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Quantensprung für die Gen-Forschung
Aus Wissenschaftsmagazin vom 02.12.2023. Bild: Imago Images / agefotostock
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Genetische Goldschätze Wie Biobanken helfen, Krankheitsrisiken besser einzuschätzen

Blutdruck, Hüftumfang, Speichelproben: In einer Biobank lagern wertvolle genetische Daten. Nun macht die UK Biobank sie erstmals zugänglich – und pusht Schweizer Forschende zum Aufbau einer eigenen.

Der Brite Timothy Frayling ist Professor für Humangenetik, früher in Exeter, England, seit kurzem an der Uni Genf. Noch nie, sagt der 51-Jährige, sei er so aufgeregt gewesen wie in diesen Tagen: «Das ist ein gewaltiger Sprung, um zu verstehen, wie unsere Gene das Leben und die Gesundheit beeinflussen.»

Grund für die Begeisterung ist der jüngste Coup der UK Biobank: Die renommierte Institution mit Sitz in Stockport im Nordwesten Englands macht die vollständigen genetischen Daten ihrer 500'000 freiwilligen Teilnehmenden zugänglich – für Forschende weltweit.

Früher habe er mit Schnappschüssen aus dem menschlichen Genom geforscht. Jetzt hingegen sei die komplette DNA-Sequenz verfügbar, «von jeder einzelnen Versuchsperson der Biobank-Kohorte!»

Eine halbe Million menschlicher Genome

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Der neue Gen-Datenschatz der UK Biobank verspricht vor allem Fortschritte für die personalisierte Medizin. Die Suche nach Biomarkern für bestimmte Krankheiten werde sich vereinfachen, sagen Forschende. Das bedeutet: Künftig wird es eher möglich, Therapien auf das persönliche Profil von Patientinnen und Patienten abzustimmen, inklusive sein oder ihr genetisches Profil.

Die genetischen Daten sind nur das Sahnehäubchen einer Unmenge von Gesundheitsinfos, welche die UK Biobank von ihren Freiwilligen hortet: Blut-, Urin- und Speichelproben, das Gewicht, Hüft- und Bauchumfang; Blutdruck, Puls, Knochendichte und vieles mehr. Auch über ihre Lebensumstände geben die Freiwilligen Auskunft – wo und wie sie leben, welche Schulen sie besucht haben, ob sie rauchen oder viel am Smartphone hängen etc.

Langzeitstudien zahlen sich aus

Nicole Probst-Hensch ist Epidemiologin am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institute und arbeitet selbst mit grossen Langzeitstudien. Sie findet, den Nutzen von Biobanken für die öffentliche Gesundheit könne man nicht hoch genug werten. Als Beispiel nennt sie Blutfette:

«Es waren Langzeitstudien wie die der UK Biobank, die gezeigt haben, dass Blutfette das Herz-Kreislauf-Risiko vorhersagen.» Dies habe zur Entwicklung von Statinen geführt – Blutfettsenkern. Diese Medikamente werden heute routinemässig eingesetzt, wenn jemand zu hohe Blutfettwerte hat. «Das hat die Herz-Kreislauf-Belastung in der Bevölkerung massiv gesenkt.»

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Archiv: Sapaldia – die grösste Schweizer Biobank lässt uns besser atmen
aus Kontext vom 07.11.2017. Bild: imago/Science Photo Library
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Probst-Henschs eigenes Projekt «Sapaldia», das den Einfluss von Luftverschmutzung auf Atemwegs- und Herzkrankheiten untersucht und seit 30 Jahren läuft, hat die Luftreinhaltepolitik in Europa und der Schweiz geprägt. Insgesamt ortet die Epidemiologin grosse Datenlücken im Gesundheitsbereich. In der Schweiz fehle es an Wissen, weshalb etwa manche Menschen an Diabetes, Krebs oder Demenz erkranken – andere gesund bleiben.

100'000 Freiwillige für die Schweiz

Deshalb will Nicole Probst-Hensch – und mit ihr die Public-Health-Community hierzulande – eine eigene Schweizer Kohorte mit Biobank ins Leben rufen. Mindestens 100'000 Erwachsene und Kinder sollen über die Jahre regelmässig untersucht und zu ihrer Gesundheit befragt werden.

Das Schweizer Projekt

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Die Pläne einer Schweizer Kohorte mit Biobank sind weit gediehen, noch aber fehlt die Finanzierung: 100 Millionen Franken soll die Studie kosten. Eine Pilotstudie in Bern und Lausanne unter der Federführung des BAG sei erfolgreich verlaufen, sagt Projektleiterin Nicole Probst-Hensch vom Swiss TPH. Der Ball liegt nun beim Bundesrat. Nimmt das Projekt die politischen Hürden, könnte es 2025 starten.

Vorbild ist die UK Biobank. Deren Daten sind für Forschende weltweit zugänglich, doch sie seien nicht 1:1 auf die Schweiz übertragbar, sagt Probst-Hensch. «Die Bevölkerung Grossbritanniens ist zwar in vielen, aber eben nicht in allen Aspekten repräsentativ für die Schweiz.» Andere Faktoren wie die Umwelt oder die Gesundheitssysteme würden sich ebenfalls stark unterscheiden.

Auch in der Genetik bestehen Unterschiede. Das bestätigt der britische Forscher Timothy Frayling: «Menschen von unterschiedlicher genetischer Herkunft haben andere Gene, andere genetische Variationen.» Die übersehe man vielleicht, wenn man nur Proben aus Grossbritannien anschaue.

Wissenschaftsmagazin, 02.12.2023, 12:40 Uhr

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