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Gesellschaft & Religion Leben in der verdichteten Stadt-Oase

Urbane Lebensqualität, soziale Durchmischung, verdichtetes Wohnen, 2000-Watt-Gesellschaft: Das sind Anforderungen an den Städtebau der Zukunft. Die Zürcher Baugenossenschaft Kalkbreite setzt das alles ganz konkret um, mitten in der City. Luxus wird dabei nur spärlich eingesetzt.

Es ist momentan wohl eines der spannendsten Wohnexperimente der Schweiz: die Kalkbreite, ein Wohn- und Gewerbekomplex im hektischen Kreis 4 in Zürich, eingequetscht zwischen Bahnlinie und Hauptverkehrsstrassen. Knapp 240 Menschen wohnen dort ab August, in günstigen Wohnungseinheiten von 1-Zimmer-Studios über Atelier- und Familienwohnungen bis hin zu Gross-WGs mit 17 Zimmern. Dazu kommen 25 Gewerbebetriebe mit rund 200 Arbeitsplätzen, vom Multiplexkino über Gastronomie- und Ladengeschäfte bis zu Praxen und Büros.

Teilweise Verzicht auf Luxus

Für Stadtzürcher Verhältnisse sind die Mieten an dieser zentralen Lage günstig: Eine 100-Quadratmeter-Wohnung kostet rund 2000 Franken pro Monat. Das wurde nur erreicht durch den teilweisen Verzicht auf heutige Komfortansprüche. So bestehen zum Beispiel die Böden und Decken durchgehend aus poliertem Beton; Parkett sucht man vergebens.

Blick in eine Küche mit dahinterliegendem Balkon.
Legende: Einschränkung im Komfort und trotzdem eine Prise Luxus: Betonböden und -decken, dafür Küchen in massivem Eichenholz. Genossenschaft Kalkbreite

Die Überlegung dahinter: Auch weniger Begüterte sollen sich das leisten können. Nur so wird eine quartiergerechte soziale Durchmischung erreicht und ein «Wohlstandsghetto» vermieden. Trotzdem blieb Platz für etwas Luxus: Die Küchen sind allesamt in massivem Eichenholz ausgeführt.

«Wir sind hier eine ganz gemischte Gruppe, von 0 bis 70 Jahren, und wir kommen von verschiedensten Hintergründen», konstatiert Neuzuzügerin Madeleine Hirsch zufrieden. Obwohl noch längst nicht alle Wohnungen bezogen sind, findet sie schon jetzt: «Diese Kalkbreite ist wie ein kleines Dorf in der Stadt. Wo man sich aushilft, zueinander Beziehungen pflegen kann, wo ein guter Groove drin ist, ja, das gefällt mir.» Die Alleinstehende hat vor zwei Wochen ihre 1-Zimmer-Wohnung bezogen und trauert der ehemaligen 2,5-Zimmer-Bleibe nicht nach.

Verdichtung, die nicht in Batteriehaltung mündet

Das Postulat der Verdichtung ist augenfällig umgesetzt: Pro Kopf stehen durchschnittlich nur 33 Quadratmeter individueller Wohnraum zur Verfügung. Der Landesdurchschnitt liegt bei 50. Zum Ausgleich gibt’s ein vielfältiges Angebot an Räumen und Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung: weite Terrassen für alle, den grünen Innenhof mit Cafeteria, eine Sauna, eine riesige Eingangshalle mit Foyer und grossem Waschsalon. Dazu Atelier- und Werkräume sowie Wohnräume für temporäre und wechselnde Nutzung. All das soll in gemeinschaftlicher Selbstverwaltung eingerichtet und benützt werden.

Video
Warum Madeleine Hirsch in die Kalkbreite gezogen ist
Aus Kultur Extras vom 13.06.2014.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 20 Sekunden.

Madeleine Hirsch schätzt diese Philosophie der Partizipation, der Gemeinschaftsaktivitäten: «Für mich ist das ideal. Ich werde ja bald pensioniert, dann kann ich hier auch viel reingeben und mich so heimisch fühlen.» Sie weiss um die Gefahr von Isolation und Vereinsamung, wenn es an Kontakt und Austausch fehlt. «Für mich ist das schon ein Modell für die Zukunft. Auch, dass es so günstig gebaut werden konnte, sodass ich dann auch mit der Rente hier noch durchkomme. Das hat Vorbildcharakter.»

Ein Stück 2000-Watt-Gesellschaft

Die Nachhaltigkeit manifestiert sich unter anderem im Energiekonzept, inklusive Bodenheizung, Solarzellen und Wärmerückgewinnung. Die Kalkbreite erreicht damit Minergie-P-Eco Standard und liefert auch gleich den Machbarkeitsbeweis für die 2000-Watt-Gesellschaft.

Mit dem Erreichten gibt sich die Genossenschaft Kalkbreite aber noch nicht zufrieden. Bereits wird am Projekt «Zollhaus» gefeilt, eine ähnliche Überbauung im benachbarten Kreis 5. Es soll keine blosse Kopie des Kalkbreitebaus werden, sondern wiederum ganz spezifisch auf die Bedürfnisse und Besonderheiten des Quartiers angepasst werden. In Zürich scheinen sich die alternativen Zukunftsvisionen des urbanen Wohnens zu materialisieren.

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