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Wie ein Speziallabor antiobiotikaresistente Bakterien angeht
Aus Wissenschaftsmagazin vom 19.11.2022. Bild: SRF
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Resistente Bakterien Wenn das Antibiotikum nicht mehr wirkt

Antibiotika wirken bei bestimmten Bakterien nicht mehr. Ein Team in einem spezialisierten Labor versucht, diese gefährlichen Bakterien möglichst genau zu überwachen.

«Die Bakterien kommen per Post zu uns», sagt der Laborant Maxime Bouvier. Er öffnet einen der wattierten Briefumschläge, die auf einem Tisch am Eingang des hellen, modernen Labors deponiert wurden. Gut verpackt, befindet sich darin eine Glasampulle mit einer bräunlichen Flüssigkeit: eine Probe mit resistenten Bakterien – Bakterien, die sich kaum oder gar nicht mehr mit Antibiotika behandeln lassen. Bakterien, die in der Schweiz schätzungsweise 300 Menschen pro Jahr das Leben kosten.

Auf dem Bild ist ein Forscher in einem weissen Kittel zu sehen.
Legende: Maxime Bouvier vor dem Eingang des Speziallabors für Antibiotikaresistenzen. SRF

Maxime Bouvier arbeitet am nationalen Referenzlaboratorium zur Früherkennung und Überwachung neuartiger Antibiotikaresistenzen (NARA). Hierher gelangen alle Urin-, Speichel- oder Gewebeproben von Patientinnen und Patienten in der Schweiz, die an Infektionen mit resistenten Bakterien erkrankt sind; die beispielsweise an einer Harnwegsinfektion oder einer Lungenentzündung leiden, die sich nicht mehr gängigen Antibiotika behandeln lässt.

Suche in der Petrischale

«Als Erstes vermehren wir diese Bakterien in einer Petrischale» erklärt Maxime Bouvier. So kann er kontrollieren, ob die Probe sauber ist, also nur eine bestimmte Art von Bakterien enthält.

Auf dem Bild sind Petrischalen zu sehen.
Legende: Um die Bakterienproben zu untersuchen, werden sie zuerst in Petrischalen vermehrt. SRF

Dann vermischt der Laborant eine kleine Menge Bakterien mit verschiedenen Chemikalien in einem Plastikhütchen und rüttelt sie kurz und heftig durch.

Besorgniserregende Resistenzen

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Antibiotikaresistenzen können grundsätzlich immer entstehen, sobald Antibiotika auf Bakterien einwirken. Einige wenige Bakterien können den Angriff durch ein Antibiotikum allenfalls überleben, weil sie – mehr oder weniger durch genetischen Zufall – Abwehrkräfte gegen dieses Antibiotikum besitzen.

Dieser eigentlich natürliche Auslese-Prozess geschieht aber umso häufiger, je mehr Antibiotika verschrieben werden. Ausserdem können verschiedene resistente Bakterien ihre Abwehrkräfte gegenseitig weitergeben, wenn sie miteinander in Kontakt kommen – es entstehen multiresistente Bakterien.

Das Problem mit resistenten Bakterien ist in der Schweiz, verglichen mit anderen europäischen Ländern, klein. «Aber die Schweiz ist keine Insel», sagt Patrice Nordmann vom NARA. «Schweizer und Schweizerinnen reisen sehr gern und bringen aus anderen Ländern hoch-resistente Bakterien mit nach Hause.» Italien beispielsweise hat sich zu einem Hotspot für Antibiotikaresistenzen entwickelt. Von dort würden immer wieder Bakterien importiert, die beispielsweise die Besorgnis erregende Carbapenem-Resistenz besitzen.

«So brechen wir die Zellwände der Bakterien auf», sagt der Laborant. Alles, was in einem Bakterium drin ist, schwimmt danach frei in der Flüssigkeit herum. Dort sucht Maxime Bouvier nun nach bestimmten Enzymen – sogenannten Carbapenemasen. Denn wenn Bakterien diese speziellen Enzyme besitzen, können sie gewisse Antibiotika zerschneiden und somit unwirksam machen.

Gefährliche Werkzeuge in kleinen Bakterien

Für den Test auf solche Carbapenemasen gibt Bouvier einen roten Farbstoff hinzu. Dann stellt er das Plastikhütchen in ein Gerät – und nach wenigen Minuten kann er das Resultat sehen: Die Probe ist nicht mehr rot, sondern gelb. Das gesuchte Enzym hat gearbeitet und dadurch den pH-Wert verändert. Das bedeutet: Die untersuchten Bakterien sind tatsächlich resistent gegen eine wichtige Gruppe von Antibiotika-Medikamenten.

Speziallabor für resistente Bakterien

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Um gegen das Problem mit resistenten Bakterien vorzugehen, hat der Bund 2015 eine nationale Strategie verabschiedet. Sie sieht unter anderem vor, dass möglichst genau überwacht werden soll, wo in der Schweiz resistente Bakterien auftreten. So soll verhindert werden, dass sie sich ausbreiten. Zu diesem Zweck wurde das nationale Referenzlaboratorium zur Früherkennung und Überwachung neuartiger Antibiotikaresistenzen (NARA) gegründet.

Unter der Leitung von Patrice Nordmann entwickelte das Labor in den vergangenen Jahren eine Reihe von Schnelltests, die innert weniger Minuten Aussagen dazu liefern, welche Resistenzen bei einer bestimmten Infektion vorliegen. «Diese Tests liefern wertvolle Hinweise für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, um die Antibiotika-Therapie möglichst rasch und wirksam anpassen zu können», sagt Patrice Nordmann.

Leider habe man für die Entwicklung dieser Tests keinen Partner in der Schweiz gefunden, und arbeitet darum mit Firmen aus Frankreich und den USA zusammen.

«Wenn ein Bakterium dieses Enzym Carbapenemase besitzt, dann ist es bereits multiresistent», sagt Maxime Bouvier. Dann bleiben nur noch sehr wenige Antibiotika – oder Kombinationen von Antibiotika –, um eine Infektion zu behandeln. «Zum Glück sind Infektionen mit solchen Bakterien in der Schweiz noch sehr selten».

Immer weniger wirksame Medikamente

Welche Antibiotika noch wirken könnten, untersucht Maxime Bouvier mit einem Antibiogramm. Dafür lässt er die Bakterien den Boden einer durchsichtigen Schale bewachsen. Darin platziert er kleine, genau definierte Portionen verschiedener Antibiotika-Wirkstoffe.

Auf dem Bild ist ein Antibiogramm zu sehen-
Legende: Ein Antibiogramm zeigt an, mit welchen Antibiotika sich ein resistentes Bakterium noch behandeln lässt. SRF

Wenn ein Antibiotikum noch wirkt, dann tötet es die Bakterien um sich herum und es entsteht ein klarer durchsichtiger Kreis. Wirkt es nicht mehr, entsteht kein Kreis. «Diese Resultate schicken wir an das Spital oder die Praxis, wo die Probe herkam», sagt Maxime Bouvier. «Die Ärztinnen und Ärzte können dann die Antibiotika-Behandlung anpassen – solange es noch wirksame Medikament gibt.»

Wissenschaftsmagazin, 19.11.2022, 12:40 Uhr

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