für nächste Saison aufdrängen könnte. Ich denke nicht, dass es einzig um die Angst vor einer Ansteckung geht.

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Roost beurteilt Bärtschis Absage
Aus Sport-Clip vom 31.07.2020.
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Toronto und Edmonton wurden als Austragungsorte gewählt. Weshalb diese beiden Städte?

Dem ging eine detaillierte Evaluation voraus. Ich kann nicht genau sagen, weshalb genau diese Städte, aber ich weiss, weshalb man zwei Orte in Kanada gewählt hat: Dort ist die Infektionsrate viel tiefer als in den USA.

Das ist die typische amerikanische Doppelmoral.

Gibt es hier Vor- oder Nachteile für gewisse Teams?

Meiner Meinung nach überhaupt nicht. Es gibt weder Heimvorteil noch Auswärtsnachteil. Die Maple Leafs dürfen sich in Toronto nicht einmal in der eigenen Kabine umziehen.

Man konnte auch lesen, dass Kraftausdrücke zensiert werden im TV ...

Da leidet die Authentizität darunter. Für mich gehören Kraftausdrücke zum Eishockey, doch das ist die typische amerikanische Doppelmoral.

Thomas Roost

Thomas Roost

NHL-Scout

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Thomas Roost ist seit über 20 Jahren NHL-Scout und beurteilt für die Europa-Abteilung des Central Scouting Bureaus (CSB) der NHL talentierte Spieler in der Schweiz und Deutschland. Zudem arbeitet der 59-Jährige im Teilmandat als Scout für den EHC Biel.

Die Mannschaften haben seit Monaten nicht mehr gespielt. Jetzt geht es fast von 0 auf 100. Sind die Teams bereit?

Sie sind körperlich bestimmt fit, hatten auch einige Testspiele. Aber es ist das grosse Fragezeichen, wie das auf dem Eis aussieht. Ich erwarte hochklassiges Eishockey. Ich bin ein wenig vorbelastet vom Fussball. In der Bundesliga fand ich, dass das Niveau sehr hoch war – auch ohne Publikum. Dasselbe erwarte ich auch in der NHL.

Welches ist Ihr persönlicher Favorit auf den Stanley Cup?

Das ist eine Frage, die mich aufs Glatteis führen könnte. Die Playoffs haben auch sehr viel mit Glück zu tun. Trotzdem: Washington gehört bestimmt zu den Favoriten, auch Colorado, Boston, Tampa Bay. Das sind die Topfavoriten. Bei Boston ist interessant: Sie könnten schon in der ersten regulären Playoff-Runde auf Tampa Bay treffen. Das wäre ein Riesenspektakel.

Kann man mit Überraschungen rechnen?

Es gibt so Teams. Zumindest, wenn man nach der Setzliste nach der Regular Season geht: Da spielen im Westen die Edmonton Oilers als Nummer 5 gegen die Chicago Blackhawks als Nummer 12. Oder im Osten etwa die Rangers als Nummer 11 gegen die Nummer 6, Carolina. Sowohl Chicago als auch den Rangers traue ich da die «Überraschung» am ehesten zu.

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