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Den Festivals gehen die Fachkräfte aus
Aus Künste im Gespräch vom 07.07.2022. Bild: KEYSTONE/Michael Buholzer
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Gender-Gap im Line-up Verzweifelt gesucht: Frauen auf Festivalbühnen

Weibliche Acts auf den Bühnen der fünf grossen Deutschschweizer Openairs sind immer noch die Ausnahme. Aber es tut sich etwas.

Grosse Aufregung vor ein paar Wochen: Das Musikfestival «Moon & Stars» präsentiert das Programm seiner aktuellen Ausgabe und wird von der Schweizer Musikerin Sophie Hunger prompt zum «neuen Weltmeister in der Freakshow Diskriminierung» gekürt.

Der Grund: Mit den insgesamt 14 Musik-Acts, die das «Moon & Stars» als Teil seiner ersten Programm-Tranche bekannt gibt, würden Mitte Juli voraussichtlich 35 männliche Musiker die Bühne auf der Piazza Grande in Locarno betreten – aber keine einzige Frau.

Allein unter Männern

Mit der Pop-Saxofonistin Candy Dulfer hat nun doch noch eine Musikerin den Weg ins «Moon & Stars»-Line-up gefunden. Die ursprüngliche Line-up-Bekanntgabe wurde von der Social-Media-Plattform Instagram gelöscht, zusammen mit den Rechtfertigungen des Festivals in der Kommentarspalte.

Trotz des Auftritts von Candy Dulfer: Das Geschlechterverhältnis zwischen Musikerinnen und Musikern im «Moon & Stars»-Programm bleibt unausgewogen.

EIne blonde Frau mit einem Saxophon steht lachend hinter einem Mikrophon.
Legende: Die einzige Frau im Line-up von «Moon & Stars» – und das erst nach heftiger Kritik an der Festivalleitung: Pop-Saxofonistin Candy Dulfer. Keystone / GEORGIOS KEFALAS

Auch haben darauffolgende Recherchen verschiedener Schweizer Medien ergeben, dass an den grossen Deutschschweizer Sommer-Openairs ebenfalls seit Jahren eine ähnlich grosse Unausgewogenheit existiert.

Ein Viertel Frauen bei den «Big Five»

Wirft man einen Blick auf die 20 grössten Namen, die in den letzten zehn Jahren auf den jeweiligen Festivalplakaten zu lesen waren, war der Anteil von Acts, in denen mindestens eine Frau mitspielte, an den fünf grössten Deutschschweizer Sommerfestivals (Openair Frauenfeld, St.Gallen, Greenfield, Gampel und Gurtenfestival) selten höher als 25 Prozent, meistens sogar erheblich tiefer. Eine Veränderung ist nicht zu erkennen.

Begründet wird diese tiefe Quote von den jeweiligen Veranstaltern, etwa mit der generell geringeren Verfügbarkeit von Musikerinnen. Oder damit, dass eine grössere Anzahl von weiblichen Acts im Programm der wirtschaftlichen Rentabilität des Festivals schaden könnte.

Erfolgreicher Balanceakt am Gurtenfestival

Seit vor drei Jahren ein neues dreiköpfiges Team die Programmierung des Berner Gurtenfestivals übernommen hat, sind dort einschneidende Unterschiede bezüglich der Gender-Balance des Festivalprogramms festzustellen. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise in der Kommunikation oder bei der Auswahl von Fotos, wird seither ein merklich höherer Wert auf Inklusion und Diversität gelegt.

Sendehinweis

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An den grössten Deutschschweizer Openairs sind Musikerinnen deutlich untervertreten. Nicht so beim Gurtenfestival. Dort wartet ein Line-up, auf welchem bei der Hälfte aller Acts mindestens eine Frau mit dabei ist. Ist das ein Booking-Kunststück? Und: Rentiert sich das?

«Sounds! Story» zeigt anhand von zwei Beispielen, dass die handelsüblichen Gründe für miserable Frauenquoten an Musikfestivals vielleicht doch nicht ganz so wahr sind, wie man gemeint hat – und blickt dafür auch über die Landesgrenzen hinaus.

Bereits in seiner zweiten Ausgabe – die letzten beiden Ausgaben fielen der Corona-Pandemie zum Opfer – erreicht das neue Booking-Team eine ausgeglichene Bilanz: Bei der Hälfte aller Acts, die dieses Jahr am Festival auftreten, spielt mindestens eine Musikerin mit.

Dass diese Verschiebungen Absicht und nicht blosser Zufall sind, bestätigt Lena Fischer, die seit 2019 Teil des neuen Booking-Teams ist: «Wir haben zwar keine fixe Quote, sondern arbeiten mit einem Richtwert. Somit ist diese Thematik in unserem Team konstant präsent.»

Ein Line-up ist kein Wunschkonzert

Das ausgewogene Line-up der diesjährigen Ausgabe sei auch ein Produkt struktureller Veränderungen, die hinter den Kulissen des Festivals passiert seien. Wer ein diverseres Line-up wolle, müsse auch im Organisationsteam diverser werden, so Fischer: «Wir haben eine Vision und wir wissen, wo wir hinwollen.»

Fischer betont, dass für ihr Team keineswegs unzumutbare Zusatzleistungen nötig waren, um das ausgewogene Line-up der aktuellen Ausgabe zusammenstellen zu können. Sie weist jedoch darauf hin, dass die Programmgestaltung eines grossen Sommer-Openairs zu keinem Zeitpunkt ein Wunschkonzert sei.

Eine schwarze Rapperin auf einer Bühne.
Legende: Eine von vielen weiblichen Acts am diesjährigen Gurtenfestival: Rapperin Megan Thee Stallion – hier bei einem Konzert im dänischen Roskilde. Keystone / HELLE ARENSBAK

Von der ursprünglichen Konzeptionierung bis zur finalen Version eines Festivalprogramms müssen unzählige Eventualitäten miteinberechnet werden, sagt Lena Fischer. Daher sei es auch schwierig, sich einer Quote zu verpflichten.

Von einem Rückgang der Ticketverkäufe seit das Festival auf eine grössere Anzahl von weiblichen Acts setzt, ist bisweilen nichts zu spüren: Freitag und Samstag der diesjährigen Ausgabe sind bereits seit Wochen ausverkauft, Vier- und Dreitagespässe ebenso.

Wirtschaftliche Vorteile dank Diversität

Inklusivere und diversere Line-ups sind auch über die Landesgrenzen hinaus Thema. Das Festival Primavera Sound in Barcelona, das mit seinen täglich über 80'000 Besuchenden zu den grössten und prestigeträchtigsten europäischen Musikfestivals gehört, übernimmt hierbei eine Vorreiterrolle.

Für seine 19. Ausgabe im Jahr 2019 präsentiert das katalonische Festival unter dem Slogan «The New Normal» (die neue Normalität) zum ersten Mal ein Festivalprogramm mit 50 Prozent weiblichen Acts im Programm.

Eine Frau in violettem, hautengem Einteile auf einer Bühne.
Legende: Eine von vielen Frauen am Festival Primavera Sound in Barcelona, einem Taktgeber in Sachen Diversität: die britisch-kosovarische Überfliegerin Dua Lipa. Keystone / JUANJO MARTIN

«Wer immer die gleichen Acts aus den gleichen Genres bucht, riskiert, dass sein Publikum immer älter wird – und sich irgendwann zu alt fühlt, mehrere Tage lang hintereinander an ein Musikfestival zu gehen», sagt Mediensprecherin Marta Pallarés, bevor sie weitere wirtschaftliche Vorteile dieser Programm-Neujustierung aufzählt.

Es gibt kein Zurück mehr

«Je diverser das Programm, desto diverser das Publikum», erklärt Marta Pallarés. Seit dem Ausrufen der «neuen Normalität» sei das Festivalpublikum deutlich jünger, internationaler und weiblicher geworden.

Dadurch wird ein Festival nicht nur für die nächste Generation von Festivalgängerinnen und -gängern attraktiver, sondern auch für neue Sponsoren. Auch betreffend Zuschauerzahlen sieht es rosig aus: 2019 erreicht Primavera Sound einen neuen Tagesrekord von 65'000 Anwesenden. 2022 waren es dann rund 20'000 mehr.

Zurück in alte Muster fallen wolle das Festival auf keinen Fall: «Bleich, männlich und immer das Gleiche gibt es für uns nicht mehr», sagt Pallarés und spielt auf die überwiegend aus Männer bestehenden Rockbands an, die auf dem Primavera-Line-up nicht mehr so präsent sind. Pallarès betont jedoch auch, dass Veränderungen im Line-up nicht über Nacht passieren, sondern das Resultat langjähriger Prozesse sind.

Dass neben dem Gurtenfestival dieses Jahr auch die Festivals in St. Gallen und Frauenfeld ihre bislang höchsten Anteile von weiblichen Musik-Acts im Programm ausweisen, kann also als hoffnungsvolles Signal für die Zukunft verstanden werden.

Radio SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 7.7.2022, 9:03 Uhr

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