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Vitamine & Co. – Was sie wirklich bringen
Aus Puls vom 30.01.2023.
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Populäre Nahrungsergänzung Vitamine & Co. – Was bringen die Präparate wirklich?

30 Prozent der Menschen in der Schweiz schlucken regelmässig Vitamine oder Mineralien – obwohl deren Nutzen bei gesunden Erwachsenen nicht belegt ist. Die Überzeugung, sich mit Nahrungsergänzungsmitteln etwas Gutes zu tun, hält sich hartnäckig.

«Um der Gesundheit etwas Gutes zu tun» und «um Defizite auszugleichen»: Es sind die zwei am häufigsten genannten Argumente von Schweizerinnen und Schweizern zur Einnahme von Vitamin- und Mineralstoff-Präparaten. 30 Prozent schlucken hierzulande regelmässig Vitamine oder Mineralstoffe – vor allem Frauen mit einem sowieso schon gesunden Lebensstil.

Es sind Daten, die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) 2022 erhoben hat. Urs Stalder, Leiter Fachbereich Nutrimonitoring, sagt über den Hintergrund der Befragung: «Wir wollten herausfinden, ob es allenfalls einen kritischen Konsum gibt, also eine Überversorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln.»

Produkte wie Brausetabletten oder Tropfen seien beliebt und würden stark beworben – vor allem im Winterhalbjahr im Zusammenhang mit der Erkältungs- und Grippe-Saison. Ein Milliarden-Geschäft. Weltweit.

Was sind Mikronährstoffe?

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Zu den Mikronährstoffen zählen die Vitamine und Mineralstoffe. Der menschliche Körper kann sie nicht selber herstellen. Wir müssen sie über die Nahrung zu uns nehmen.

Die Vitamine sind unterteilt in fettlösliche Vitamine, die der Körper speichern kann: Vitamin A und seine Vorstufe Betacarotin zum Beispiel. Und in wasserlösliche Vitamine, die der Körper nicht speichern kann. So wie Vitamin C. Ein Überschuss wird mit dem Urin ausgeschieden. Einzig das wasserlösliche Vitamin B12 lässt sich im Körper speichern.

Neben den Vitaminen gehören auch die Mineralstoffe zu den Mikronährstoffen. Zu den häufig diskutierten Mineralstoffen gehören etwa Calcium, Magnesium, Selen, Eisen oder Zink.

Alle diese Mikronährstoffe erfüllen eine Vielzahl von Funktionen im menschlichen Körper. Unter anderem den Aufbau der Schleimhäute, die Bildung von Blutzellen, die Regulierung des Immunsystems oder den Erhalt des Nervensystems.

Dies vorweg: Ob es einen kritischen Konsum gibt, kann abschliessend nicht gesagt werden. Das BLV empfiehlt aber die Einnahme solcher Präparate nur in Absprache mit Arzt oder Apotheke. Eine Kombination verschiedener Präparate sollte zudem vermieden werden. Auch die Forschung belegt: Viel hilft nicht immer viel.

Studien zeigen: Vitamin-Präparate bringen keinen zusätzlichen Nutzen

Verschiedene Studien haben sich in den letzten Jahrzehnten mit der Frage beschäftigt, ob Supplemente mit Vitaminen bei gesunden Erwachsenen einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben. Mit klarem Resultat: Nein. So konnte beispielsweise Vitamin C bei der Durchschnittsbevölkerung weder Erkältung oder Grippe verhindern, noch die Symptome statistisch relevant reduzieren.

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Blick in die Vergangenheit: So wurde der Vitamin-C-Mangel geboren
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Die empfohlene Menge Vitamin C – rund 100 Milligramm täglich – kann zudem problemlos durch eine ausgewogene Ernährung mit fünf Portionen Früchte oder Gemüse pro Tag aufgenommen werden. Diese Menge entspricht in etwa ein bis zwei Orangen, einer halben Peperoni oder einem halben, gedämpften Brokkoli.

  • Zu viel Vitamin C kann bei Menschen mit einer Niereninsuffizienz zu einer vermehrten Bildung von Oxalsäure führen und damit das Risiko für Nierensteine fördern.
  • Auch eine Überdosierung mit Vitamin A und dessen Vorstufe Beta-Carotin kann Konsequenzen haben. Eine gross angelegte Studie wollte in den 90er-Jahren den positiven Nutzen von Vitamin A belegen – herausgekommen sind die Daten dann ganz anders: Bei Raucherinnen und Rauchern wurde ab der 20-fachen Tagesdosis ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt.
  • Auch Schwangere sollten von reinem Vitamin A, wie es in der Leber vorkommt, die Finger lassen. Bereits ab einer Tagesdosis von gut acht Milligramm kann der Fötus Schaden nehmen.

Gesundes Essen toppt Vitamin- und Mineralstoff-Präparate

Peter E. Ballmer ist Professor und Facharzt für Allgemeine und Innere Medizin. Er hält von Vitamin- und Mineralstoff-Präparaten nichts: «Ein isoliertes Vitamin-Präparat einzunehmen, ist keine gute Idee. Es fehlen alle anderen wichtigen Nährstoffe, die ebenfalls in Früchten und Gemüse enthalten sind, wie Nahrungsfasern zum Beispiel.»

Ein isoliertes Vitamin-Präparat einzunehmen, ist keine gute Idee. Es fehlen alle anderen wichtigen Nährstoffe.
Autor: Peter E. Ballmer Facharzt für Allgemeine und Innere Medizin

Auch das Argument der Hersteller, dass bei starker Belastung im Alltag ein erhöhter Bedarf bestehen würde, schlägt Peter E. Ballmer in den Wind: «Für den Normalbürger ist das kein Thema, da braucht es einfach eine gesunde, ausgewogene Ernährung.» Einen erhöhten Bedarf gebe es vielleicht während der Schwangerschaft oder bei Leistungssportlern.

Irgendwelche verrückten Bestimmungen, die nur viel Geld kosten, kann man sich getrost sparen.
Autor: Peter E. Ballmer Facharzt für Allgemeine und Innere Medizin

Der ehemalige Chefarzt und Klinikleiter Innere Medizin am Kantonsspital Winterthur ist pensioniert. Sein Fachwissen ist aber nach wie vor gefragt. Tageweise hilft er deshalb noch in einer Gruppenpraxis in Winterthur aus. «Vitamin-Mangel sehe ich sehr selten», berichtet er aus seinem Praxis-Alltag. «Irgendwelche verrückten Bestimmungen, die nur viel Geld kosten, kann man sich getrost sparen.»

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Peter E. Ballmer, Facharzt: «Um einen Vitaminmangel abzuklären, sollte man konkrete neue Symptome haben»
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Das Risiko für Mangelerscheinungen sei äusserst selten. Nur bei speziellen Ernährungsformen, während bestimmten Lebensphasen und bei gewissen Erkrankungen könne es zu einem Vitamin- oder Mineralstoff-Mangel kommen.

Als Beispiele nennt er die Alkoholsucht, die vegane Ernährungsweise, bei der es zu einer Unterversorgung mit dem B-Vitamin B12 kommen kann, Schwangerschaft und Stillzeit mit erhöhtem Bedarf an Folsäure sowie Menschen mit Polypen oder Darmkrebs, die unbemerkt Blut verlieren und durch die Blutarmut einen Eisen-Mangel entwickeln.

Nährstoffversorgung ist nicht top, aber ausreichend

Auch Urs Stalder vom BLV ist überzeugt, dass Nahrungsergänzungsmittel für gesunde Erwachsene nicht nötig sind: «Wir sind der Meinung, dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung gemäss Schweizer Lebensmittelpyramide alle wichtigen Nährstoffe liefert.»

Zum ersten Mal überhaupt wurden 2022 unter seiner Leitung Daten für die Schweiz zum Ernährungsverhalten erhoben und damit auch zum Verzehr der wichtigen Mikronährstoffe. «Wir essen zu viel Süsses, zu viel Salz und zu viel Fleisch. Aber dafür zu wenig Milchprodukte und zu wenig Früchte und Gemüse», fasst Urs Stalder das Resultat der Befragung zusammen.

Eine ausgewogene, gesunde Ernährung gemäss Schweizer Lebensmittelpyramide liefert alle nötigen oder wichtigen Nährstoffe.
Autor: Urs Stalder Leiter Nutrimonitoring BLV

Die empfohlenen Nährstoff-Tagesdosen wurden aber trotzdem bei vielen Vitaminen und Mineralien erreicht. Gewisse Nährstoffe wie Jod, Vitamin B12 und Folsäure wolle man aber im Auge behalten. «Die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr sind Orientierungswerte», erklärt Urs Stalder, «dass sie nicht überall erreicht werden, ist nicht weiter tragisch».

Der Bedarf hänge von vielen verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel dem Geschlecht, dem Alter, der körperlichen Aktivität oder den Genen ab. Neue Massnahmen oder Empfehlungen braucht es im Moment aber nicht.

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Urs Stalder, BLV: «Die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr sind Orientierungswerte, der tatsächliche Bedarf variiert je nach Person»
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Das Geld für Vitamine und Mineralien kann also getrost gespart und in frische Früchte und frisches Gemüse – möglichst saisongerecht und aus der Region – investiert werden.

«Kindern Vitamin-Gummibärchen zu geben, ist fast schon pervers»

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Legende: SRF

Peter E. Ballmer hat 22 Jahre am Kantonsspital Winterthur gearbeitet – auch als Chefarzt und Klinikleiter der Inneren Medizin. Seit vier Jahren ist er pensioniert, arbeitet aber noch tageweise in einer Gruppenpraxis. Er bezeichnet sich als Ernährungsfreak und ist Verfechter der mediterranen Ernährung.

SRF: Kein Grossverteiler ohne Regal mit Nahrungsergänzungsmitteln. Und bereits für die Kleinsten gibt es vitaminisierte Gummibärchen. Was macht das mit uns?

Peter E. Ballmer: Eine wichtige Frage. Kindern Vitamine in Gummibärchen-Form zu geben, finde ich fast schon pervers.

Aber es gibt ja Kinder, die nur nackte Spaghetti essen und nicht auf fünf Portionen Früchte oder Gemüse kommen?

Wenn man so speziell isst, dann könnte ich mir das noch vorstellen. Aber das ist sicher eine Ausnahme und oft auch nur eine Übergangsphase für vielleicht ein paar Monate, in denen das Kind so isst. Und da passiert sicher nicht viel. Für die Entwicklung vom Kind ist es dann aber schon wichtig, dass es eine vollwertige Ernährung hat.

Beim Erwachsenen glaube ich, hat es mit Bequemlichkeit zu tun, da ist es eine Wohlstandserscheinung.

Wie denn?

Das ist schlicht der einfachste Weg. Man schaut fern, ist eher ein Couch-Potato, isst Chips und Erdnüsse und macht keinen Sport, hat zu wenig Bewegung. Und dann nimmt man die magische Pille und hat damit das Problem gelöst. Und das ist einer der Gründe, warum solche Präparate so beliebt sind.

Und dann ist es natürlich vor allem auch ein PR- und Marketing-Gag. Man weiss, dass der Verkauf solcher Produkte weltweit ein Millionen-, wenn nicht Milliarden-Geschäft ist und das, obwohl Studien seit Jahrzehnten zeigen, dass solche Produkte kaum einen Effekt haben.

Das Gespräch führte Daniela Lager.

Puls, 30.01.2023, 21:05 Uhr

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