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Cornelia Kazis Eine wunderfitzige Journalistin tritt ab

Wer Radio SRF2 Kultur hört, kennt die Stimme von Cornelia Kazis. Nun geht sie in Pension. Redaktionsleiter Christoph Keller erinnert an eine Kollegin, die ein Stück Radiogeschichte massgeblich mitgeschrieben hat und an eine Reihe ihrer Sendungen, die in Erinnerung sind und bleiben.

Sie ist eine Zuhörerin, eine aufmerksame. Auch das war das Markenzeichen der journalistischen Arbeit von Cornelia. Sie schenkte einem Autisten ihre ganz besondere Aufmerksamkeit und brachte einen zum Reden, der noch nie in seinem Leben ein Interview gegeben hatte.

Sie nahm sich Stunde um Stunde, um zu verstehen, was es für ihr Gegenüber bedeutete, die Hälfte seines Gewichts zu verlieren. Sie hat zappeligen Kindern geduldig zugehört; auch etwas umständlichen, aber hoch kompetenten Expertinnen.

Sie konnte verstockte Diskussionspartner zum Plaudern bringen, sie gewann das Vertrauen von Menschen auf der Flucht, die sich vor dem Mikrofon scheuten. Sie hörte Sterbenden zu, die nach Worten rangen.

Sie wollte immer noch mehr wissen

Und sie besitzt diese Fähigkeit, immer an der richtigen Stelle nachzuhaken, auf ihre sanfte, aber bestimmte Art, die eines erkennen liess: Sie hatte den anderen zwar verstanden, wollte aber gerne noch mehr wissen.

So ist Cornelia Kazis zum Journalismus gekommen: Als ausgebildete Lehrerin, die in einem schwierigen, spannungsreichen Schulhaus im Basler Quartier St. Johann gelernt hatte, dass man nicht miteinander auskommen kann, wenn man sich keine Mühe macht, zu verstehen.

Buchhinweis

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Cornelia Kazis: «Dem Schweigen ein Ende», Lenos 1994

Sie hat ihren Sinn für Differenzen, aber auch ihr Gespür für Versagen, Verlust, Macht und Unterdrückung mit in ihren neuen Beruf eingebracht; hat sich eingearbeitet, viel gelernt, viele Herausforderungen angenommen, und bald einmal auch thematisch Zeichen gesetzt.

Mit ihren Recherchen zur sexuellen Ausbeutung von Kindern entstand erst eine Sendung, und aus ihr das viel beachtete Buch «Dem Schweigen ein Ende». Damit brach Cornelia für die Schweiz ein Tabu.

Sie war und bleibt ein «Wunderfitz»

Sie war immer wieder verwundert, was sich zwischen Eltern und pubertierenden Kindern, zwischen Kindern mit ADHS und verständnislosen Lehrern, zwischen Sterbenden und überforderten Pflegenden an kreativen, aber auch überraschenden Möglichkeiten auftun konnte – und welche Abgründe.

Den Abgründen vor allem wollte sie, wunderfitzig eben, auf den Grund gehen – erst im «Familienrat», den sie zeitweilig leitete, später in ihren Beiträgen für die Sendung «Kontext», immer wieder auch in anderen Formaten. Und ja, auch als schreibende Autorin, die viele Reportagen für das NZZ Folio und andere Publikationen schrieb; sie erhielt 2000 für ihre Reportage «Letzte Tage» den namhaften Egon-Erwin-Kisch Preis.

Cornelia liess nie locker, bis ein Beitrag so tönte, wie sie es sich vorstellte: Sie mischte Töne, Worte, Geräusche ohne jedes Haschen nach einem Effekt, vielmehr ganz nah an den Aussagen der Menschen, die ihr erzählt haben, die sich ihr manchmal auch anvertrauten.

Sendehinweis

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Legende: SRF

Ausgewählte Sendungen von Cornelia Kazis:

«Geschickt thematisiert die Redaktorin äussere und innere Veränderungen», beschied ihr die Jury des Basler Featurepreises bei der Prämierung ihres Features «Der entpuppte Mann» im November 2014.

Immer auf der Suche nach der neuen Herausforderung

Cornelia mochte und mag das Schwierige, und sie hat nie aufgehört, neue Herausforderungen anzunehmen. Etwa das Gespräch mit einem Taubstummen, was beim Radio nicht ganz einfach ist, oder eine sechsstündige Sendung zu Sex, eine Kindersendung übers Wünschen, oder eine Recherche zum Thema «Gerontopsychiatrie».

Überhaupt die Wörter – manchmal genügte ein Wort, über das sie stolperte, «Gaslighting», «Karborektiker», «Transmutismus» und schon war eine Idee entstanden, die Entwicklung eines Beitrags.

Cornelia Kazis geht jetzt in Pension. Mit dem Radio will sie im Hörpunkt «Das lange Gespräch» abschliessen; sie weiss um biografische Bruchstellen, und dass diese ein klares Zeichen brauchen.

Aber ihre samtraue, eindringliche Stimme klingt nach, bei den Hörerinnen, bei den Hörern – lange noch.

Sendung: Radio SRF2 Kultur, Hörpunkt, 2.10.2017, 9 Uhr

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