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Heilpraktiken vs. Seelsorge Können Hände heilen?

Handauflegen, Geistheiler, Jenseitskontakte: Die Schweiz ist ein Eldorado für Heilerinnen und Heiler. Der spirituelle Markt blüht. Viele finden dort, was sie bei der Schulmedizin vermissen.

Wie wichtig ist die Qualität des Angebots? Zählt allein der Heilerfolg? Ein Gespräch mit Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und -pädagogik.

Isabelle Noth

Isabelle Noth

Professorin an der Theologischen Fakultät der Universität Bern

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Isabelle Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und -pädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie initiierte und leitet dort den Studiengang «Spiritual Care». Noth war früher Pfarrerin und hat als Seelsorgerin auch in Kliniken und Gefängnissen gearbeitet.

SRF: Sie leiten einen Lehrgang für «Spiritual Care» an der Uni Bern. Welchen Stellenwert hat der Begriff «Heilen» in Ihrem Unterricht?

Isabelle Noth: In der christlichen Tradition ist Heilen ein wichtiger Auftrag. 2000 Jahre später suchen viele Menschen spirituelle Heilung ausserhalb kirchlicher und akademisch-medizinischer Angebote. Sie wenden sich alternativen Methoden zu und erhoffen sich einen positiven Einfluss auf ihre Gesundheit.

Berührung kann heilsam sein.

Handauflegen ist eine menschliche Geste, die guttut – und eine beliebte Behandlung vieler Heiler. Können Hände heilen?

Berührung kann heilsam sein, wenn sie gewünscht wird und freiwillig geschieht. Es dürfen jedoch keine unrealistischen Hoffnungen damit verbunden sein – wie zum Beispiel, dass ein Krebs so geheilt werden könne.

Ein Schild mit der Aufschrift: «Zur Handauflegung. Bitte hier warten!»
Legende: Berührungen können guttun. Ob sie auch heilen können, ist eine andere Frage. Keystone

Der Kontakt mit Verstorbenen durch Vermittlung eines Mediums scheint besonders beliebt, um Schmerzen oder ungelöste Konflikte zu überwinden.

Man kann auch ohne Jenseitskontakte mit Verstorbenen Frieden schliessen. Man kann sich zum Beispiel im Rahmen einer Übung eine verstorbene Person vorstellen und mit Hilfe eines Rituals Versöhnung suchen. Heikel wird es, wenn man diese Vorstellung für eine ausserirdische statt eine innerpsychische Realität hält.

Es hat noch keine wissenschaftlich seriöse Studie zeigen können, dass Pendeln etwas nützt.

Sie haben als Theologin nichts dagegen, wenn Heiler Elemente aus der traditionellen Religion einsetzen, zum Beispiel mit Hilfe von Marienstatuen pendeln?

Es hat noch keine wissenschaftlich seriöse Studie zeigen können, dass Pendeln etwas nützt. Dennoch verbinden sich damit bestimmte Wünsche und Hoffnungen. Diese interessieren mich.

Ich ziehe die Grenze zum Missbrauch dort, wo die Behandlung Personen in irgendeiner Weise gefährdet, psychisch oder physisch. Alles andere gehört für mich in den Bereich von Kreativität, Fantasie und Zuschreibung von Bedeutsamkeit.

Krankenheilung ist eines der Charismen des christlichen Glaubens – Jesus hat geheilt. Viele Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker spüren eine innere Gabe, andere Menschen zu heilen. Ist das vergleichbar?

Sich Menschen liebevoll zuzuwenden, ihnen aktiv zuzuhören und eine wohltuende Form der Beziehung aufzubauen, kann die Heilung eines Menschen unterstützen, ja sie sogar bewirken, wie wir aus der Psychotherapieforschung wissen.

Unsere Medizin ist einseitig auf den Körper fixiert.

Das ist keine übersinnliche Gabe. Es benötigt jedoch eine besondere Sensibilität, eine Einfühlungskraft.

Eine Hand hält eine andere.
Legende: Da sein, dem Gegenüber aktiv zuhören: Das könne die Heilung eines Menschen unterstützen, so Noth. Colourbox

Viele Heilpraktiker arbeiten mit einer Mischung aus Lebenserfahrung, Menschenkenntnis und Mitgefühl. Das sind doch Kennzeichen von guter Seelsorge?

In der Seelsorge geht man davon aus, dass man nie nur zu zweit ist. Man rechnet mit etwas Drittem; man hat die Beziehungsprozesse nicht allein in der Hand. In der christlichen Tradition spricht man vom Heiligen Geist.

Unsere Medizin ist technokratisch orientiert und einseitig auf den Körper fixiert. Wir wissen längst, dass unsere Einstellungen und Bewertungen die körperlichen Vorgänge stark mitbeeinflussen. Man bezeichnet das als psychobiologisches Korrelat.

Das bedeutet?

Was auf der psychischen Ebene geschieht, wirkt sich auf den Körper aus und umgekehrt. Wenn ich Angst habe, werden andere neuronalen Netze aktiviert und andere Hormone ausgeschüttet, als wenn ich entspannt und gelöst bin.

Glauben Sie, dass die Wirksamkeit einer Methode das entscheidende Kriterium ist, um ein Angebot zu beurteilen?

Man muss ausschliessen können, dass die Behandlung eine Person in eine Abhängigkeit bringt, sie irgendwie schädigt, zum Beispiel durch das Vorgaukeln falscher Tatsachen oder unsinniger Versprechen.

Dass sich auf dem esoterischen Markt viel Geld verdienen lässt, bereitet Ihnen keine Sorgen?

Die Sehnsucht, Naivität und Verletzlichkeit von Menschen finanziell auszunutzen, ist natürlich verwerflich. Ich war in der Psychiatrieseelsorge tätig und habe gesehen, was das anrichten kann.

Spirituelle Begleitung, Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn und die Fokussierung auf eigene Stärken können die Gesundheit befördern.

Sollen Krankenkassen all diese Behandlungen übernehmen?

Ich bin überzeugt, dass unsere Probleme im Gesundheitswesen durch ein ganzheitliches Menschenbild entschärft werden könnten.

Es ist zur Genüge belegt, dass spirituelle Begleitung, Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn und die Fokussierung auf eigene Stärken die Resilienz und die Gesundheit befördern können. Wie viele Leute gehen zum Arzt, damit ihnen endlich jemand zuhört?

Je stärker der kirchliche Einfluss schwindet, desto mehr suchen Menschen andere Angebote.

Pfarrerinnen, Priester, Seelsorgende bieten seelische Unterstützung. Sehen Sie eine Konkurrenz zwischen der kirchlichen Seelsorge und den freien Heilern und Heilerinnen?

Nein. Seelsorgende sind Vollprofis mit einem besonderen Anspruch und einer sehr langen und intensiven Ausbildung. Je stärker der kirchliche Einfluss jedoch schwindet, desto mehr suchen Menschen andere Angebote. Aber die Situation spiegelt insbesondere die eklatanten Defizite der Schulmedizin.

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