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Rattenkopf mit menschlichen Hirnzellen
Aus Wissenschaftsmagazin vom 15.10.2022. Bild: Getty Images / fotografixx
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Grenzen der Ethik Menschenhirn im Rattenkopf

Forschende in den USA haben menschliche Hirnzellen in die Hirne von jungen Ratten eingepflanzt, überschreiten damit ethische Grenzen und hoffen auf Erkenntnisse zu psychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie. Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel ordnet ein.

Katrin Zöfel

Katrin Zöfel

Wissenschaftsjournalistin

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Katrin Zöfel ist Wissenschaftsredaktorin bei SRF. Sie ist Biologin und versucht zu verstehen, wie die Wissenschaft helfen kann, Antworten auf gesellschaftlich wichtige Fragen zu finden.

SRF Wissen: Rattenkopf mit menschlichen Hirnzellen – das klingt fast unmöglich. Was haben die US-Forscher da gemacht?

Katrin Zöfel: Für diese Studie haben US-Forscher an der Uni Stanford menschliche Nervenzellen in die Gehirne von Ratten eingepflanzt. Diese Nervenzellen haben sich dort tatsächlich integriert, und haben dann das Verhalten der Ratten mitgesteuert.

Sie haben aus Stammzellen eine Art menschliches Minigehirn gezüchtet – sowas ist auch schon länger möglich, man nennt solche Mini-Organe auch Organoide. In diesen Hirnorganoiden bilden sich richtige Nervenzellnetzwerke aus, sogar hirn-ähnliche Strukturen mit Schichten. Diese sind und bleiben aber winzig, ohne sich zu vernetzen.

Deshalb kann man daran vieles gar nicht richtig untersuchen. Also haben die Forschenden ein Hirnorganoid aus menschlichen Zellen bei neugeborenen Ratten ins Gehirn eingepflanzt und siehe da: Rattennervenzellen und menschliche Nervenzellen haben sich verbunden und zusammen funktioniert.

Wie haben die Forschenden das geprüft?

Sie konnten messen, dass die menschlichen Hirnzellen Signale von den Rattenhirnzellen empfangen und verarbeiten konnten. Zudem haben sie die Ratten an ihren Schnurrhaaren berührt und konnten sehen, dass die menschlichen Nervenzellen auf den Reiz reagiert haben.

Und wozu das alles?

Es geht vor allem darum, psychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie besser zu verstehen, und zwar auf biologischer Ebene. Bisher sind die meisten psychiatrischen Erkrankungen vor allem über Verhaltensweisen und Symptome definiert, zum Beispiel exzessives Händewaschen oder Halluzinationen. Was biologisch genau passiert, ist oft noch sehr unklar.

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Gerade diese psychiatrischen Krankheiten sind oft rein menschlich. Mäuse oder Ratten werden nicht wirklich autistisch oder schizophren. An diesen Tieren kann man die Krankheiten also auch nicht wirklich gut erforschen. Und am Menschen ist es eben auch schwierig, das Hirn ist im Schädel gut geschützt, aber auch echt schwer zugänglich und Experimente damit zu machen heikel. Kurz: Es ist viel leichter, Leberkrankheiten oder Herzkrankheiten zu erforschen und kein Wunder, dass man da schon so viel weiter ist.

Dann sind solche Konstrukte, wie die Ratte mit menschlichen Nervenzellen das «Next best thing», also die nächstmögliche Näherung an das, was man eigentlich untersuchen will?

Sozusagen. Immerhin sind die menschlichen Nervenzellnetzwerke jetzt nicht mehr in irgendeiner Petrischale, sondern in einem lebenden Organismus. Die Idee ist, dass man dann Nervenzellen aus Stammzellen von zum Beispiel Schizophrenie-Patienten heranzüchtet und sich genau anschaut, was bei denen dann anders läuft als bei denen von Gesunden.

Da werden Chimären geschaffen, also Mensch-Tier-Mischwesen. Das wirft ethische Fragen auf, oder?

Ja, wie so oft, wenn die Forschung Fortschritte macht: Was ist ethisch betrachtet noch in Ordnung und wann werden Grenzen überschritten? Welche Ziele rechtfertigen welche Methoden? In dem Fall wäre das Ziel, schwere psychiatrische Krankheiten besser verstehen und vielleicht mal besser behandeln zu können. Darf man dafür Ratten erschaffen, die menschliche Nervenzellen in ihrem Gehirn haben und von denen auch gesteuert werden?

Das Gespräch führte Nina-Lou Frey.

Wissenschaftsmagazin, 15.10.2022, 12:40 Uhr;

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