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Anna Musytschuk.
Legende: Die Meisterin bleibt der WM fern: Anna Musytschuk, 2011 bei einem Turnier in Griechenland. Wikimedia/Andreas Kontokanis
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Boykott der Schnellschach-WM «Ich will mich als Frau nicht als Wesen zweiter Klasse fühlen»

Eine der besten Schachspielerinnen der Welt verzichtet auf weitere WM-Medaillen – um gegen die Diskriminierung von Frauen in Saudi Arabien zu protestieren.

«In einigen Tagen werde ich zwei Weltmeister-Titel verlieren», schrieb Anna Musytschuk kurz vor Weihnachten auf Facebook.

Die Ukrainerin ist die zweitbeste Schachspielerin der Welt und zweifache Weltmeisterin im Schnell- und Blitzschach. Letzteren Titel hätte sie diese Tage in Riad verteidigen sollen.

Doch: «Ich habe beschlossen, nicht nach Saudi-Arabien zu fahren», teilte Musytschuk mit. Denn: «Ich will mich nicht als Wesen zweiter Klasse fühlen.»

Protest gegen Kleidervorschriften

Sie wolle keine Abaya – ein langärmliges Überkleid mit Kopftuch – tragen und nicht nur in Begleitung eines Mannes vor die Tür gehen, so Musytschuks Begründung für den Boykott des Turniers.

Sie spricht damit die beiden Vorschriften an, die der saudi-arabische Schachverband den Spielerinnen auferlegt hat. Sie gelten zwar nicht für das Turnier selbst, aber ausserhalb des Veranstaltungsorts.

Bei der WM in Teheran im März 2017 trug Anna Musytschuk ein Kopftuch.
Legende: Bei der WM in Teheran im März 2017 trug Anna Musytschuk ein Kopftuch. Keystone

Sie habe bereits mit den Kopftuch-Vorschriften bei der Schach-WM im Iran im letzten März gehadert, erklärte Musytschuk in einem anderen Facebook-Post. , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnenDie aktuellen Kleidungsvorschriften hätten das Fass zum Überlaufen gebracht.

Viel Verständnis – aber nicht nur

In den sozialen Medien erhielt die Schachmeisterin viel Zuspruch – aber auch Kritik. Einige warfen ihr vor, doppelzüngig zu sein, weil noch immer viele WM-Bilder von ihr mit Kopftuch kursieren.

Eine Korrespondentin des Spiegels schrieb, sie halte einen Boykott für den falschen Weg:

Auch andere kritisieren das Turnier

Musytschuk ist nicht die einzige, die das Turnier in Saudi-Arabien meidet. Auch Hikaru Nakamura, ein US-amerikanischer Schachspieler, verzichtete auf eine Teilnahme.

Schachturniere sollen Menschen zusammenbringen, schrieb er auf Twitter. Sie dort auszurichten, wo Menschenrechte missachtet werden, sei schrecklich.

Nakamura störte sich besonders daran, dass Spieler aus Israel, Katar und dem Iran – politische Gegner Saudi-Arabiens – kaum oder gar nicht an Visa kamen.

Auch nicht alle Saudis haben Freude an Schach in ihrem Land: Ein Grossmufti erklärte das Spiel letztes Jahr als unvereinbar mit dem Islam und verbot es. , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnenSchachprofis gibt es keine im Land.

Geld vor Sport

Dass die Blitz- und Schnellschach-WM ausgerechnet dort stattfindet, hat eher damit zu tun, dass der vermögende Staat die hohen Kosten dafür ohne Probleme übernehmen kann. , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen

Die Aufregung erinnert daher an Proteste gegen die Fussball-WM 2022 in Katar: Auch hier gibt es – sportlich betrachtet – wenig Grund für die Wahl des Austragungsorts und viele Einwände mit Blick auf die Lage der Menschenrechte:

«Nobody really cares»

Aus politischen Gründen auf Medaillen verzichten? Das sei auch für sie ärgerlich, liess Anna Musytschuk ihre Fans auf Facebook wissen: Schliesslich hätte sie dort in fünf Tagen mehr verdient als über das ganze Jahr. Am meisten störe sie aber, dass sich niemand wirklich dafür interessiere.

Die Reaktionen geben ihr Unrecht: Blitzschach ist nicht gerade eine Mainstream-Sportart. Trotzdem haben in den vergangenen Tagen viele Medien über den Boykott berichtet.

Protestierende Sport-Stars

Frauen in Saudi Arabien

Box aufklappen Box zuklappen

In den letzten Monaten hat das Königshaus den Frauen in Saudi-Arabien mehr Rechte gewährt: sie dürfen nun etwa Auto fahren oder ein Sportstadion besuchen. Trotzdem bleiben viele öffentliche Plätze nach Geschlechtern getrennt, Frauen müssen sich verhüllen.

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