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Bühne Milo Rau macht dem globalen Kapitalismus den Prozess

Rohstoffplünderungen, Massaker und unsere eigene Verstrickung ins afrikanische Elend: Der Schweizer Regisseur Milo Rau versucht mit einem Theatertribunal die Folgen der Ausbeutung aufzuzeigen. Opfer und Regierungsvertreter wagen das Experiment – wenn auch mit unterschiedlichen Absichten.

Milo Raus Theatertribunale

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Milo Rau hat in Vergangenheit bereits verschiedene Theatertribunale stattfinden lassen. Darunter die Zürcher Prozesse (hier geht es zur Aufzeichnung des ganzen Prozesses), Breiwiks Erklärung oder der Ceausescu-Prozess. Im Kongo sind jedoch zum ersten Mal wirkliche Mitglieder der Regierung vertreten.

Bürgerkriege, Völkermord, durchgeknallte Attentäter: Kein anderer Theaterregisseur beschäftigt sich seit Jahren so hartnäckig mit den abgründigen Kapiteln der Weltgeschichte wie der Schweizer Milo Rau: Etwa mit dem Stück «Hate Radio», mit dem Rau den Sendebetrieb einer ruandischen Radio-Station rekonstruiert, die ihr Hörer mit Popsongs und zynischen Sprüchen zum Genozid aufrief.

Mit seinem jüngsten Projekt überbietet Rau sich selbst in der Beschäftigung mit monströsen Abgründen: Der 38-Jährige veranstaltet im kriegsversehrten Kongo ein Theatertribunal, um dort mit realen Akteuren die Folgen des globalen Kapitalismus zu untersuchen. Dabei geht es um Rohstoffplünderungen, Zwangsumsiedlungen durch Minenunternehmen und ein Massaker, das 35 Tote forderte.

Regierungsmitglieder setzen sich in Szene ...

«Vérité et Justice» – «Wahrheit und Gerechtigkeit» prangt in grossen Lettern über dem Portal des Theatersaals, in dem Rau sein «Tribunal sur le Congo» durchführt. Alle sind gekommen: der Gouverneur der Provinz Südkivu und seine Entourage als Vertreter der kongolesischen Regierung. Daneben der Oppositionspolitiker Vital Kamerhe, der sich im Ostkongo grosser Beliebtheit erfreut – und der Raus Tribunal als Bühne für seine Selbstdarstellung nutzt. Wie auch der Gouverneur.

Das Kongo Tribunal – Teil 2

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Das Kongo Tribunal ist eine zweiteilige Veranstaltung, die in Berlin in den Sophiensälen fortgesetzt wird. Im zweiten Teil stehen die Verwicklung der EU, der Weltbank, der internationalen Gemeinschaft und der multinationalen Unternehmen im Mittelpunkt. Der Film zum Projekt, der im Frühjahr 2016 ins Kino kommt, wird von SRF koproduziert.

Milo Raus «Tribunal sur le Congo» ist mehr als ein Porträt des politischen Machtgerangels im Kongo. Es ist auch eine Demonstration, was Theater leisten kann: Jeden Tag kämpft die persönliche Mitarbeiterin des Gouverneurs um mehr Sitzplätze im Theatersaal für die Regierung, damit sich diese vor den zahlreichen Kameras im Saal in Szene setzen können. Und immer, wenn Rau sein Theatertribunal eröffnet, erheben sich die Vertreter der Regierung und der Opposition, obwohl es sich um ein fiktives Gerichtsverfahren ohne juristische Folgen handelt.

... und reden sich um Kopf und Kragen

Auch sonst geschieht während des dreitägigen Tribunals Erstaunliches, was in einem regulären Parlamentsbetrieb oder in einem juristischen Verfahren kaum möglich ist. So etwa, als der Innenminister der Provinz Südkivu sich in der Befragung durch Raus unabhängige Expertenjury um Kopf und Kragen redet: Er wisse nicht, ob die Polizei in jener Nacht im Dienst war, als das Massaker in Mutarule 2014 geschah. Geraune im vollbesetzten Saal.

Gespräche, die ausserhalb des Theaters unmöglich wären

«Wir wollen ein richtiges Tribunal!», skandieren am Schlusstag einige Demonstranten vor dem Collège, in dem Raus Theatertribunal stattfindet. Angesichts der sieben Millionen Toten, die der Krieg und der Hunger im Kongo gefordert hat, wollen sich die Protestierenden nicht mit einem fiktiven oder symbolischen Gerichtsprozess zufrieden geben, so dankbar die Demonstrierenden auch sind, dass Rau im Kongo sein Tribunal veranstaltet.

An der Wichtigkeit von Raus Kongo Tribunal zweifelt keiner der Anwesenden. Dazu ist es zu erfolgreich: Während drei Tagen harren Regierungs- und Oppositionspolitiker während mehrstündigen Verhandlungen aus, exemplarische Einzelfälle und globale Forderungen kommen zur Sprache, Intellektuelle und einfache Leute wie eine Bäuerin versammeln sich für die Debatte.

Gespräche, die ausserhalb des Theaters kaum möglich wären

Das ist etwas, was in der kongolesischen Realität ausserhalb des Theaters kaum möglich ist – und deshalb eine grosse Kraft entfaltet. So etwa, als eine Maniok-Bäuerin von einer Zwangsumsiedelung durch eine Minenfirma erzählt, zu der es kam, nachdem unter ihrem Haus das Coltan-Erz gefunden wird, das in jedem unserer Handys verbaut wird.

Genau das ist der Grund, warum Milo Rau sein Theatertribunal im Kongo stattfinden lässt: Er will vor Ort zeigen, «was für ein Geflecht aus Akteuren das ist, das dazu führt, dass hier täglich hunderte von Menschen sterben. Und was das über unsere globalisierte Welt aussagt.»

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