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Interview mit Historikerin Francesca Falk
Aus Club vom 27.07.2022.
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Umgang mit Geflüchteten Historikerin: «Rassismus und Vorurteile spielen eine Rolle»

Seit Kriegsbeginn hat die Schweiz über 60'000 ukrainische Geflüchtete aufgenommen. Sie erhalten den Schutzstatus S und dürfen dadurch sofort arbeiten. Geflüchtete aus anderen Kriegsgebieten erleben das anders: So erhielten etwa zum Höhepunkt des Syrienkrieges rund die Hälfte syrischen Geflüchteten den Status der «Vorläufigen Aufnahme». Dadurch sind sie unter anderem beim Familiennachzug oder der Integration in den Arbeitsmarkt benachteiligt.

Warum das? Historikerin Francesca Falk ordnet die Unterschiede gegenüber der SRF-Sendung «Club» ein.

Francesca Falk

Francesca Falk

Historikerin

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Francesca Falk ist Historikerin und aktuell Dozentin für Migrationsgeschichte an der Universität Bern. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Geschichte der Schweiz, des modernen Europas und der Kolonialismus und seine Nachwirkungen. Francesca Falk hat an der Universität Basel doktoriert und an verschiedenen internationalen Universitäten studiert und geforscht, u.a. an der Università di Roma, der UC Berkeley und der University of Oxford.

SRF News: Francesca Falk, Sie sagen, dass es grosse Unterschiede gebe, wie die Schweiz Geflüchtete aufnehme – und das über die letzten Jahrzehnte?

Francesca Falk: Wenn man die Gegenwart anschaut, muss man nicht Historikerin sein, um das zu sehen. Doch dieses Phänomen ist nicht neu. Beispielsweise wurden während des Zweiten Weltkrieges Menschen, die aus politischen Gründen aus Nazi-Deutschland flüchteten, in der Schweiz aufgenommen. Für jüdische Geflüchtete hingegen war die Grenze ab 1942 geschlossen, obwohl man wusste, dass die Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung bevorsteht.

Antisemitismus spielte eine entscheidende Rolle.

Da spielte der herrschende Antisemitismus eine entscheidende Rolle. So sagte etwa Heinrich Rothmund, der damalige Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei: «Wir haben nicht 20 Jahre gegen die Verjudung gekämpft, um uns das jetzt aufzwingen zu lassen.»

Was ist denn der entscheidende Faktor? Die Religion?

Man schreibt diesen Menschen zu, dass sie «anders» seien. Im Falle der jüdischen Bevölkerung war da einerseits die Religion, aber auch ein sehr starkes rassisches Denken: dass die jüdischen Geflüchteten ein anderes Erbgut mitbringen und ein ganzes Volk «verderben» könnten.

Solche Wahrnehmungen zirkulieren nicht von selbst, sie werden produziert. Im Faschismus war ja eine ganze Propagandamaschinerie dahinter, die darauf hingewirkt hat, dass man die jüdische Bevölkerung als so anders wahrgenommen hat.

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Welche Rolle spielen Rassismus und Vorurteile?
Aus SRF News Videos vom 27.07.2022.
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Wenn wir auf die Gegenwart schauen: Ein halbes Jahr vor Ausbruch des Ukraine-Krieges haben in Afghanistan die Taliban die Macht übernommen. Da hat die Schweiz ganz anders reagiert?

Das finde ich das Frappante, denn man hat in der Schweiz ja keine Sympathien mit den Taliban. Und trotzdem hat man diese Menschen ganz anders empfangen. Das hat aus meiner Sicht mit dem starken anti-muslimischen Rassismus zu tun, den es in der Schweiz gibt.

Der unterschiedliche Empfang von Menschen aus Afghanistan und der Ukraine hat mit dem starken anti-muslimischen Rassismus zu tun, den es in der Schweiz gibt.

Dass man quasi eine Unterscheidung macht zwischen «guten», christlichen Geflüchteten aus Europa und «bedrohlichen» Geflüchteten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Das ist natürlich sehr problematisch.

Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass unsere Flüchtlings- und Migrationspolitik rassistisch aufgeladen ist?

Ich würde sagen, dass man historisch sieht, dass es das gibt. Und dann würde ich unterscheiden zwischen der Flüchtlingspolitik auf staatlicher Ebene und der Gesellschaft – und eben diesen Bildern und Vorurteilen, die in der Gesellschaft zirkulieren. Ein anderes Beispiel sind die Geflüchteten aus Sri Lanka. Das war die erste grössere Gruppe von nicht-weissen Menschen, die in die Schweiz kam, in den 80er-Jahren. Damals hat man in den Medien ganz starke Vorurteile verbreitet, auch in Form von Fake News.

Damals hat man in den Medien ganz starke Vorurteile verbreitet, auch in Form von Fake News.

So wurde beispielsweise verbreitet, dass manche Geflüchtete teure Lederjacken trugen, was zeige, dass sie gar nicht auf Hilfe angewiesen seien. Das sorgte damals für einen Skandal. Dabei handelte es sich bei den Jacken um Fehlproduktionen, die vom Roten Kreuz an die Geflüchteten verteilt worden waren. Es kam zu mehreren Anschlägen auf Asylunterkünfte. Bei einem kamen vier Geflüchtete ums Leben, darunter zwei Kinder.

Es ist ja häufig von der humanitären Tradition die Rede. Wird die Schweiz dieser gerecht?

Die Schweiz hat eine lange Geschichte der Aufnahme von Geflüchteten. Aber es gibt auch die lange Geschichte der Nicht-Aufnahme. Diese zwei Seiten gab es immer – und das sieht man auch heute noch. Wir haben einerseits diese grosse, sehr schöne Solidarität gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern. Aber es gibt auch die anderen Geflüchteten, die ebenfalls auf diese Solidarität angewiesen wären und bei denen es ganz anders aussieht.

Das Interview führte Barbara Lüthi.

Francesca Falk war Gast in der zweiten Folge der «Club»-Sommerserie «Krieg und Frieden», die am Dienstag, 26. Juli, ausgestrahlt wurde.

Sommerserie: «Krieg und Frieden»

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Legende: SRF

In der «Club»-Sommerserie «Krieg und Frieden» sind u.a. Geflüchtete und Aktivistinnen zu Gast, die an eigener Haut erfahren haben, was Krieg und Verfolgung bedeuten, Kriegsreporterinnen und -fotografen, die den Krieg dokumentieren und Menschen, die sich ein Leben lang für den Frieden einsetzen.

  • Dienstag 19. Juli, 22:25 Uhr, SRF 1: «Wie erreicht man den Frieden?»
  • Dienstag 26. Juli, 22:25 Uhr, SRF 1: «Geflüchtete: Wer ist willkommen?»
  • Dienstag 2. August, 22:25 Uhr, SRF 1: «Wie berichtet man aus dem Krieg?»
  • Dienstag 9. August, 22:25 Uhr, SRF 1: «Die Spuren des Krieges»
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Geflüchtete – Wer ist willkommen?
Aus Club vom 26.07.2022.
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Club, 26.07.2022, 22:25 Uhr;

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