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Gesellschaft & Religion Im Sport zeigt sich unser Ideal einer gerechten Welt

Der Sport sei Abbild und Vorbild unserer Gesellschaft, sagt der Philosoph Jürgen Wiebicke. Unser Fortschrittswahn und unsere Vision von Gerechtigkeit würden sich darin spiegeln. Deshalb sei der Triumph des Sportlers immer auch unser eigener – moralischer – Triumph.

Sportler haben in der Regel die gleichen Startbedingungen. Keiner hat Vorsprung, alle starten von derselben Linie. Ausser jemand greift zum Doping. Das ist ungesund und unfair, wird gesagt. Aber was, wenn die Substanzen ungefährlich und restlos alle Sportler gedopt wären? Dann wären die Startbedingungen wieder identisch. Aber die Freiheit wäre verloren: Wer sauber bleiben möchte, würde zurückfallen. Man hätte keine Wahl.

Zur Person

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Legende: zvg

Jürgen Wiebicke ist Philosoph und Moderator der wöchentlichen Radiosendung «Das philosophische Radio» auf WDR 5.

Doping und das Ende des «American Dream»

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum wir die Geschichten rund ums Doping als Skandal wahrnehmen. Sport ist nicht nur Sport – in ihm spiegelt sich auch unser Gesellschaftsideal, wie der Philosoph Jürgen Wiebicke betont. Unsere moralischen Anforderungen an den Sport seien besonders hoch.

Wir sehen im Sport nämlich ein Modell für die ideale Leistungsgesellschaft, mit allem, was dazu gehört: Gemeinsinn, Chancengleichheit, Konkurrenz, Aufstiegsmöglichkeiten, Selbstverwirklichung und Erfolg. Der Sport sei für viele ein Sinnbild einer gerechten Gesellschaft, meint Wiebicke: «Der Leistungssport – und das ist das Politische an ihm – versucht, das einzulösen, was die sogenannte Leistungsgesellschaft nicht hinkriegt. Denn dort entscheidet fast immer die soziale Herkunft über Lebenschancen, der Weg nach oben ist häufig verriegelt.»

Mensch gegen Technik

Audio
Jürgen Wiebicke über Sport und Ethik
02:09 min
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 9 Sekunden.

Der Sport als heile und gerechte Welt? Sportler als Vorbilder in Sachen Moral? Denkt man an Doping, Ausbeutung und Korruption, wirken diese Fragen rhetorisch. Sport ist eben beides: Wunschbild und Abbild unserer Gesellschaft.

Das fängt bei der Chancengleichheit an: Talente und Anlagen sind nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Sport ungleich verteilt. Und auch im Sport zeigt sich, wie Wiebicke betont, die «Steigerungslogik» unserer Gesellschaft: Höher, schneller, weiter – auch mit den Mitteln der Technik. Überall wird am Material getüftelt – die Formel 1 lässt grüssen. Dabei wollen Sportfreunde doch eigentlich nur die Natur bewundern: Die spielerische Entfaltung menschlicher Begabungen.

Buchhinweis

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Jürgen Wiebicke: «Dürfen wir so bleiben wie wir sind? Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention.» Köln, 2013.

Die Schönheit des Sports

Wenn wir gebannt dem russisch-schweizerischen Snowboarder und Olympiagewinner Iouri Podladtchikov in der Halfpipe zuschauen, dann bewundern wir ein schwingendes Pendel aus Anlage und Anstrengung, Mitgift und Wille, Leichtigkeit und Kraft. Vielleicht liegt in dieser Mischung auch die verführerische Schönheit, von der Friedrich Schiller meinte, sie sei «Freiheit in der Erscheinung».

Doping wirkt in diesem Prozess der freien Selbstentfaltung wie ein Fremdkörper. Überraschenderweise ist das in der Kunst anders: Van Goghs Bilder sind nicht weniger wert, weil sie im Absinth-Rausch gemalt wurden. Zwar spiegelt sich auch in der Kunst unsere Gesellschaft, aber eben auf andere Weise als im Sport.

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