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Musik Charlie Haden – Der Country Boy mit Sinn für Revolution

Der Bassist Charlie Haden verleugnete seine Herkunft aus dem tiefsten Mittleren Westen nie. Trotzdem war er alles andere als ein Hinterwäldler. Ihm stand der Sinn eher nach Revolution. Am Freitag starb Charlie Haden 76-jährig nach langer Krankheit.

«Ich wuchs in einer sehr rassistischen Umgebung auf», sagte Charlie Haden frank und frei jedem, der es hören wollte – und allen anderen noch dazu. Er begegnete der Schwarz-Weiss-Gesellschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in den 40er- und 50er-Jahren täglich.

Sendehinweis

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Jazz Collection, 15.7.2014, 21.00 - 22.00 Uhr, Radio SRF2 Kultur.

Er begann, sich auf eigene Faust zu informieren. Mit seinem Gerechtigkeitssinn und seinen politischen Überzeugungen war es ihm oft nicht möglich, Konzerte zu spielen. Denn er trug seine Ideen immer auch in die Jazzszene.

Politisches Engagement

Auf einer Europa-Tour 1971 mit Ornette Coleman, die auch durch Portugal führte, ergriff er vor tausenden von Leuten auf der Bühne das Mikrophon und kündigte an, dass er den nächsten Song den schwarzen Befreiungsbewegungen von Mosambik, Guinea-Bissau und Angola widme, welche damals unter portugiesischer Diktatur standen. Das brachte ihm eine mehrtägige Befragung unter Arrest und anschliessend eine Ausweisung ein.

Zu dieser Zeit hatte Charlie Haden bereits sein Liberation Music Orchestra gegründet und Musik aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs neu arrangiert. Und er war Vater von vier Kindern, einem Sohn und drei Töchtern, die als Drillinge zur Welt kamen. Er spielte gleichzeitig mit seinem Orchester, mit dem Trio und dem Quartett von Keith Jarrett und natürlich mit seinem musikalischen Helden, dem Saxophonisten Ornette Coleman.

Musikalische Revolutionen

Audio
In Memoriam Charlie Haden: Andreas Müller-Crepon im Gespräch mit Peter Bürli
13:19 min
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 19 Sekunden.

Mit Ornette Coleman führte er die grösste musikalische Revolution im Jazz seit dem Bebop der vierziger Jahre an. Seite an Seite mit dem innovativen Saxophonisten wagte Charlie Haden den Weg ins Freie.

Free Form Jazz nannte Coleman sein Spiel, was als Label natürlich nicht so gut taugte wie Free Jazz. Viele Musiker, die damals dabei waren, sagen heute, dass Ornette diesen Weg ohne Charlie Haden niemals so hätte gehen können.

Das in der Tradition geerdete Bassspiel von Charlie Haden hielt Ornette Colemans freie Stücke in der Bahn. Haden war offen und hellhörig genug, Coleman in jeder noch so unvorhersehbaren Kurve zu folgen – und dabei nie den Puls zu verlieren.

Dieser Weg war in Charlie Hadens musikalischem Leben ganz und gar nicht vorgezeichnet. Er wuchs in Missouri, im tiefsten Mittleren Westen auf. Er spielte in der Haden Family Band Folk und Country Music. Er musste sich seinen Weg ab 1956 selbst suchen. In Los Angeles studierte er mit Red Mitchell und begegnete so seinen wichtigsten Bandleadern der damaligen Zeit: Art Pepper, Hampton Hawes und schliesslich Ornette Coleman.

Wurzeln im Country

Seine Wurzeln im Country und im Folk verleugnete Charlie Haden aber trotz seiner politischen Überzeugungen nie. Auch viele Jahre später spielte er mit dem Gitarristen Pat Metheny eine Mischung von Americana und Jazz. Er liess seine Fans spüren, wie sehr ihn diese Musik mit geformt hatte. Der Sinn für klare Linien und seinen fundamentalen Basssound kommt wohl aus dieser Tradition.

Traditioneller ging es für Charlie Haden nach der Zeit bei Ornette Coleman weiter. Seine wichtigste Band unter eigenem Namen war das Quartet West, mit dem er seit Mitte der achtziger Jahre die Jazztradition auf seine ureigene Art und Weise auslotete. Hier wurde auch der Einfluss seiner Frau Ruth Cameron am deutlichsten spürbar. Sie hatte die Bandgründung als Hadens Produzentin angeregt.

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