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Gesellschaft & Religion Warum zum Geier eine Religion auf Greifvögel angewiesen ist

Geier sind für diese Religion unersetzlich: Denn im Zoroastrismus werden die Toten weder verbrannt, noch beerdigt – sondern eben den Aasfressern überlassen. Weil Geier immer seltener werden, steht die kleine, aber alte Religionsgemeinschaft vor grossen Herausforderungen.

Bisher waren die Geier sozusagen die Bestatter: Traditionellerweise legen Zoroastrierinnen und Zoroastrier in Indien und im Iran ihre Toten in runde Türme, die sich ausserhalb der Stadt befinden und die nach oben offen sind.

Das war eine sehr schnelle Angelegenheit: «Ein Leichnam war innerhalb von sechs Stunden mehr oder weniger restlos weg, so dass nur noch Knochen übrig waren. Diese Knochen verfielen in der heissen Sommersonne relativ schnell zu Staub. Das Problem heute ist aber, dass es praktisch keine Geier mehr gibt in Indien», sagt die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens.

Die Geier sterben, weil sie Kadaver von Rindern fressen, die mit einem für Geier giftigen Medikament behandelt worden sind. «Die Gemeinschaft der Zoroastrier sucht unter Hochdruck nach Lösungen», so Dorothea Lüddeckens. Sie hat den Zoroastrismus jahrelang erforscht und reist immer wieder nach Mumbai. 60’000 Gläubige leben dort, von insgesamt etwa 130‘000.

Ahura Mazda, der Gott der Zoroastrier

Drei Geier. Ein Geier steht auf einer toten Kuh.
Legende: Medikamente in Rinderkadavern – für Geier ein tödliches Gift. Keystone

Parsinnen und Parsen werden die Zoroastrierinnen und Zoroastrier in Indien genannt. «Pars» ist das persische Wort für «Perser». Denn ursprünglich kommt der Zoroastrismus aus der Region des heutigen Iran. Eine Region, die kaum aus den Schlagzeilen verschwindet. Vor allem wegen Kriegswirren, strenger islamischer Mullahs oder zuletzt wegen des Atomstreits zwischen den USA und dem Iran.

Doch das alte Persien ist auch Wiege des Zoroastrismus, einer der ältesten monotheistischen Religionen der Welt. Benannt nach ihrem Religionsstifter Zarathustra, der laut Historikern zwischen 1200 und 500 vor Christus aufgetaucht ist.

Woran die Anhänger von Zarathustra glauben, das sei gar nicht so einfach zu beantworten, sagt Lüddeckens: «Für die meisten ist es nicht so wichtig, was sie glauben – wichtiger ist, was sie tun. Dennoch gibt es natürlich Glaubensvorstellungen, die breit geteilt werden: Etwa den Glauben an Ahura Mazda, den einen guten Gott, und auch die Vorstellung eines Gegenspielers, der eine böse, dunkle Macht vertritt, sowie die feste Überzeugung, dass Menschen verantwortlich sind im Hinblick auf Ethik und Moral.»

Starke Parallelen zum Judentum

Zoroastrismus

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Ursprünglich kommt der Zoroastrismus aus der Region des heutigen Iran und ist eine der ältesten monotheistischen Religionen der Welt. Benannt nach ihrem Religionsstifter Zarathustra, der laut Historikern zwischen 1200 und 500 vor Christus aufgetaucht ist. Heute leben zwischen 120'000 und 150'000 Zoroastrier vor allem in Indien, den USA und im Iran.

Dass den Menschen eine solche Eigenverantwortung zugeschrieben werde, sei etwas spezifisch Zoroastrisches, so Dorothea Lüddeckens. Oft wird behauptet, der Zoroastrismus sei der älteste Monotheismus der Welt. Doch wie verträgt sich das mit dem «Ein-Gott-Glauben» des Alten Israel?

Dorothea Lüddeckens sagt dazu: «Es war vermutlich eine wechselseitige Einflussnahme. Doch die im Zoroastrismus starke Fokussierung auf den einen Gott Ahura Mazda, dem sich alles andere unterordnet, das ist religionsgeschichtlich eine Spezialität des Zoroastrismus, die dann mit dem Judentum interagiert hat.»

Auch wenn es um die Kategorien «rein» und «unrein» geht, fallen Ähnlichkeiten mit dem

Judentum auf – etwa der Umgang mit menstruierenden Frauen. In beiden Religionen sind Frauen zu dieser Zeit von gewissen Handlungen ausgeschlossen: «Früher war das noch stärker der Fall. Ich habe mit Frauen gesprochen, die in jungen Jahren während ihrer Periode auf eisernen Stühlen sitzen, in einem bestimmten Bett schlafen mussten und nicht mit der Familie essen durften. Das habe ich heute aber nirgendwo mehr erlebt.»

Tote sind unrein

Dennoch spielen Reinheit oder Unreinheit immer noch eine grosse Rolle. Die gesamte Schöpfung wird so eingeteilt: «Rein ist Ahura Mazda, die Wahrheit, das Licht, rein sind aber auch die Elemente, insbesondere das Feuer. Unrein ist alles, was zum Beispiel vom Körper als tote Materie ausgeschieden wird, also ausgefallene Haare in Bürste sind unrein, oder Zehennägel, oder eben auch Menstruationsblut. Alles, was einmal lebendig war und jetzt abgestorben ist, muss besonders behandelt werden, um nicht Reines zu verunreinigen», sagt Dorothea Lüddeckens.

Damit schliesst sich der Kreis zu den Toten, die den Geiern und der Sonne überlassen werden: Weil Tote das Unreinste überhaupt sind, dürfen sie nicht in die reine Erde oder das noch reinere Feuer gelangen.

Die Geier sind in diesem Kreislauf unverzichtbar. Deswegen steckt die zoroastrische Gemeinde in Mumbai Millionen in die Aufzucht von Geiern.

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