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Glaubenskrieg um die Milch: Macht sie stark oder krank?
Aus Puls vom 06.11.2023.
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Umstrittenes Lebensmittel Kuhmilch: Nährstoffwunder oder Krankmacherin?

«Milch macht müde Männer munter» war gestern. Heute wird Kuhmilch von Kritikern als Krankmacherin verdächtigt. Aber warum trinken wir überhaupt Milch, und was macht das tatsächlich mit unserer Gesundheit?

«Durch sie erhält das Menschenkind erst Grösse und Gestalt!» – die Milchwerbung von 1950 sparte nicht an Superlativen und lobte das «weisse Gold» unter anderem als essenzielle Kalziumquelle für starke Knochen in den Himmel.

Über 70 Jahre ist das her, und der Ton hat sich drastisch verändert. Kuhmilch wird nicht mehr nur gelobt – sie sieht sich vielmehr mit immer kritischeren Stimmen konfrontiert. Gesundheitsblogger und auch Medizinerinnen werfen der Kuhmilch vor, eine Krankmacherin zu sein. Ein «weisses Gift», das schwere Leiden begünstige, wenn nicht gar verursache.

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«Die Nachteile der Kuhmilch sind gravierend»
Aus Puls vom 06.11.2023.
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Auch hierzulande gibt es Milchkritiker. So rät etwa Renato Pichler, Präsident des Interessenverbandes für vegan und vegetarisch lebende Menschen in der Schweiz SwissVeg, vom Kuhmilch-Konsum ab: «Die Nachteile der Milch sind so gravierend auf so vielen Ebenen, ich würde vor dem Konsum warnen.» 

Demgegenüber steht die Tatsache, dass Milch in der Schweiz als Teil einer ausgewogenen Ernährung empfohlen wird. So rät die Schweizer Lebensmittelpyramide des Bundes zu drei Portionen Milch am Tag.

Schweizer Lebensmittelpyramide
Legende: In der offiziellen Lebensmittelpyramide haben Milchprodukte einen hohen Stellenwert. Quelle: SGE

Die widersprüchlichen Aussagen rund um die Milch werfen die Frage auf: Ist Kuhmilch Freund oder Feind? Macht sie uns stark oder krank? Und warum trinken wir überhaupt die Muttermilch einer anderen Spezies?

Warum trinkt der Mensch Kuhmilch? 

Der menschliche Körper ist ursprünglich nur im Säuglingsalter dafür programmiert, Milch zu verwerten. Doch als die Menschen in Europa vor etwa 6000 Jahren sesshaft wurden, kam es zu einer genetischen Veränderung.

Milch – eine Nährstoffbombe

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Kuhmilch besteht zu 87 Prozent aus Wasser. Trotzdem bietet kaum ein anderes Lebensmittel eine so grosse Nährstoffdichte.

Neben wertvollen Eiweissen, Fetten und Kohlenhydraten enthält Kuhmilch auch Mineralstoffe wie Kalzium, Zink und Jod und Vitamine wie A, B2, B12, C, D und E. Diese sind wichtig für Stoffwechselprozesse und das Immunsystem.

Dank dieser Mutation entwickelten einige Menschen die Fähigkeit, das Enzym Laktase ihr ganzes Leben lang zu produzieren. Laktase ist notwendig für die Verdauung von Milchzucker (Laktose). Diese Menschen konnten somit Milch und Milchprodukte über das Säuglingsalter hinweg problemlos verdauen, was ihnen einen evolutionären Vorteil bescherte.

Laktoseintoleranz  

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Bei der Verdauung von Kuhmilch spielt das Enzym Laktase eine entscheidende Rolle. Es spaltet den Milchzucker im Dünndarm. In den ersten Lebensjahren ist die Produktion von Laktase in der Regel gewährleistet.

Doch etwa ab dem dritten Lebensjahr verringert der Körper die Produktion dieses Enzyms oder stellt sie in einigen Fällen ganz ein. In solchen Fällen gelangt der Milchzucker, die Laktose, unverdaut in den Dickdarm, was eine Reihe unangenehmer Symptome wie Blähungen, Magenkrämpfe und Durchfall zur Folge haben kann.

Eine Laktoseintoleranz oder Milchzucker-Unverträglichkeit kann mehr oder weniger ausgeprägt sein.

Diese genetische Eigenschaft wurde an nachfolgende Generationen weitervererbt. Auch in einigen Regionen Afrikas hat sich diese Mutation durchgesetzt. Weltweit ist allerdings der Grossteil (65 Prozent) der Menschheit im Erwachsenenalter laktoseintolerant. 

Gesunde Knochen nur dank Milch?

Das gesunde Image der Milch blieb lange unangetastet. Vor allem als Kalziumlieferant für gesunde Knochen wurde das «weisse Gold» gerühmt.

Den guten Ruf verdankt die Milch nicht zuletzt dem geschickten Marketing der Milchindustrie. Zwar hält mittlerweile selbst Swissmilk auf der eigenen Website fest, dass «Kuhmilch kein Medikament» sei und nicht vor Osteoporose im Alter schütze. Die Vorstellung, dass Milch besonders gut für Knochen ist, hält sich bis heute hartnäckig.

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«Die Werbeaussagen von damals halten keiner Prüfung stand»
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Ernährungswissenschaftler wie David Fäh von der Berner Fachhochschule haben aber klare Einwände gegen die alten Werbeversprechen. Er sagt: «Dazu fehlt es an wissenschaftlich fundierten Grundlagen.» 

Eine ausreichende Kalziumzufuhr ist für die Knochengesundheit wichtig, doch sie darf nicht überbewertet werden. Gesunde Knochen benötigen ebenso eine grundsätzlich ausgewogene Ernährung, regelmässige Bewegung und ein gesundes Körpergewicht.

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Das trägt zu starken Knochen bei
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Kuhmilch ist zwar ein guter Kalziumlieferant, aber auch pflanzliche Quellen wie Nüsse, Samen oder Hülsenfrüchte liefern Kalzium. So haben beispielsweise asiatische Völker, die traditionell keine Kuhmilch konsumieren, teilweise sogar geringere Raten von Osteoporose und Knochenbrüchen als westliche Völker.

Hierzulande, wo der Milchkonsum höher ist, sind die Raten an Osteoporose höher. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Kuhmilch schädlich sein könnte? 

Drei beliebte Milchalternativen unter der Lupe

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Zahlreiche Milchalternativen füllen mittlerweile die Regale der Supermärkte. Beim Kauf und Konsum sollte man darauf achten, ob das Produkt künstliche Zusatzstoffe enthält und wie stark verarbeitet das Produkt ist. Zu den beliebtesten Alternativen gehören:  

  • Sojadrink besteht im Grunde aus Soja und Wasser. In gekauften Produkten kann es allerdings alle möglichen Zusatzstoffe drin haben. Dazu gehören Zucker, Salz, Kaliumphosphat und Kalziumcarbonat, häufig werden auch Vitamine zugesetzt. Sojamilch enthält relativ viele Proteine (8 g pro Glas), das ist vergleichbar mit Kuhmilch. Kuhmilch enthält mehr Kohlenhydrate und Fett und ist damit auch deutlich kalorienreicher als Sojamilch.
  • Hafermilch besteht aus Hafer und Wasser. Es gilt das gleiche wie für Sojamilch, in gekauften Varianten kann es alle möglichen Zusatzstoffe drin haben, ein Blick auf die Etikette lohnt sich. Hafermilch hat relativ viel Zucker drin, hat aber trotzdem weniger Kalorien im Vergleich zur Kuhmilch. Ein Vorteil ist, dass Hafermilch ballaststoffreich ist, das ist gut für die Verdauung.
  • Mandelmilch besteht aus Mandeln und Wasser. Gekaufte Varianten sind oft gesüsst. Wer das nicht will, sollte beim Kauf darauf achten. Ungesüsste Varianten sind kalorienarm und haben wenig Proteine. Will man abnehmen, kann Mandelmilch eine gute Option sein.  

Tipp: Flocken die Milchalternativen im Kaffee? Das kann am Temperaturunterschied oder an den Gerbstoffen im Kaffee liegen. Eine Kaffeesorte mit weniger Säure oder das langsame Erwärmen der Milch helfen.

Mehr zum Thema in der «Puls Check»-Folge «Milch-Mythen debunked» auf PLAY SRF.

Milch ist Gift?

Ein klarer Milchkritiker ist Hausarzt Renato Werndli aus Eichberg. Er geht in seiner Praxis so weit, dass er Patienten vom Milchkonsum abrät, weil zahlreiche wissenschaftlichen Studien, die er zum Thema gesammelt hat, dagegensprächen.

Milchprodukte auf einem Tisch.
Legende: Werden oft kontrovers diskutiert: Milchprodukte. IMAGO / Zoonar

Seine Vorwürfe gegen die Kuhmilch sind happig: Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Akne, Krebs. Als besonders problematisch erachtet Werndli die Wachstumshormone in der Milch. Denn Kuhmilch enthält wie menschliche Muttermilch das Wachstumshormon IGF-1. Dieses spielt eine Rolle im Prozess des Zellwachstums.

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Milchkritiker wie Werndli sagen, dass die Aufnahme von IGF-1 aus Kuhmilch das Wachstum von Krebszellen anregen könnte. Ein Vorwurf, den Felix Beuschlein, Endokrinologe am Universitätsspital Zürich, nicht nachvollziehen kann.

Beuschlein erklärt, dass das IGF-1 aus der Kuhmilch bereits im Magen so zersetzt wird, dass es nicht in den Blutkreislauf gelangen kann. «Und wenn man es sich noch vorstellt, dass ein IGF-1 Molekül in die Blutbahn gelangen könnte, ist das ein Tropfen im Bodensee. Das spielt keine Rolle», ist der Experte überzeugt.

Hausarzt Renato Werndli verweist nachdrücklich auf die Forschung, die seine Zweifel an der Milch nähren. Doch auch die Milchbefürworterinnen argumentieren mit der wissenschaftlichen Datenlage. So betont Barbara Walther von Agroscope, dass die Lebensmittelpyramide auf den neusten wissenschaftlichen Ergebnissen basiere.

Man findet immer eine oder mehrere Studien, die das bestätigen, was man vertreten will. Und die Gegenseite findet mindestens ebenso viele.
Autor: David Fäh Ernährungswissenschaftler

Die Milchdebatte zeigt, dass es bei der Interpretation der Studienlage einen Spielraum gibt. Ernährungswissenschaftler David Fäh sagt: «Man findet immer eine oder mehrere Studien, die das bestätigen, was man vertreten will. Und die Gegenseite findet mindestens ebenso viele.»

Das liege daran, dass man es in der Ernährungsforschung bis jetzt noch nicht geschafft habe, ein Design auf die Beine zu stellen, welches eindeutige Aussagen zulässt. Denn die Evidenz in den Ernährungswissenschaften ist meist nur begrenzt aussagekräftig, da die menschliche Ernährung komplex und individuell ist.

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Streit um Milch offenbart Schwächen der Ernärungswissenschaft
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Viele der Studien basieren auf Beobachtungen und von Probanden selbst ausgefüllten Fragebögen über das eigene Essverhalten. Mehrheitlich wird erst Jahre später ausgewertet, an welchen Krankheiten die Probanden in der Zwischenzeit erkrankt sind. Dieser statistische Zusammenhang sagt noch nichts über die genauen Ursachen der Erkrankung aus. Denn wenn zwei Faktoren miteinander in Zusammenhang stehen, bedeutet das nicht automatisch, dass der eine den anderen verursacht.

Woran kann man sich also halten? Felix Beuschlein gibt einen Rat: «Ob nun für oder gegen die Milch: Es ist stets ein guter Reflex, zu hinterfragen, woher die Informationen kommen. Eine kritische Auseinandersetzung ist wichtig.»

Die widersprüchlichen Ergebnisse der Ernährungswissenschaften machen diese Aufgabe nicht leichter.

«Diskussionen über Ernährung sind fast immer emotional»

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Legende: SRF

Drei Fragen an Prof. Felix Beuschlein, Klinikdirektor an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Universitätsspital Zürich. 

SRF Wissen: Kommen wir gleich zum Punkt: Ist Milch gesund oder nicht? 

Felix Beuschlein: Es gibt Patientinnen und Patienten, für die Milch schlichtweg ungesund ist, weil sie eine Laktoseintoleranz haben oder einfach mit ihrer Lebensqualität hadern, wenn sie Milch trinken. Es gibt andere, für die spielt es keine Rolle. Es gibt Situationen, in denen Milch zu einer ausgewogenen Ernährung dazugehört und andere, wo Milch gesundheitsneutral ist. Kurz gesagt: «Ungesund» oder «gesund» sind relative Begriffe, die für jeden unterschiedlich sind. 

Ist die Diskussion rund um die Gesundheit der Milch gerechtfertigt?  

Diskussionen über Ernährung sind fast immer emotional. Es gibt kaum jemanden, der das ganz neutral betrachtet. Wir sehen uns gewissermassen alle als Experten, weil wir alle täglich essen und damit konfrontiert werden.

Man findet immer eine anekdotische Evidenz, die aber eben keine Evidenz ist. Meine Einstellung als Arzt und Wissenschaftler ist, dass ich es schon genauer wissen möchte. Und da der Evidenzgrad relativ gering ist, ist es schwierig, klare Empfehlungen zu machen. Man sollte auch keine Pauschalaussagen machen. 

Wie sinnvoll ist es überhaupt, ein einzelnes Nahrungsmittel wie Milch unter die Lupe zu nehmen? 

Das ist in aller Regel nicht sinnvoll. Wir Menschen sind Allesfresser und unser Nahrungsangebot ist entsprechend riesengross. Wenn wir klug sind, werden wir auch von allem etwas herauspicken, weil damit die Wahrscheinlichkeit, irgendwelche Mangelzustände zu haben, kleiner wird. Das bedeutet aber umgekehrt auch, dass ein einzelnes Nahrungsmittel für die Gesundheit wahrscheinlich nur einen kleinen Anteil ausmacht. 

Puls, 06.11.2023, 21:05 Uhr

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