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Musik Musik als Medizin: Ein Pianist trickst seine Krankheit aus

Kann Musik eine Krankheit heilen? Nicht ganz, aber sie kann die Symptome lindern. Zum Beispiel beim erfolgreichen Pianisten Nick van Bloss. Er leidet am Tourette-Syndrom. Das Klavierspiel hilft ihm, dieses zu kontrollieren.

Nick van Bloss ist ein erfolgreicher britischer Pianist. Er spielt Konzerte auf der ganzen Welt, jüngst begeisterte er in Miami das Publikum. Die Kritiker lieben ihn. Er könne alles ohne Furcht spielen, bescheinigt ihm das Musikmagazin La Scena Musicale. Sein Spiel sei grossartige Poesie, schreibt The Sunday Times. Und der amerikanische Musikwissenschaftler Andrew Schartmann findet, dass van Bloss sich durch eine fast schon tänzerische Dynamik auszeichne.

Doch der virtuose Musiker hat auch eine andere Seite. Seit seiner Jugend leidet er am sogenannten Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Er hat unkontrollierbare Tics, muss beispielsweise heftig den Kopf schütteln oder mit dem Gesicht zucken. Er verliert die Kontrolle über sich selbst. «Die konstante Aktivität meines Körpers ist unglaublich ermüdend», beschreibt Nick van Bloss. «Es ist, als ob ich ständig im Fitness-Studio wäre und meine Muskeln trainiere.»

Das Klavier als Rettung und Liebesaffäre

Sitzt er jedoch am Klavier, dann entspannt sich sein Körper und er ist von den Tics befreit. Plötzlich ist er Herr über seine Finger und lässt sie leicht und präzise über die Tasten fliegen. «Wenn ich am Klavier sitze, dann ist augenblicklich eine Verbindung da. Ich fühle eine Ruhe und so etwas wie Normalität. Das Klavier ist für mich Rettung und Liebesaffäre zugleich.»

Weshalb schaltet das Klavierspiel Nick van Bloss' Tics aus? Wo liegt der Zusammenhang zwischen der Musik und dem Tourette-Syndrom? Der Pianist selbst kann darüber nur spekulieren. «Das ist die Millionen-Frage», sagt er. Er sei überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen Krankheit und Musik gebe. «Mein Gehirn sendet wohl irgendwelche Glücks-Hormone aus, die meine Krankheit zur Ruhe bringen.»

Auch die Wissenschaft rätselt

Was genau in Nick van Bloss' Körper passiert, wenn er sich ans Klavier setzt, kann auch die Wissenschaft nicht genau beantworten. Peter Fuhr ist Leitender Arzt der Abteilung für klinische Neurophysiologie am Universitätsspital Basel. Eine medizinische Erklärung kann er nicht liefern. Das Phänomen ist ihm jedoch bekannt. «Es ist typisch für Tic-Patienten, dass sie weniger Tics haben, wenn sie sich konzentrieren. Sie können dann die Energie kanalisieren.» Neben der Konzentration spiele auch der Tastsinn eine Rolle. «Tourette-Patienten haben das Bedürfnis, Dinge zu berühren.»

Pianist wegen – oder trotz der Krankheit?

Peter Fuhr geht davon aus, dass Nick van Bloss wegen seiner Krankheit einen starken Antrieb hat, Klavier zu spielen. Schliesslich ist das Klavierspiel eine Art Ausweg aus der Krankheit. Dass Nick van Bloss aber wegen seiner Krankheit besonders viel Talent hat, glaubt Peter Fuhr nicht. «Ich möchte Nick van Bloss' Begabung nicht durch das Tourette-Syndrom erklären. Würde er nicht von sich aus eine Musikalität mitbringen, dann hätte er das nie geschafft.»

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