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Gesellschaft & Religion Wider den Zynismus - jetzt wird Journalismus konstruktiv

Ulrik Haagerup ist Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks. Er plädiert für einen Kulturwandel bei den Nachrichten. Haagerup verordnet seinen Reportern Geschichten, die mehr Mut und Hoffnung für die Zukunft machen.

SRF: Herr Haagerup, warum sollten unsere Nachrichten konstruktiver werden?

Ulrik Haagerup: Die Idee ist, zurück zum Kern des Journalismus zu kommen. Für Nachrichten bedeutet das: Gib den Leuten die beste erhältliche Version der Wahrheit. Sieh die Welt mit beiden Augen. Einerseits die Fakten zu bringen und andererseits den Dingen eine Perspektive zu geben. Ich bin nicht sicher, ob wir als News-Leute immer so gearbeitet haben. Nicht dass wir gelogen oder falsches erzählt hätten.

Haben wir immer die bestmögliche Version der Wahrheit geliefert?

Aber: Haben wir immer die bestmögliche Version der Wahrheit geliefert? Oder haben wir hin und wieder unsere Nachrichten so ausgerichtet, dass sie einfach gute Geschichten ergaben? Niemand konnte sagen, es sei falsch. Es gab ja immer die Zahlen und einen Experten zur Absicherung. Aber war es ein echtes Bild der Welt?

Mir zumindest wurde bewusst, dass es nicht immer so war. Und wenn du in den Spiegel schaust und nicht magst, was du siehst, dann kannst du entweder den Spiegel zerstören oder du fängst an, etwas zu ändern.

Was also ist in Ihren Augen zu tun?

Buchhinweis

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Ulrik Haagerup: «Constructive News – Warum bad news die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren» Verlag Oberauer, 2015.

Wir müssen als Reporter unsere Fragestellung und unsere Rolle ein wenig verändern: Natürlich immer noch kritisch sein, aber wir dürfen nicht so stark auf Konflikte fokussieren. Wir müssen auch versuchen, Lösungen zu ermöglichen. Schauen: ‹Wo ist das Problem? Was könnte man zu seiner Lösung tun?› Das könnte auch guter Journalismus sein. Und der wäre inspirierender für die Leute und für uns Journalisten.

Haben viele Leute ein Problem mit den Nachrichten, wie sie jetzt sind?

Ich habe darüber ein wenig geforscht und mit Psychologen gesprochen. Wie beeinflusst es die Einstellungen des Publikums, der Gesellschaft an sich, wenn uns die Nachrichten konstant mit Dingen bombardieren, die nicht funktionieren. Mit Geschichten von Menschen, die schreckliche Schicksale erleiden. Die Psychologen sagen, dass es Apathie erzeugt, dass sich die Leute abwenden.

‹Warum hört ihr auf, Nachrichten zu schauen?› – ‹Es ist mir zu deprimierend.›

Wenn man die Leute fragt: ‹Warum hört ihr auf, Nachrichten zu schauen?›, dann ist das erste, was sie sagen ist: ‹Ich hab keine Zeit.› Aber schon als nächstes führen sie an: ‹Es ist mir zu deprimierend. Und ich möchte auch nicht, dass meine Kinder das lesen oder schauen.› Sie tummeln sich lieber bei Facebook und den sozialen Medien.

Es ist schlecht für die Demokratie, wenn die Menschen sich von den traditionellen Nachrichten abwenden, wo wir den Menschen wichtige Fragen vermitteln sollten und erreichen, dass sie sich engagieren. Dass das so ist, daran sind wir Journalisten schuld.

Wo ist die dabei Grenze zum Aktivismus?

Wir sind keine Aktivisten, und wir sind keine Politiker. Aber wir können Debatten ermöglichen über Probleme, und wer die Schuld an ihnen trägt. Wir können jederzeit Geschichten bringen über «Best Practice», also vorbildlichen Umgang mit Problemen. Geschichten, die uns von einer besseren Zukunft berichten. Ich denke, das ist ein Teil dessen, was guter Journalismus tun kann. Besonders der Service Public.

Heisst das, sie wünschen sich vor allem «Good News»?

Ich muss immer wieder darüber reden, was «Constructive News» nicht sind. Sie sind kein Angriff auf den investigativen Journalismus. Keine nordkoreanische Version von Nachrichten, wo wir alles rosa färben, obwohl es schlecht ist.Wir schlagen uns auch nicht auf eine Seite oder machen PR. Es geht darum, mehr für das Wohlergehen der Gesellschaft zu leisten. Das haben wir in den letzten 30 Jahren ein bisschen aus den Augen verloren.

Durch die Nachrichten nehmen die Leute die Welt viel schlechter wahr, als sie ist.

Die Welt mit beiden Augen zu sehen, heisst auch davon wegzukommen, dass die Leute durch die Nachrichten die Welt viel schlechter wahrnehmen als sie ist. Die Wahrheit ist: niemals in der Geschichte der Menschheit gab es auf diesem Planeten so «wenige» Kriege. Niemals in der Geschichte der Menschheit kamen so «wenige» Menschen in Kriegen um. Wissen das die Leute auf der Strasse? Nein. Weil es in unseren Nachrichten nicht vorkommt. Diese Perspektive kommt nicht vor.

Heisst das, Sie berichten vor allem konstruktiv in Dänemark?

Wir bringen immer noch sehr viele investigative Geschichten. Wir gewinnen immer noch Preise für den besten Journalismus. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht der Tyrannei des «Oder» verfallen: ‹Entweder du bist kritisch oder du bist konstruktiv. Wähle dir eins aus.› Das wäre töricht.

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