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Jüdisch-islamischer Dialog?
Aus Sternstunde Religion vom 12.09.2021.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 58 Minuten 2 Sekunden.
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Nahost-Konflikt «Wir müssen über heisse Eisen sprechen, auch wenn es schmerzt»

Es gibt einen Ausweg aus der Gewaltspirale im Nahen Osten: Davon sind der afghanisch-deutsche Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi und der deutsche Judaist Frederek Musall überzeugt. Die Basis sei die gegenseitige Anerkennung. Ein Gespräch mit zwei Freunden.

Ahmad Milad Karimi

Ahmad Milad Karimi

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Ahmad Milad Karimi ist ein islamischer Religionsphilosoph und Professor am Zentrum für Islamische Theologie in Münster. Er kam als 13-jähriger Junge mit seiner Familie von Afghanistan nach Deutschland. Er beschäftigt sich nicht nur mit dem jüdisch-muslimischen Dialog. Er schrieb u.a. zusammen mit Pater Anselm Grün das Buch «Im Herzen der Spiritualität - Wie sich Muslime und Christen begegnen können».

Ab Herbst 2021 moderiert er als Gastmoderator vier Sendungen der «Sternstunde Religion» beim Schweizer Fernsehen.

SRF: Wie ist Ihre Freundschaft entstanden?

Milad Karimi: Akademisch. Die Hingabe für die gemeinsamen Fragen, die Liebe für die Popkultur, aber auch der Respekt vor dem gegenseitigen Glauben entfachten unsere Freundschaft. Humor und eine tiefe Gelassenheit sind dabei tragend.

Frederek Musall

Frederek Musall

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Frederek Musall ist Professor für jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Er engagiert sich seit Jahren für den jüdisch-muslimischen Dialog und seine Perspektiven. In seiner Forschung beschäftigt sich Musall u.a. mit Jüdischer Philosophie, insbesondere in ihren Beziehungen zu arabisch-islamischem Denken sowie modernem rabbinischen Denken und jüdischer Gegenwartskultur.

Frederek Musall: Wir ticken ähnlich, denn wir haben beide einen differenzierten Blick auf die jeweils eigene Tradition. Aber unsere Freundschaft geht über das gemeinsame Arbeitsfeld hinaus. Wir können uns genauso gut stundenlang über die «Simpsons» unterhalten, ohne Bezug zu Judentum oder Islam.

Gibt es heisse Eisen, die Sie trotz Freundschaft nicht anfassen?

Karimi: Nein, wir können über alles reden. Gerade über das, worüber wir nicht derselben Meinung sind. Freundschaft sehe ich darin, die eigene Sicht der Dinge zu hinterfragen.

Musall: Wir müssen über heisse Eisen sprechen, auch wenn es schmerzt, befremdet oder irritiert. Wir können in Bezug auf die Frage, wem Jerusalem eigentlich gehört, verschiedener Meinung sein, solange es für uns möglich ist zu sagen: «We agree to disagree», wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind.

Was eint und was trennt Sie als Muslim und als Jude grundsätzlich?

Karimi: Der Weg des Islams führt unweigerlich zum Judentum. Das Judentum gehört zum Islam, zu seiner eigenen Erinnerungskultur. Die Unterschiede sind ebenso da, aber gerade deshalb ist die Freundschaft beider so reizvoll und bedeutsam. Allein, was sich unterscheidet, kann sich lieben.

Musall: Aber auch gesellschaftspolitische Realitäten, Erfahrungen und Herausforderungen als Minderheiten bringen uns zusammen. Was uns oftmals trennt, sind die unterschiedlichen Haltungen zum Nahostkonflikt in all ihrer Vielfalt und Intensität. Leider, aber auch nachvollziehbar.

Was braucht es, damit Musliminnen und Juden eine neue Beziehung Art aufbauen können, die nicht mehr von den Spannungen im Nahen Osten bestimmt wird?

Karimi: Mehr Bildung, gegenseitige Bildung. Zuhören, aufeinander zugehen, die Perspektive des Anderen einnehmen. Sich nicht von Populisten und Extremisten verführen lassen. Die Offenheit zu lernen, dass uns religiös-kulturell mehr verbindet als trennt.

Allein, was sich unterscheidet, kann sich lieben.
Autor: Milad Karimi Islamwissenschaftler

Musall: Ich glaube nicht, dass wir uns gänzlich davon frei machen können. Aber wir sollten versuchen, vielfältige Gesprächsräume zu eröffnen, in denen wir den unterschiedlichen Narrativen Raum geben.

Eine Haltung, die Differenzen anerkennt und Konflikte auszuhalten vermag, kann grundsätzlich den Diskurs verändern.

Sich zu versöhnen bedeutet, Brücken zu schlagen. Wie sieht der Boden aus, in dem jüdische und der islamische Pfeiler verankert sein müssen, um die Stabilität der Brücke zu sichern?

Karimi: Der Boden muss ein geteilter Boden sein, auf dem auch etwas Gemeinsames wachsen kann. Eine Brücke lässt sich aber nicht bauen, wenn wir nicht selbst zur Brücke geworden sind.

Wir müssen einsehen, dass geteilte Erde und Lebensteilung die eigentliche Kunst des Lebens darstellen. Das Trennende selbst muss kein Gegensatz sein, wenn dabei eine adäquate Streitkultur kultiviert wird.

Musall: Es geht um eine grundsätzliche Anerkennung, die auch die Anerkennung dessen impliziert, was der oder dem jeweils anderen wichtig ist. Gegenseitige Anerkennung bildet die Basis dafür, Konflikte konstruktiv beziehungsweise produktiv aushandeln zu wollen.

Das Gespräch führten Christine Schulthess und Senem Berfin Kaya.

SRF 1, Sternstunde Religion, 12.09.2021, 10:00 Uhr;

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