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Gesellschaft & Religion «Ich denke nie über mich selbst als ‹Schwarze› nach»

Taiye Selasi ist ein Star der internationalen Literaturszene. Wie sie selber auch, leben viele junge Leute mit afrikanischen Wurzeln auf der ganzen Welt verstreut. Auf die Suche nach ihrer Identität muss sie sich trotzdem nicht begeben, sagt sie.

Taiye Selasi

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Taiye Selasi ist 1979 in London geboren. Sie wuchs in den USA auf und hat dort ihr Yale-Studium summa cum laude abgeschlossen. Selasis Vater kommt aus Ghana, ihre Mutter aus Nigeria. Sie selbst lebt zurzeit in Berlin.

Taiye Selasi, wenn man Sie fragt, woher Sie kommen, müssen Sie eine sehr lange Antwort geben.

Taiye Selasi: Normalerweise lache ich bei dieser Frage nur. Wenn ich alles aufzähle, gibt das zwar eine Landkarte meines Backgrounds. Aber die Frage, woher ich komme, beantwortet es nicht. Einfacher ist die Frage nach der Heimat. Heimat ist dort, wo ich geliebt werde und wo ich liebe. Wenn ich mit meiner Zwillingsschwester bin, oder in Ghana bei meiner Mutter, fühle ich mich zu Hause.

Sie scheinen sich an vielen Orten auf der Welt zu Hause zu fühlen. Zurzeit leben Sie in Berlin, vorher wohnten sie drei Jahre lang in Rom. Wie wuchsen Sie auf?

Meine Mutter war Kinderärztin. Alleinerziehend zog sie meine Zwillingsschwester und mich in London auf. Dann verliebte sie sich in einen Amerikaner und wir verbrachten unsere prägenden Jahre in Brookline bei Boston. Vieles aus meinem Roman spielt sich dort ab. Meine Schwester und ich studierten beide in Yale, ich ging danach nach Oxford.

Fühlen Sie sich auch als Afrikanerin, obwohl sie nie dort gelebt haben?

Das ist ein Klischee. Es gibt ein tiefes Missverständnis darüber, wie Menschen sich zugehörig fühlen, zu welchen Nationen und Kulturen. Niemand auf der Welt ist Deutscher wegen des Bluts, das durch seine Venen fliesst. Was uns zum einen oder anderen macht, ist unsere Kultur. Und die vermittelt sich durch Beziehungen. Meine nigerianische Mutter zog ihre Kinder in Massachusetts auf, trotzdem blieb sie Nigerianerin. Ihre Kultur, ihre Werte, wie sie kochte prägten uns. Und auch wenn du nie in diesem Land gelebt hast, entwickelst du eine Beziehung. Aber so wie die Lage in Lagos und Accra aktuell ist, hat es nichts mit meinem täglichen Leben zu tun.

Gibt es da nicht eine grosse Zerrissenheit, einen inneren Zwiespalt in Ihnen? Ein dauerndes Suchen nach Identität?

Wenn wir sagen, dass wir auf Identitätssuche sind, suggeriert das, dass wir keine Identität haben. Selbstverständlich habe ich eine Identität. Ich habe Erfahrungen, Familie, eine Geschichte. Ich bin jemand. Meine Identität passt einfach nicht in die verfügbaren Schubladen. Vor rund zehn Jahren fing ich an, in meinem Essay «Bye-Bye, Babar» über mein Leben als Afrikanerin, die in der Diaspora lebt, nachzudenken. Ich bin Nigerianerin, ich bin Ghanaerin, und gleichzeitig habe ich nie in dem Land, das meine Eltern Heimat nannten, gelebt. Ich merkte, dass ich mich beiden Welten zugehörig fühle. «Afroplitan» scheint mir ein guter Ausdruck für all die jungen Menschen, die afrikanische Wurzeln haben, aber überall auf der Welt leben.

Taiye Selasis Debutroman

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Eine Familie, die Eltern aus Ghana und Nigeria, die Kinder in den USA aufgewachsen, wurde vor vielen Jahren durch ein Missverständnis getrennt. Nach dem Tod des Vaters treffen sie sich wieder. «Diese Dinge geschehen nicht einfach so» (S. Fischer, 2013) hat sich allein in Deutschland fast 100'000 Mal verkauft und wurde in 24 Sprachen übersetzt.

Sie leben in einer modernen, privilegierten Welt. Wie erleben Sie Rassismus heute?

Rassismus ist ein Denksystem. Es fängt an mit der Vorstellung, dass es schwarze Menschen gibt. Dass eine fundamental andere menschliche Rasse existiert, die wir als «Schwarze» bezeichnen. Wenn wir von dieser Prämisse ausgehen, landen wir augenblicklich im Rassismus. Das ist nur noch ein winziger Schritt davon entfernt zu denken: «Du bist anders und darum hast du es auch verdient, anders behandelt zu werden». Rassismus existiert und wird so lange existieren, bis wir kapiert haben, dass es nicht um Schwarze geht, sondern darum, dass wir alle Menschen sind – geboren im Senegal, in Ghana, in Stuttgart oder Zürich. Wir müssen also dahin kommen, dass Leute nicht denken, sie wüssten irgendetwas über mich, wenn sie mich sehen. Abgesehen von meiner Hautfarbe.

Mit welchen Mitteln kann man das erreichen?

Einer meiner liebsten Autoren, der unvergleichliche James Baldwin, hat einmal gesagt, dass wir durch das Schreiben die Art, wie Leute denken, verändern können. Auch wenn das nur ganz langsam passiert. Ich denke als Schriftstellerin genauso. Schreiben könnte ein machbarer Weg sein, unser Schubladendenken zu verändern. Aber noch sind wir gefangen in unserer Sprache. Wir sagen «Schwarze», wir sagen «Weisse». Ich persönlich denke nie über mich selbst als «Schwarze» nach. Durch unsere Venen fliesst dasselbe Blut. Wir müssen anfangen, diese Art der Sprache zurückzuweisen.

Inwiefern setzen Sie das in ihren Romanen um?

Ich versuche in Essays und Artikeln zu vermitteln, wie ich über die Welt nachdenke. Bei meinen Romanen hingegen – ich schreibe grade am zweiten – interessiert mich vor allem: Wie schaffe ich es, das nächste Kapitel zu beenden?

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