Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Bühne «Einstein on the Beach»: Theater um die Ängste der Moderne

Vor fast 40 Jahren schrieb das Schauspiel Theater- und Musikgeschichte: «Einstein on the Beach». Regisseur Robert Wilson und Komponist Philip Glass haben den klingenden Bilderreigen noch einmal in Berlin gezeigt. Das geht über eine lange Strecke gut, ist aber irgendwie auch eine Geisterstunde.

Im Theater ist immer alles neu. Was nicht sein muss, wie das Hauptereignis in diesem Berliner Theatermonat zeigt: «Einstein on the Beach» ist eine Wiederaufführung von 1976. Als Abschluss einer Welttournee gastiert das legendäre Schauspiel von Regisseur Robert Wilson und Komponist Philip Glass an den Berliner Festspielen. Man sieht Personenschützer, den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und den Ex-Bundespräsidenten Horst Köhler sowie jeden erdenklichen Kulturprominenten. Und nach mehr als vier Stunden gibt es Begeisterungsstürme. Für eine – im besten Sinne – museale Aufführung.

Ein surrealer Bilderreigen

Vor bald 40 Jahren hatte das Spektakel den Leuten den Kopf weggeblasen. Zu sehen gab es zum surrealen Bilderreigen montierte Motive aus dem Leben Albert Einsteins, die Musik war ein Strudel hypnotischer Wiederholungen, die wenigen Texte gehorchten den Gesetzen der Rhythmik, nicht des Sinns. Und die Tänzerinnen und Sänger bewegten sich oft wie Automaten.

Auch heute, in Berlin, ist dieser Maschineneffekt verblüffend: Die schwarze Helga Davis und die weisse Kate Moran tragen graue Hosen, eine weisse Bluse mit Hosenträgern und Turnschuhe. Der Look und die Gesten: streng. Die Sprache: Ein Mix aus Maschine und Erotik. Obwohl sie zuerst nur zufällige Zahlen in ihre Headsets aufsagen. Hier ist alles Form, Atmosphäre, Rhythmus. Darunter wummert ein Bass, der Chor setzt die Harmonie: «One, two, three, four, five...» Wie ein früher Sprachcomputer verschluckt Davis unmerklich ein paar Sounds.

Der ganze Abend ist eine Präzisionsarbeit in Extrabreit und Supergross. Albert Einstein liefert dazu nur die Stichworte. Wir sehen einen Zug auf Karton und einen als riesiges Ölbild – Klein-Albert mochte Spielzüge und seine Relativitätstheorie baute später darauf auf, dass sich Messungen auf fahrenden Objekten relativieren. Wir sehen, rührend heute, eine Plastikrakete an einer Schnur durch den Raum ruckeln, wie im Kindertheater. Wir sehen Gerichtsräume und Geschworene. Und eine Zeichnung über atomare Explosionen.

Nach der Ölkrise, mitten im Kalten Krieg

Die mehr als vier Stunden sind ein extrem kontrolliertes Oratorium über den Kontrollverlust in der Moderne. Die Zeit gerät aus den Fugen, viele Uhren sind ohne Zeiger, schwarze Scheiben, die sich vor das Zifferblatt schieben. Eine gläserne Standuhr mit einem Menschen drin: ein Sarg. Und immer dirigiert jemand etwas, das nicht zu steuern ist. Oft zeigen die Tänzer (Choreografie: Lucinda Childs) nach oben rechts, wie die Pfeile der russischen Avantgarde der 20er-Jahre, die so den Fortschritt symbolisiert hatte. Aber da ist nichts, man zeigt bewusst ins Leere.

Audio
Tobi Müller: «Man erfährt viel über die Geister von 1976»
aus Kultur kompakt vom 04.03.2014.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 39 Sekunden.

1976 ist sehr präsent: kurz nach der Ölkrise, mitten im Kalten Krieg, mitten in der Hochzeit der Postmoderne auch, als es darum ging, Gewissheiten in der Kunst aufzulösen. Die Musik von Philip Glass versinnbildlicht diese Dekonstruktion immerfort: Mehrere Rhythmen überlagern sich, die Metren wechseln schnell. Und doch sind es irrsinnig lange Schlaufen auf den zwei Keyboards, unterstützt von Bläsern und auch von der Geigerin Jennifer Koh mit Einstein-Perücke. Klingt nach Ordnung, lässt sich aber nicht voraussehen.

Früher war nicht alles besser – aber neuer

Das Theater sollte das öfter machen: seine Geschichte wieder aufführen. Man erhält in «Einstein on the Beach» einen guten Eindruck, was die Ängste und Wünsche dieser Zeit waren. Und sieht auf höchstem Niveau, wie sehr das damals junge Team aus Wilson und Glass damit spielte, mit Lust und Horror zugleich.

Man sieht aber auch, wie die beiden Globalkünstler schon damals zum Hochamt neigten, zur Kunstreligion. Die mitunter auch hohle Manieriertheit ist kein Spätwerk von Wilson. Eine Orgel variiert ein banales Riff (auch das ist Philip Glass), ein Leuchtbalken wird während zehn Minuten aus der Horizontale langsam in die Vertikale gehoben. In der Diagonalen sieht das dann aus wie das Logo der Deutschen Bank. Und alle gehen in die Knie. Früher war nicht alles besser. Aber neuer.

Meistgelesene Artikel