In Burma, dem heutigen Myanmar, ist der neue Staatspräsident vereidigt worden. Htin Kyaw ist ein enger Vertrauter von Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi und nach ihrem Willen eine Art Platzhalter. Der 69-Jährige soll die Regierungsgeschäfte nach ihren Anweisungen führen. Sie selbst kann wegen der vom Militär diktierten Verfassung nicht Präsidentin werden, ist aber Ministerin im Kabinett.
Für die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi beginnt mit 70 Jahren nun die grösste Herausforderung ihres Lebens. Die zierliche Frau, die einer der langlebigsten Militärdiktaturen der Welt 15 Jahre unter Hausarrest die Stirn geboten hat, tritt zum Regieren an – aus der zweiten Reihe.
Militär behält Vetomacht
Der Plan von Suu Kyi: Sie will die Ministerien für Äusseres, Bildung und Energie sowie das Büro des Präsidenten zu leiten. Das zeigt, wie viel Macht sie hat.
Für die Myanmar-Expertin des Hamburger Giga-Forschungsinstituts, Jasmin Lorch, ist das ein Dilemma: «Eine demokratische Regierung lebt davon, dass sie die Regeln einhält und dass die Zivilgesellschaft die Regierung kontrollieren kann», sagt sie. «Wenn die Rollenzuschreibung aber unklar ist, ist das schwierig.»
Nur: «Was bleibt ihr anderes übrig?», fragt Marco Bünte, Dozent am Ableger der australischen Monash-Universität in Malaysia. Beide betonen, dass Suu Kyi durch ihren Wahlsieg im November ein klares Mandat der Wähler hat.
Suu Kyis Nationalliga für Demokratie (NLD) gewann fast 80 Prozent der verfügbaren Sitze und hat die absolute Mehrheit im Parlament. Aber: Das Militär hat sich die Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzfragen und ein Viertel aller Parlamentssitze im Parlament reserviert. Damit hat es eine Vetomacht gegen Verfassungsänderungen.
Mit dem Militär im Nacken sind Suu Kyi die Hände gebunden, wie Lorch sagt: «Das grosse Risiko ist, dass die Regierung die hohen Erwartungen nicht erfüllen kann, weil ihr die Handlungsmöglichkeiten fehlen, dass sie dann aber dafür verantwortlich gemacht wird, wenn der Reformprozess nicht vorankommt.»
Ein marodes Land
Die Liste der Herausforderungen ist lang: die marode Landwirtschaft, die Armut, schlechte Bildung und Ausbildung, mangelnder Umweltschutz, schwache Gerichte, Ausbeutung der Naturressourcen. Nicht zu vergessen: Der wachsende Fremdenhass der von radikalen Mönchen angestachelten Mehrheit der Buddhisten auf Muslime und das Pochen bewaffneter ethnischer Minderheiten auf mehr Autonomie.
Die NLD baut vor: «Es wird schwierig, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Schliesslich hat dieses Land die Bürde eines halben Jahrhunderts unter der Misswirtschaft der Militärjunta zu tragen», sagt Myo Aung, ein ranghohes Parteimitglied. Für ihn hat der Kampf gegen die Korruption höchste Priorität: «Es ist überall, bis in höchste Etagen, auch im Justizwesen», sagt er. «Wer Macht hat, kann machen, was er will. Das müssen wir ändern.»
Einschätzungen von SRF-Südostasien-Mitarbeiter Urs Morf
«Suu Kyi wird als ‹Superministerin› amten und eine unglaubliche Machtfülle auf sich konzentrieren. Bei einem Teil des Militärs sorgt das zwar für Unmut. Andererseits ist sich das Militär in den letzten Jahren bewusst geworden, dass Suu Kyi wegen ihrer Beliebtheit im Volk nicht zu stoppen ist. Dass sie fortan gewissermassen über einen Strohmann regieren will, sorgt aber erstaunlicherweise in intellektuellen Kreisen für Kritik. Sie finden, dass Suu Kyi zu viel Macht auf sich vereint und damit ähnliche Verhältnisse wie während der Diktatur drohen. Darüber, wofür der Rest der Partei stehe, wisse man ebenso wenig wie über die Qualifikationen der neu ernannten Minister. Und nach wie vor versammelt das Militär sehr viel Macht auf sich, zumal der Vizepräsident ein Militär ist. Stösst dem amtierenden Präsidenten Htin Kyaw etwas zu, ist augenblicklich wieder das Militär an der Regierung. Dieses lässt sich kaum als Strohmann behandeln.» |