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Gesellschaft & Religion Posträuber Ronnie Biggs: vom Gauner zur Celebrity

Vor gut 50 Jahren war Ronnie Biggs an einem spektakulären Postraub beteiligt. Nun ist der britische Ganove 84-jährig gestorben – als Berühmtheit. Diese hat er seiner Unverschämtheit ebenso zu verdanken wie den Medien: Biggs war eine Celebrity vor der Erfindung des Konzepts.

Ronald Biggs war nicht die treibende Kraft hinter dem Grossen Postraub von 1963, geschweige denn die graue Eminenz. Der Kleinkriminelle stiess eher zufällig und spät zum Projekt und spielte seine Rolle als ruhender Pol zwischen zwei rivalisierenden Banden, als Ausgleich und Koch. Erst nach seiner filmreifen Flucht mit einer Strickleiter aus dem Wandsworth-Gefängnis wurde er notorisch: Er liess seine Gesichtszüge kosmetisch verändern und setzte sich alsbald nach Brasilien ab, wo er seine Karriere als Playboy begann.

Eine vermeintliche Läuterung

Doch sein Anteil an der Beute, 147'000 damalige Pfund – heutzutage rund drei Millionen Franken – war schon bald verprasst. «Das habe ich total verschwendet. Nach drei Jahren war alles weg», gestand Biggs vor zwölf Jahren in einem BBC-Interview. Ein uneheliches Kind verhinderte für Jahre seine Auslieferung aus Brasilien, erst 2001 kehrte er nach England zurück.

Da gab er sich noch selbstgewiss: «Heute bin ich ein gänzlich legaler, ehrlicher Mensch.» Auf die etwas verdutzte Frage, wie er das behaupten könne, wo er doch nur ein Bruchteil seiner Haftstrafe verbüsst habe, konterte Biggs: Der Zweck des Gefängnisses sei bekanntlich die Rehabilitierung des Straftäters, und das sei ja geschehen.

Tatsächlich aber wurde er in England unmittelbar nach seiner Rückkehr wieder inhaftiert. Und 2009 im Hinblick auf seine angeschlagene Gesundheit vorzeitig entlassen – Schlaganfälle hatten ihm die Sprache geraubt.

Ein williger Komparse der Sensationspresse

Ronald Bigs, sitzend, umgeben von zwei Models in Unterwäsche mit Polizeihelmen und Schlagstöcken.
Legende: Der Lebemann: Ronnie Bigs posiert mit Models der Elite-Agentur für eine Lingerie-Kampagne in Brasilien, 2001. Reuters

Die schelmische Unverfrorenheit war typisch für Biggs, der sich vorbehaltlos zu seinem Leben auf Kosten anderer bekannte. Doch es war nicht alles bloss Operette: Der Lokomotivführer des Postzugs starb später an den Folgen des Überfalls. «Ein bedauerlicher Zwischenfall», tat Biggs den Todesfall später kaltschnäuzig ab. Und so wurde Biggs zum willigen Komparsen der Sensationspresse, zu einer Celebrity vor der Erfindung des Konzepts.

Freimütig gestand er der BBC: «Ich lebe nur noch von meinem Namen.» Willfährig beteiligte sich Biggs an der Medienposse. Er trat mit Rockbands auf und liess sich von der britischen Presse für die Glorifizierung seines Ganoventums gut bezahlen.

Biggs war mit seinen flotten Sprüchen ein ideales Objekt für die Medien, denn diese konnten vorgeben, sie beteiligten sich an der Kritik des britischen Establishments. Schliesslich war der Postzug der Royal Mail damals noch ein staatliches Monopol, und die Regierung hatte sich eben während des Profumo-Skandals selbst entwürdigt. Die exemplarisch hohen Haftstrafen für die überführten Räuber schürten wohl die romantischen Sympathien des Publikums zusätzlich.

Unauflösliche Widersprüche

Heutzutage darf Biggs wohl als trübseliges Vermächtnis des Medienzeitalters gelten. Der Postraub wurde zum unterhaltsamen Schelmenroman verklärt und aufwändig verfilmt, mit Biggs in einer unverdienten Hauptrolle. Übrig blieb der kaltblütige Abenteurer, der die Justiz und die Behörden für dumm verkauft hatte. Er trat bereitwillig in die Fussstapfen von Simplicissimus und sämtlicher Schurken der Western-Filme. Biggs verklärte die unauflöslichen Widersprüche seiner Existenz mit beachtlicher Ausdauer in einem Vakuum, das keine ethischen oder moralischen Erwägungen erlaubte.

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