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Beethovens Werke als Propaganda-Musik
Aus Kultur-Aktualität vom 15.12.2021. Bild: imago images / agefotostock
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Musik und Politik Die Politik soll von Beethoven die Finger lassen

Beethovens Musik hat Wucht und macht sich prima bei politischen Veranstaltungen. Jüngstes Beispiel: der französische Rechtspopulist Éric Zemmour hat ein Video für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich mit dem zweiten Satz aus Beethovens 7. Sinfonie untermalt. Darf man das?

Was ist passiert? Das Beethoven-Haus Bonn wehrt sich dagegen, dass Beethovens Musik politisch vereinnahmt wird. In einem Schreiben heisst es: «Die Musik Ludwig van Beethovens ist zutiefst human und richtet sich an alle Menschen. Seine Musik und sein kulturelles Erbe sollten niemals von denen missbraucht werden, die Macht durch Hass und Unterdrückung anstreben.»

Wird Beethoven denn oft für politische Zwecke genutzt? Ja, die Beispiele sind zahlreich: Schon Richard Wagner hat Beethovens Musik Mitte des 19. Jahrhunderts als Sprachrohr genutzt, als er in der Revolution aktiv war. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Beethovens Neunte zu einem Symbol in der Arbeiterbewegung. In den 1930er-Jahren nutzen die Nationalsozialisten seine Musik zu Propagandazwecken.

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Beethoven und die Politik
aus Passage vom 17.01.2020. Bild: Keystone / Oliver Berg
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2017 liess auch Angela Merkel am G20-Gipfel die Neunte spielen und sagte so Wladimir Putin und Donald Trump durch die Blume, was sie von deren Politik hält. Die Sinfonie lässt sich vielfältig interpretieren, vielleicht ging es Merkel um die Zeile «O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.» Beethovens Neunte dient auch als Hymne der Europäischen Union.

Darf man Beethovens Musik überhaupt verwenden? Gibt es da keinen Urheberrechtsschutz? Musiker wie Neil Young, die Rolling Stones und R.E.M. wehren sich erfolgreich, wenn Politiker wie Donald Trump ungefragt ihre Songs einsetzen. Bei Komponisten, die seit mindestens 70 Jahren verstorben sind, ist die Musik hingegen urheberrechtsfrei. Bei Zenmour könnten höchstens Musikerinnen und Musiker rechtliche Schritte einlegen, wenn er ihre Interpretation verwendet hat. Die Beethoven-Gesellschaften können dagegen nur mahnen.

Europäische Union oder Éric Zemmour: Bei wem würde Beethoven mitmachen? Beethoven hat in einem absolutistischen Kontext gelebt, er hat nie ein demokratisches System erlebt. Die Entscheidung zwischen Staatenverbund und Rechtspopulist wäre reine Spekulation. Historisch gesichert ist, dass Beethoven zwar Napoleon-Fan war - aber nur, bis dieser sich selbst zum Kaiser krönte. Beethoven hat mit den Ideen der Französischen Revolution sympathisiert – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. 1795 sehnt er sich in einem Brief nach dem Zeitpunkt, an dem es «nur Menschen geben wird».

Warum eignet sich Beethovens Musik so gut für Politik? Bei der 5. und 9. Sinfonie gibt es einen aussermusikalischen Inhalt. Einen Text zum Beispiel oder das berühmte «Schicksalsmotiv» («Ta-ta-ta-taa!»). Bei der 7. Sinfonie, die Éric Zemmour verwendet, ist das nicht der Fall. Allerdings ist der Kontext der Entstehungszeit der Siebten politisch: Mit der Uraufführung 1813 wurde gefeiert, den französischen Nationalhelden Napoleon aus dem Feld geschlagen zu haben. Ausgerechnet.

Eine Niederlage des grossen französischen Feldherrn dürfte Éric Zemmour doch kaum freuen? Das ist typisch ist für Beethovens Musik und ihre Rezeption: Alle finden Anknüpfungspunkte, die man für die verschiedensten politischen Richtungen verwenden kann. Zemmour setzt wohl auf das Gravitätische in der Musik. Damit kann man seinen Worten mehr Gewicht geben. Egal, was der konkrete politische Inhalt ist.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 15.12.2021, 08:15;

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