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Gesellschaft & Religion In Italien ist der Teufel los

Der Teufelsglaube ist mit einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft unvereinbar – würde man meinen. In Italien ist die Nachfrage nach Exorzisten in nur fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen. Der Satan ist aktiver denn je, sind die Teufelsaustreiber überzeugt.

Padre Gabriele Amorth ist jeden Tag zwischen 16 und 17 Uhr per Telefon zu erreichen. Im Prinzip. Denn wer ihn sprechen will, muss einen langen Atem haben. Der berühmteste Exorzist Italiens ist vielbeschäftigt. Er empfängt auch mit 88 Jahren noch täglich Gläubige. Wer zu Gabriele Amorth nach Rom reist, erhofft sich, vom Bösen erlöst zu werden. 70‘000 Exorzismen will der Doyen der italienischen Exorzisten in 21 Jahren durchgeführt haben. Für Amorth steht fest: Der Satan ist aktiver denn je.

27 Dämonen-Legionen in einer Person

Der Exorzist mit dem unheimlichen Gesichtsausdruck ist auch ein gern gesehener Gast in Fernseh-Talkshows. TV 2000, der Sender der italienischen Bischöfe, nimmt das pikante Thema Exorzismus ebenso gerne auf wie die staatlichen Sender der RAI. In einer Sendung auf RAI Due trat der Exorzist Amorth gemeinsam mit einem 42-jährigen Galeristen aus Sizilien auf, der von 27 Dämonen-Legionen besessen gewesen sein soll.

Der Mann litt an schwersten, mit Medikamenten kaum behandelbaren Asthmaattacken. Nach fünf Jahren und unzähligen Exorzismen sei er nun geheilt, erzählte der Mann vor der Kamera. Er beteuerte, bis zu dieser Erfahrung nicht an den Satan geglaubt zu haben. Padre Amorth nickte vielsagend und der Moderator des staatlichen Fernsehsenders zeigte sich beeindruckt. Dass es den Teufel gibt, stellte in der Sendung nie jemand in Frage.

Offizielle Kurse an päpstlicher Universität

Vor zwei Jahren hat Padre Amorth ein Buch über sein Leben herausgegeben. Titel: «Der letzte Exorzist. Mein Kampf gegen Satan.» Der reisserische Titel könnte den Eindruck erwecken, dass es in Italien kaum mehr Exorzisten gibt. Doch dem ist nicht so. Rund 300 Exorzisten sollen zur Zeit in Italien ihren Dienst verrichten. Tendenz steigend.

Der Vatikan hat auf die steigende Nachfrage nach Exorzismen reagiert, indem er an einer hochkarätigen päpstlichen Universität in Rom Kurse für angehende Teufelsaustreiber anbietet. In verschiedenen Städten wurde die Zahl der Exorzisten bereits erhöht. So hat beispielweise die Diözese Mailand die Zahl der Exorzisten von sechs auf zwölf verdoppelt.

Papst Franziskus und der Satan

Laut Giacomo Galeazzi, Vatikanist der liberalen Tageszeitung «La Stampa», misst Papst Franziskus dem Exorzismus einen grossen Stellenwert zu. «Der Papst spricht seit seinem Amtsantritt fast jede Woche vom Satan.» Auch Benedikt XVI. und Johannes Paul II. seien von der Notwendigkeit der Exorzismen überzeugt gewesen.

Anders in den 60er-Jahren: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die katholische Kirche modernisieren sollte, verdrängte die Kirche gemäss Galeazzi die Existenz des Bösen. Eine Reaktion auch auf Missbräuche: «Katholische Exorzisten hatten zuvor übertrieben und auch Personen exorziert, die gar nicht vom Teufel besessen waren.» Die Skepsis gegenüber dem Teufelsglauben hielt im Vatikan jedoch nicht lange an. 1972 warnte Papst Paul VI., der Rauch des Teufels sei in den Vatikan eingedrungen.

Symptome der Besessenheit

Woran aber wollen katholische Exorzisten erkennen, dass eine Person vom Teufel besessen ist? Padre Vincenzo, wie Gabriele Amorth ein Exorzist der Diözese von Rom, nennt folgende charakteristische Zeichen, die während eines Befreiungs-Rituals häufig aufträten: Kenntnis von fremden Sprachen, hellseherische oder übermenschliche Kräfte, allergische Reaktion auf Kruzifixe und Weihwasser. Selbstverständlich komme es auch vor, dass er Leute zum Psychiater oder Psychologen weiterschicke, betont Vincenzo Taraborelli.

Seit der Reform des Exorzismus-Rituals im Jahr 1999 sind die katholischen Teufelsaustreiber angehalten, mit Psychologen und Psychiatern zusammenzuarbeiten. Sie sollen nur dann exorzieren, wenn eine Krankheit oder ein psychologisches Problem ausgeschlossen wurden. Ein Punkt, der jedoch unter den Exorzisten umstritten ist. Häufig sei erst mit einem Exorzismus restlos zu klären, ob in einer Person der Teufel stecke, argumentieren sie.

Der Exorzist als Seelsorger

Der 76-jährige Exorzist Vincenzo Taraborelli empfängt jeden Tag unweit des Petersdoms 40 bis 50 Menschen. Nur wenige von ihnen seien jedoch tatsächlich vom Teufel besessen, betont er: «Viele Leute kommen zu mir und wollen von mir hören, dass sie vom Teufel besessen sind. Sie verlangen sofort einen Exorzismus und erhoffen sich so ein Wunder. Doch darauf falle ich nicht herein.»

Die meisten Leute, so Padre Vincenzo, seien nicht besessen, sondern verwirrt und verzweifelt. Er höre ihnen dann zu, bete mit ihnen und bringe sie wieder auf den Weg Gottes zurück. Die meiste Zeit sei er nichts anderes als ein Seelsorger, sagt Padre Vincenzo. Ein Seelsorger, der sich nicht wie ein Priester um die Führung einer Gemeinde kümmern müsse, sondern Zeit habe den Menschen zuzuhören.

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