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Gesellschaft & Religion Jüdische Küche als Hommage an die Wurzeln

Für die Kochbuchautorin Claudia Roden sind Rezepte wie Spuren im Sand. Die 1936 in Kairo geborene Jüdin reist seit Jahrzehnten durch die Welt und sammelt jüdische Gerichte. Ein Gespräch über Rosenblütenwasser, gegarte Eintöpfe an Sabbat und Gerichte, die sie an ihre Mutter erinnern.

Ihre Eltern stammen aus Syrien und der Türkei. Sie sind in Kairo aufgewachsen, gingen in Frankreich zur Schule und leben seit über 60 Jahren in London. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen jüdischen Küchen dieser Orte?

Claudia Roden: Essen hat für Juden eine symbolische Bedeutung. Speisen stellen eine wichtige Verbindung zur Vergangenheit dar, eine Hommage an die Wurzeln, ein Symbol der Kontinuität. Die Interpretationen davon sind aber sehr verschieden. Nehmen wir das achttägige Fest der Tempelweihe Chanukka: An diesem jüdischen Feiertag assen wir in Ägypten frittierte in Zuckersirup getauchte Krapfen (Zalabia). Aschkenazim, Juden aus Mittel- und Osteuropa, tischen traditionellerweise Kartoffelplätzchen (Latkes) und berlinerartige Krapfen (Sufganiyot) auf. Italienische Juden bereiten Chicken-Wings zu.

Kann da noch von einer jüdischen Küche gesprochen werden?

Claudia Roden

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Die 1936 geborene Tochter einer syrischen Händler-Familie wuchs im gebildeten französisch-sprachigen Milieu des einst reichen jüdischen Grossbürgertums in Kairo auf. Anschliessend studierte Claudia Roden Kunst in Paris und London. «A Book of Middle Eastern Food» (1968) war ihr erster Bestseller als Kochbuchautorin.

Eine jüdische Küche gibt es nicht. Die jüdischen Küchen, die gibt es allerdings. Jede Region, jedes Land weist spezifische jüdische Gerichte auf. Juden übernahmen Nahrungsmittel aus den Ländern, in denen sie lebten. Diese lokalen Küchen hatten eine spezielle Anmutung, einen eigenen Geschmack und charakteristische Elemente.

Haben sich die verschiedenen Küchen gegenseitig beeinflusst?

Ein interessantes Gericht ist in London entstanden: der frittierte gefilte Fisch. Das ist weltweit einmalig. Aschkenazim aus Russland zogen ins Londoner East End, wo portugiesische Juden bereits ansässig waren. Hier verschmolzen zwei Traditionen; der aschkenazische Klassiker gefilte Fisch mit der frittierten Küche der Sephardim – Juden, die bis ins 16. Jahrhundert auf der iberischen Halbinsel gelebt hatten.

Welche religiösen Aspekte haben die jüdischen Küchen gemein?

Sie alle befolgen die Gesetze der Kashrut, die jüdischen Speisevorschriften. Diese erläutern, was koscher ist. Verboten sind etwa Schweinefleisch und die Vermischung von Milch- und Fleischprodukten. Fleisch in Butter zu braten ist also unkoscher. Deshalb verwenden Juden etwa Olivenöl als Speisefett. Vor dem Ausweisungsedikt 1492 in Spanien, das Juden entweder zur Konversion zum Christentum oder zur Emigration zwang, erkannte man in gemischten Städten wie Toledo jüdische Wohnviertel am Öl-Geruch, der über den Strassen hing. Christen hingegen kochten mit Schweinefett und Muslime mit Bratbutter.

An Sabbat sollen Juden keine Arbeit verrichten. Wie beeinflusst dieses Gebot die am Ruhetag servierten Gerichte?

Zwischen Freitag und Samstagabend sind Kochen, Backen und Feuer anzünden tabu. Deshalb bereiten gläubige Juden ihre Speisen bis heute bereits am Freitag zu und lassen sie bis Samstag weiterkochen. Als es noch keine elektronischen Wärmeplatten mit Schaltzeituhr gab, die das Essen warm halten, garten die Juden Eintöpfe auf der Resthitze des vor dem Sabbat angezündeten Feuers. Schmorgerichte sind am Samstag typisch. Gefilter Fisch ist eine charakteristische Sabbat-Speise der Aschkenazim. Dieser wird Freitag entgrätet, weil Gräte zu entfernen als Arbeit gilt.

Haben Sie ein spezielles Sabbat-Gericht?

Meine Mutter bereitete in meiner Kindheit in Ägypten und später auch in London stets die ägyptische Mahlzeit Sofrito zu: Hühnchen mit Tamarinde, Knoblauch und Kardamom in Olivenöl gekocht. Dazu assen wir Kichererbsen. Bis heute erinnert mich dieses Sabbat-Gericht an meine verstorbene Mutter.

Ein Festtagsmenü ist oft der Höhepunkt religiöser Feierlichkeiten. Welcher jüdische Feiertag ist Ihnen aus kulinarischer Sicht am liebsten?

Die Gerichte, die wir an Pessach zubereiten, sind köstlich. Ihre symbolische Bedeutung ist bezeichnend für den wichtigen jüdischen Feiertag, an dem wir den Auszug der Juden aus Ägypten feiern.

Haben Sie Beispiele?

Buchhinweis

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Claudia Roden: «Das Buch der jüdischen Küche. Eine Odyssee von Samarkand nach New York», Mandelbaum Verlag, 2012.

An Gedenken an die Eile des Ausbruchs, die dem Teig nicht genug Zeit zum Säuren liess, sind an Pessach alle Triebmittel sowie gesäuerte oder gegärte Speisen verboten. Lattich im Salzwasser zubereitet lässt uns die Tränen der Sklaverei nicht vergessen. Bittere Kräuter wie Kresse oder Chicorée erinnern an jene schmerzliche Zeit. Mit einer Paste aus Früchten und Nüssen (Haroset) gedenken wir an den von den Sklaven aus Nilschlamm hergestellten Mörtel, mit dem sie die Pyramiden der Pharaonen bauten.

Wie war es als junges Mädchen, Pessach in dem Land zu feiern, das die Juden vor langer Zeit verlassen hatten?

Während meiner Kindheit in Kairo dachten ich und meine Brüder immer, wir seien in Ägypten zurückgelassene Juden jener Zeit.

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