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Klippen im Gesundheitswesen Wenn Tabus gebrochen werden – Muslimas beim Arzt

Mit einem Zeitungsinserat wurde sie angekündigt: Frau Kati Vogt – Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Teile des Inserats sind in Persisch und Arabisch geschrieben. Und Frau Vogt trägt auf dem Bild ein Kopftuch.

Inserat von medbase
Legende: Das Inserat von Kati Vogt fiel auf: Nicht zuletzt, weil ein Teil in arabischer Schrift verfasst ist. SRF

Kati Vogt kommt aus Deutschland. Vor 26 Jahren ist sie zum Islam übergetreten. Die Gynäkologin hat 22 Jahre Berufserfahrung, war lange in Marokko, im Iran und die letzten zwei Jahre in Dubai. Dass sie als Muslimin eine Marktlücke füllen könnte, darüber habe sie nie nachgedacht. Sie wolle hier einfach eine gute Ärztin sein, sagt Vogt aus.

Audio
Kati Vogt, die muslimische Gynäkologin
aus HeuteMorgen vom 11.05.2018.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 37 Sekunden.

«Es erleichtert vieles»

Die Religion, die Sprachen Arabisch und Persisch, der kulturelle Hintergrund oder das Kopftuch seien für ihre Arbeit mit muslimischen Patientinnen nicht zwingend. Aber: «Es erleichtert vieles, wenn man in solchen Ländern gelebt und die gleiche religiöse Basis hat. Die gleiche kulturelle Basis hingegen hat man nicht. Denn eine Frau aus Eritrea wird ganz anders sein als eine Muslima aus Indonesien.»

Doch das Verständnis für Moslems – gerade in Familienfragen – sei dadurch möglicherweise eher da. «Für viele Frauen ist die Fruchtbarkeit ganz wichtig. Die werden eher an Krebs sterben, als sich die Gebärmutter rausnehmen zu lassen. Dann findet man schneller eine Lösung für die Frau. Man weiss, wo das herkommt und kann ein bisschen besser darauf eingehen», sagt die muslimische Ärztin.

Peter Schertenleib (linke Seite) und Kati Vogt
Legende: Gynäkologin Kati Vogt in einer Besprechung mit ihrem Chef Peter Schertenleib. SRF

«Es kann ein sehr gutes Angebot sein»

Aus Sicht ihres Chefs, Peter Schertenleib, ist Kati Vogt keine Ärztin für Muslimas oder Flüchtlinge. «Wir wollen dieses Segment nicht wirklich bearbeiten und pflegen – wenn ich das so sagen darf –, so dass Frau Vogt nur noch die ‹Flüchtlingsärztin von Bern› wäre», sagt Schertenleib. Er wolle einfach eine fähige Fachärztin.

Lolita Tschanz arbeitet für Caritas Bern. Sie betreut Flüchtlingsfamilien. Es werde sich wohl herumsprechen, sagt sie. «Es kann ein sehr gutes Angebot sein für eine spezifische Gruppe», so Tschanz. Aber einen Mangel, ein Bedürfnis in der Gemeinschaft der Muslime, nehme sie bisher nicht wahr.

Anders sieht das Andrea Weber, die Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes in Bern. Familien würden sehr wohl nach muslimischen Ärztinnen fragen. «Es ist ein Bedürfnis und es war an der Zeit, dass jemand das abdeckt», sagt Weber.

Der Blick in die Statistik zeigt: Die muslimische Bevölkerung in der Schweiz wächst seit Jahren stetig. Waren es im Jahr 1970 9150 Personen nur 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung, so sind es nun mit 363'031 Personen über 5 Prozent.

Offene Menschen sind gefragt

Eine Gynäkologin wie Kati Vogt scheint in Stadt und Kanton Bern ein Einzelfall zu sein. Eine Ärztin mit ähnlichem kulturell-religiösem Hintergrund konnte weder ihre Praxis, die Caritas noch der Kanton Bern nennen.

Die Gesellschaft müsse solche Ärztinnen und Ärzte jedoch bieten, sagt Andrea Weber. Lolita Tschanz von der Caritas aber mahnt, man könne nicht für jede Bevölkerungsgruppe eigenes medizinisches Personal einsetzen.

Was man brauche, seien offene Menschen, die Verständnis für Patienten hätten, sagt Weber. Genauso arbeite sie, sagt Gynäkologin Vogt: «Da spielt es keine Rolle, welche Religion, welche Nationalität man hat oder woher man kommt.»

In vielen Kulturen empfinden es Leute als schwierig, komplett nackt zu sein.
Autor: Nelly Staderini Hebamme, Medecins sans Frontières

Über Fingerspitzengefühl des medizinischen Personals im Umgang mit muslimischen Frauen, kann Nelly Staderini viel erzählen.

Staderini hat schon zahlreiche Eröffnungen von Geburtskliniken in Krisengebieten und Flüchtlingscamps begleitet.

Nelly Staderini inmitten einer Gruppe afrikanischer Frauen sitzend
Legende: Im Einsatz: Nelly Staderini bildet im Tschad traditionelle Geburtshelfer in einem Flüchtlingslager in Tschad aus. zvg MSF

Welchen Glauben eine Frau habe und welchem Kulturkreis sie angehöre, das spiele im Sprechzimmer oder im Gebärsaal eine untergeordnete Rolle. Was es zu beachten gilt, darüber gibt Staderini im Interview Auskunft.

Nelly Staderini

Nelly Staderini

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Nelly Staderini ist ausgebildete Hebamme und arbeitet als Expertin für reproduktive Gesundheit bei Medecins Sans Frontières. Sie war als Hebamme auf mehrmonatigen Auslandeinsätzen – etwa in Afghanistan, im Tschad oder in Pakistan.

SRF News: Welche Regeln muss man Ihrer Meinung nach beachten bei der Arbeit in muslimischen Ländern?

Nelly Staderini: Als erstes muss man sicher gut zuhören. Zuhören bedeutet, dass man sich, wenn nötig einen Übersetzer besorgt, um die Bedürfnisse und Ängste der Frauen besser zu verstehen. Und das zweite ist: Möglichst schnell einen Raum des Vertrauens zu schaffen. Auch räumlich: Mit einer Türe, die man schliessen oder einem Vorhang, den man ziehen kann, damit andere nicht mithören oder zuschauen können.

In vielen Kulturen empfinden es Leute als schwierig, komplett nackt zu sein. Und da muss man manchmal den nackten Unterkörper der Frau abdecken – beispielsweise während einer vaginalen Untersuchung. Wenn das gewährleistet ist – die Kommunikation und der intime Raum – dann ist es die Frau, die dem medizinischen Personal zeigen wird, was sie will oder nicht. Was hier natürlich auffällt: Das sind Regeln, die man überall anwenden könnte – da wäre wohl jede Frau auf der Welt froh darum.

Heisst das, ob Sie nun eine christliche Frau in Paris oder eine muslimische Frau in Kabul behandeln, diese Grundsätze bleiben die gleichen?

Genau, es kommt immer auf die Leute an. Natürlich hat man den Eindruck, dass es zum Beispiel für eine Haitianerin weniger ein Thema ist als für eine Frau aus Pakistan, aber es ist individuell.

Manche Frauen haben grosse Angst vor dem Kaiserschnitt.

Wenn Sie nun aber Unterschiede festmachen müssten bei der Behandlung: Wo setzen ihre Patientinnen in muslimischen Ländern eher die Grenzen als in einem Pariser Spital?

Ein Bereich, der etwas komplizierter sein kann, ist der körperliche Kontakt. Ich habe Situationen erlebt, in denen die Frauen nicht wollten, dass man sie vaginal untersuchte. In manchen Ländern werden die Frauen während der Schwangerschaft nur selten untersucht und nicht mit den bei uns üblichen Tastgriffen. Da ist es klar, dass manche Frauen Mühe damit haben.

Ich habe jeweils versucht herauszufinden, was hinter dieser Abneigung steht: Ist es die fehlende Erfahrung, ist es verbunden mit einer Gewalterfahrung? Da muss man als Hebamme aufmerksam sein und schauen, dass man zu einem Einverständnis kommt. Das kann Zeit brauchen. Sogar während der Geburt gibt es Frauen, die es nicht mögen, wenn man sie anfasst, um zu schauen, wie weit der Muttermund schon geöffnet ist.

Aber wenn die Patientin nicht angefasst werden will – können Sie als Hebamme Ihre Arbeit überhaupt richtig machen?

Im Gespräch, lässt sich vieles erreichen. Natürlich braucht es da Geduld. Ausserdem muss man die Frauen auch nicht gerade jede Stunde untersuchen. Manchmal kann man sich auf das Minimum beschränken, wenn es die Situation zulässt. Man muss ohnehin viele Dinge verhandeln während diesen Behandlungen.

Manche Frauen haben grosse Angst vor dem Kaiserschnitt. Da ist Sensibilität gefordert. Es gibt Frauen, die wurden vielleicht misshandelt, sind traumatisiert. Wenn man weiss, woher das kommt, fällt es auch leichter, eine Entscheidung einfach mal zu akzeptieren.

Sie haben die Übersetzer schon erwähnt, die Sie brauchten, um verstanden zu werden. Gab es auch Dinge, die Sie im Sprechzimmer besser nicht angesprochen hätten, weil Sie sonst kulturelle Gepflogenheiten verletzt hätten?

Ich habe in Ländern gearbeitet, ohne die Sprachen zu sprechen, also war ich auf Übersetzer angewiesen. Das ist natürlich eine grosse Barriere für uns. Man weiss nicht genau, wie etwas übersetzt wird. Vielleicht sagen wir das Wort Sex, und es wird mit einem anderen Wort übersetzt. Hier gibt es Rätsel.

Wir hatten einen einfachen Holzstock, und haben vorgeführt, wie man ein Präservativ abrollt.

Sie waren vielerorts im Einsatz, in Afghanistan, in Pakistan, im Tschad. Gibt es eine Situation, die Ihnen als Hebamme als besonderes herausfordernd in Erinnerung geblieben ist?

Wir waren in Afghanistan während der Taliban-Herrschaft. Vieles war verboten, zum Beispiel Verhütung. In unserem Camp aber haben wir mit Hebammen gearbeitet, um ihnen zu zeigen, wie ein Präservativ funktioniert. Das waren sehr traditionelle Geburtshelferinnen. Und wir haben ihnen gezeigt, wie sie dieses Wissen an ihre Klientinnen weitergeben konnten. Es war ziemlich beeindruckend zu sehen, dass selbst bei so strengen Verboten eigentlich ziemlich viel machbar ist, auch in so intimen Bereichen.

Wie sind Sie da vorgegangen?

Wir hatten einen einfachen Holzstock, und haben vorgeführt, wie man ein Präservativ abrollt. Es war das erste Mal, dass sie das gesehen haben. Zwar wurden im Camp schon vorher Präservative verteilt, aber die Leute dachten, es seien Ballone für die Kinder. Ich glaube, man muss versuchen, solche Tabus zu beseitigen.

Diese Hebammen sind später zu uns gekommen und haben gesagt, sie seien zufrieden darüber, dass sie ihren Klienten dieses Wissen weitergeben konnten. Auch bei gewissen Männern sei es gut angekommen. Für mich als Ausländerin wäre es natürlich absolut undenkbar gewesen, den Leuten zu zeigen, wie ein Präservativ funktioniert.

Sie sagen also: Wenn man gewisse universelle Grundsätze beachtet, dann sind sogar so strikte, gesellschaftliche und religiöse Tabus verhandelbar – auch bei sehr intimen Themen wie Fortpflanzung und Frauenheilkunde?

Natürlich gibt es immer die Situationen im streng religiösen Umfeld, ob das nun in Frankreich ist oder im Ausland. Wenn es Ehemänner zum Beispiel komplett ablehnen, dass ein männlicher Gynäkologe das Geschlecht seiner Frau untersucht. Das gibt es natürlich. Aber je näher man an den existentiellen Themen ist, nah an Leben und Tod, in Notfällen zum Beispiel, umso grösser ist der Verhandlungsspielraum für uns.

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