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Mensch Zuger Archäologen ermitteln mit detektivischem Spürsinn

Im Gebiet der legendären Morgartenschlacht kamen mithilfe eines Metalldetektors neue Fundstücke ans Licht. Nun fängt die Arbeit der Archäologen an: Stammen die Gegenstände aus der Zeit der Morgartenschlacht 1315? Detektivischer Spürsinn ist gefragt – bei Dolchen noch mehr als bei Münzen.

Sie wollte eine Ritterrüstung. Am besten eine, in der noch das Skelett des Kämpfers steckt. Das hatte die Zuger Archäologin Anette JeanRichard dem Metallsucher Romano Agola augenzwinkernd aufgetragen, als er vor einigen Monaten Richtung Morgarten loszog. Im Auftrag der Kantone Zug und Schwyz sollte er schauen, ob er nicht doch noch Spuren einer einstigen Schlacht finden würde.

Mit der Ritterrüstung hätte JeanRichard endlich sagen können, dass es am Morgarten eine Schlacht gab. Und die Knochenfunde hätten bezeugt, ob die Schlacht um 1315 stattfand. Doch stattdessen sitzt sie nun vor Messern, Reitersporen, einem Hufeisen, Geschossspitzen und zwei Dolchen.

Eine Knacknuss für die Archäologin

Dass Romano Agola überhaupt etwas aufgespürt hat, was aus jener Zeit stammt, ist schon eine kleine Sensation (siehe Bildergalerie unten). Aber Funde mit dem Metalldetektor sind für die Archäologen eine echte Knacknuss.

Die Archäologin Anette JeanRichard steht an einem Tisch und zeigt die Morgarten-Funde und andere Waffen.
Legende: Die Dolche aus dem 14. Jahrhundert: Anette JeanRichard zeigt die beiden Waffen (vorne links) neben einem jüngeren Dolch und einem Schwert. SRF/Corinna Daus

Das Problem: Die meisten solcher Funde werden in der Nähe der Erdoberfläche gemacht und nicht, wie bei normalen Ausgrabungen, in einer zusammengehörenden archäologischen Schicht geborgen. Dort können nicht-metallische Fundstücke aus derselben Schicht die Datierung erleichtern. Zum Beispiel gibt es für kohlenstoffhaltige Materialien wie Knochen oder Holz naturwissenschaftliche Methoden, die das Alter recht genau bestimmen.

Ein erster Hinweis

Für Metall gibt es solche Methoden nicht. Noch dazu sind Gebrauchsgegenstände aus Metall sehr lange haltbar und können deshalb weniger leicht einer Epoche zugeordnet werden als beispielsweise Keramik: Eine Schüssel geht schnell mal kaputt und wird durch eine neue ersetzt, die dem aktuellen Zeitgeschmack entspricht.

Immerhin weiss man bei Dolchen, dass sie sich den Neuerungen der Rüstungen angepassten, die sie durchdringen sollten. Je sicherer die Rüstungen im Laufe des Spätmittelalters wurden, desto länger und robuster wurden die Klingen. Bis hin zum Panzerstecher Anfang des 15. Jahrhunderts, mit dem man die neu aufkommenden Metallpanzer durchbrechen konnte.

Die Dolche, die vor Anette JeanRichard liegen, müssen älter sein, denn die schmalen, rhombischen Klingen sind weder besonders lang, noch besonders stabil.

Noch kein Beweis für die Schlacht

Glücksfall für Archäologen

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Weesen war eine aufblühende Handelsstadt, bis sie dem Krieg zwischen Eidgenossen und Habsburgern zum Opfer fiel. 1388 brannte der Ort ab und die Eidgenossen erliessen ein Siedlungsverbot. Erst 450 Jahre später wurde die Gegend neu besiedelt. Heute weiss man, dass alle mittelalterlichen Funde aus Wesen garantiert nicht jünger als 1388 sein können.

Um die Waffen zeitlich einordnen zu können, wälzten die Mittelalter-Expertin und ihre Kollegen Bücher, in denen Dolche aus anderen Fundstellen abgebildet und beschrieben werden. Schliesslich fand JeanRichard einen wichtigen Hinweis in der archäologischen Ausgrabungsstätte Alt-Weesen am Walensee (siehe Infobox rechts). Unter den dortigen Funden gibt es zwei Dolche, die so aussehen wie jene aus Morgarten. «Die Form, die Länge und Breite der Klinge, das passt alles» sagt JeanRichard. Sie kommt zu dem Schluss, dass ihre Dolche aus dem 14. Jahrhundert stammen dürften. Ein Beweis für die Schlacht?

«Die Schlacht zu beweisen, ist nicht unser Ziel», sagt die Archäologin, «wir können die Funde nur analysieren und versuchen, sie zu datieren». Die Waffen mit den verhältnismässig kurzen Klingen waren damals typische Stichwaffen und wohl bei grossen Bevölkerungsschichten vertreten. Sie hätten zum Kampf ebenso gut gebraucht werden können wie als Allzweckgerät. Vielleicht hat ein Reisender die Dolche an der rege benutzten Handelsstrasse, die am Ägerisee entlang ging, verloren oder deponiert. So könnte es auch bei den Münzen gewesen sein, die Romano Agola dort gefunden hat – verstreut auf einer Fläche von etwa fünf Quadratmetern.

Münzfund gibt neue Hoffnung

Für Morgarten-Gläubige dürften diese Münzen ein neuer Hoffnungsschimmer sein. Die Recherchen des Zuger Münzspezialisten Stephen Doswald ergaben, dass die Münzen alle zwischen 1275 und 1320 geprägt wurden.

Zwölf Silbermünzen brachte ihm der Metallsucher – alles Pfennige: sechs Basler, drei Zürcher, zwei Solothurner und einen aus Schaffhausen. Sie sind einseitig geprägt – sogenannte Brakteaten – und haben je vier Zipfel, was zu jener Zeit typisch war für die Region der heutigen Nordwestschweiz und des zentralen Mittellandes. Die Herkunft der Pfennige hatte der Kollegen von Anette JeanRichard schnell bestimmt. Dafür genügt ihm ein Blick auf die Prägungen. Besonders leicht machten es ihm die drei Münzen, auf denen «Turegum» zu lesen war, das lateinische Wort für Zürich. «Das sind mir die liebsten Münzen, wo alles drauf steht und ich gar nicht mehr überlegen muss», sagt Doswald verschmitzt.

Der Numismatiker Stephen Doswald sitzt lachend am Tisch mit dem Münzfund und verschiedenen Büchern.
Legende: Stephen Doswald vor dem Münzfund. Beim Diskutieren mit den Kollegen wird auch viel gelacht. SRF/Corinna Daus

Wie alt waren die Münzen?

Das Alter der Münzen bereitet ihm schon grösseres Kopfzerbrechen, denn sie haben kein Prägedatum; das tritt auf dem Gebiet der heutigen Schweiz erst ab dem 15. Jahrhundert auf. Nach einiger Recherche weiss er, dass die Solothurner Münzen aus der Zeit nach 1300 stammen, die Zürcher um 1275 geprägt wurden und der Schaffhauser Pfennig im frühen 14. Jahrhundert.

Aber was sagen ihm die Bischofsprägungen auf den sechs Basler Münzen? Bischöfe gab es dort viele. Im Austausch mit einem Fachkollegen kann Doswald den Pfennigtyp schliesslich sicher dem Bischof Heinrich IV. von Isny zuweisen. Damit steht auch diese Prägezeit fest: zwischen 1275 und 1286.

Ein typischer Geldbeutel für die Zeit

Ein Vergleichsfund gibt zusätzliche Sicherheit. 2014 wurde in Lungern ein Schatz von mindestens 121 Silbermünzen aus der Gründerzeit der Eidgenossenschaft entdeckt. Die Zusammensetzung der Münzen ist bei beiden Funden ganz ähnlich. «Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich die alten Währungsgebiete immer mehr auflösten. Die Folge davon war, dass es eine zunehmende Durchmischung mit ortsfremden Münzen gab», erklärt der Numismatiker. Dies führte zu einem Potpourri an Münzen in den Geldbeuteln der Leute, der für jene Zeit typisch war.

Morgarten in Multimedia

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Die Zusammensetzung der Münzen weist nicht nur darauf hin, dass es sich um damals aktuelles Geld handelt. Die zwölf Münzen gehörten tatsächlich zusammen. Doswald nimmt an, dass sie in einem Leder- oder Stoffbeutel lagen, der sich mittlerweile zersetzt hat. «Aber ob sie bewusst dort deponiert worden sind oder ob sie verloren gingen? Das verraten uns die Münzen nicht», sagt er. Leider verraten sie auch nicht, ob sie gleichzeitig mit den Dolchen nach Morgarten kamen. Da ist es wieder, das Problem der fehlenden archäologischen Schicht.

Es kann sein – oder auch nicht

«Natürlich lassen auch wir der Phantasie manchmal freien Lauf», erzählt Anette JeanRichard. Ihr Kollege Stephen Doswald führt weiter: «Wir fragen uns schon, ob das Geld verloren ging, als genau an diesem Ort ein paar Schwyzer auf die Habsburger lauerten». Vielleicht sogar mit den Dolchen in der Hand. Aber die Dolche wurden an einem steilen Hang gefunden, an dem sich schwer kämpfen lässt. Und die Münzen hätten auch Jahre nach der Schlacht verloren gehen können. Genau wird man es nie wissen.

Es könnte also sein, dass die aktuell vorliegenden Fundstücke aus der Morgartenschlacht von 1315 stammen. «Aber beweisen können wir es nicht», sagt Anette JeanRichard. «Das, was wir heute wissen, ist immer der jetzige Stand des Irrtums.»

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