Es war einmal ein Spielfeld, ein Ball, zwei Tore und 22 Spieler. Diese Art des Fussballs ist im Profibereich längst Geschichte. Von GPS-Tracking, Live-Datenübertragung bis zu Virtual-Reality: «Ähnlich wie in unserem Alltag hat die Technik auch im Sport Einzug gehalten», sagt Daniel Memmert, Institutsleiter und Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. «Ganz besonders im Fussball.»
Wenige Sekunden, grosse Auswirkung
Die weltbeliebteste Mannschaftssportart hat im Vergleich mit Basketball, Hockey oder Handball in der Datenerfassung und Spielerauswertung die Nase weit vorn. Mit unterschiedlichen Folgen. Eine davon: «Wenn ein Spieler einen schlechten Tag hat, kann er sich nicht mehr im Team verstecken», so Memmert, einer der renommiertesten deutschen Sportwissenschaftler, der an der Schnittstelle zwischen Sport und Technologie forscht.
Ballbesitzstatistik, Passquoten, Laufdistanz oder Heatmaps sind nur einige Parameter, die routinemässig erfasst werden. Und klar belegen, wie sich der Fussball in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Ein Beispiel: Fussballer haben den Ball heute im Schnitt weniger als eine Sekunde am Fuss, vor 15 Jahren waren es noch bis zu drei Sekunden.
«Das macht das Spiel schneller», folgert Memmert, was er genau in seinem neuen Buch «Mind Match Fussball» beschreibt. Auch Pässe seien heute präziser, was die Spieldynamik ebenfalls beschleunigt. Jedoch lassen sich keine Aussagen über einen längeren Zeitraum machen, denn für Längsschnittstudien fehlen schlicht die Vergleichsdaten aus der Vergangenheit.
Warum nicht mehr Tore fallen
Klar ist aber, dass sich die Daten vielfältig nutzen lassen – so auch für die Spielvorbereitung. «Wer mehr über das gegnerische Team weiss, über ihre Taktik und auch die Stärken der einzelnen Fussballer, kann das Verhalten des eigenen Teams gezielter darauf abstimmen», sagt Memmert. Der Clou: Deswegen fallen nicht zwangsläufig mehr Tore – wenn das Niveau der beiden Teams gleich auf ist.
Im Sport schleicht sich immer wieder die Annahme ein: je mehr, desto besser. Das Beispiel zur Laufdistanz zeigt aber: «Wenn eine Mannschaft besonders viel läuft, heisst das noch lange nicht, dass sie das Spiel gewinnen wird», sagt der Sportwissenschaftler. Studien belegen sogar, dass die Mannschaft, die im Rückstand ist, im Schnitt mehr Kilometer zurücklegt.
Kreativität ist gefragt
Auch wenn die Fussball-Forschung auf Hochtouren läuft und Essenzen des Erfolgs herausdestilliert werden, irgendwo kommt jeder Top-Athlet an sein physisches Limit. Der Sportwissenschafter Daniel Memmert ist sich aber sicher, dass es in einem bestimmten Bereich noch viel Luft nach oben gibt. Nämlich in kognitiven Prozessen wie der Kreativität, der Aufmerksamkeit, der Antizipation und der Entscheidungsfindung.
«Viele Fussballspiele werden im Kopf entschieden», sagt Memmert. Ein spektakuläres Tor gelingt manchmal nur, wenn ein Stürmer sich nicht an einstudierte Spielzüge hält, sondern die Situation durch einen anderen, originelleren Laufweg löst. Auch daran forschen Memmert und sein Team und haben herausgefunden, dass Kreativität für den Erfolg eines Teams wichtig ist. Doch diese Forschung steht erst am Anfang. Bei all den Daten als Rezept zum Sieg darf aber eine entscheidende Zutat nicht vergessen werden: der Zufall. Er spielt eine gewichtige Rolle, ob das Spiel mit Toren gewürzt wird.