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International «Der IS kommt Ankara gerade Recht»

Der türkische Präsident Erdogan spart nur selten mit markigen Worten. Doch ausgerechnet die Terrorkämpfer des IS packte er bisher mit Samthandschuhen an – oder besser gar nicht. Aus gutem Grund, wie Türkei-Experte Hans-Lukas Kieser weiss.

SRF Online: Herr Kieser, von der Türkei sind in Richtung IS trotz aller Verbrechen und Brutalität nur selten klare Worte der Ablehnung zu vernehmen. Was sind die Gründe dafür?

Hans-Lukas Kieser: Die Türkei ist schon seit 2011 eines der Haupttransitländer für IS-Kämpfer aus Westeuropa. Lange Zeit wurde das auch vom Westen geduldet, denn der Feind war Assad (Präsident Syriens) und diesen galt es zu bekämpfen – mit allen Mitteln. Das war bis jüngst aktive türkische Politik.

Hans-Lukas Kieser

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Legende: hist.net/kieser

Kieser ist ein Schweizer Historiker. Er forscht zur Geschichte der Türkei und den Beziehungen des Landes zu Europa und der Schweiz. Kieser ist Titularprofessor an der Uni Zürich, Co-Präsident der Forschungsstelle Schweiz-Türkei und Fellow des Australian Research Council. Er beschäftigt sich auch mit dem Völkermord an den Armeniern.

Ist das der Hauptgrund für die Zurückhaltung?

Nein, der Hauptgrund für die zögerliche Haltung der Türkei sind die Kurden. Denn die PKK ist für die türkische Politik nach wie vor die schlimmste Terrorgruppe der Welt. Und der IS kommt Ankara gerade Recht, um der aufstrebenden kurdischen Selbstverwaltung in Syrien etwas entgegenzusetzen.

Geht das Kalkül auf?

Nicht wirklich. Die Türkei hat den IS ein Stück weit unterschätzt und dachte wohl, dass sie dessen Sprengkraft in ihrem Sinne managen kann. Das war eine Fehleinschätzung.

Wieso hatte man lange Zeit keinerlei Berührungsängste?

Nun, dazu muss man wissen, dass die beiden ersten Männer des Staates – Präsident Erdogan und Premier Davutoğlu – Wurzeln als Islamisten haben, Erdogan in seiner Jugendzeit sogar als militanter Islamist. Das ist unter anderem einer der Gründe, weshalb sich beide auch heute noch offen zu den Muslimbrüdern in Ägypten und deren Ablegern in Syrien bekennen.

Die stillschweigende Tolerierung scheint dem Ende entgegenzugehen. Was bedeutet das für die Zukunft?

Aus meiner Sicht sind zwei Szenarien kurzfristig denkbar: Die Türkei wird sich offiziell auf die Seite des Westens stellen, die Kurden nicht brüskieren und primär den IS bekämpfen. Das heisst, man wird nicht in Syrien einmarschieren.

Und das zweite Szenario?

Das sähe wie folgt aus: Die Türkei marschiert in Syrien ein, beruft sich dabei auf den Notstand – Soldaten als Geiseln und humanitäre Misere – und wird in der Kurdenproblematik Fakten schaffen. Die USA und der Westen könnten das unter dem Druck der Umstände tolerieren.

Welches Szenario halten Sie für das wahrscheinlichere?

Ich persönlich halte das erste für logischer, da ein türkischer Einmarsch unabsehbare Konsequenzen hätte und den Friedensprozess mit den Kurden torpedieren würde.

Das Interview führte Uwe Mai.

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