Schon Monate vor der Abstimmung über die «No Billag»-Initiative zog ein Sturm auf: «Es entwickelte sich eine aussergewöhnlich intensiv geführte Debatte in den Redaktionen, aber auch über Twitter», sagt Lukas Golder von gfs.bern.
Bei der aufgeheizten Diskussion schimmerten durchaus Sympathien für «No Billag» durch. Das damals wie heute zugkräftigste Argument der Initianten: Die SRG sei zu gross geworden und müsse sparen.
Die Ruhe nach dem Sturm
Allerdings: Nach dem «Herbststurm» regte sich aussergewöhnlicher Widerstand gegen die «Initiative zur Abschaffung der Radio- und TV-Gebühren». Angeführt nicht etwa von Medien und Politik, sondern von der Zivilgesellschaft: Ihre Kritik an «No Billag» erhielt laut gfs.bern deutlich am meisten Resonanz bei den Stimmberechtigten.
Bei Initiativen ist es oft so, dass man sich mehr und mehr über die Schwächen der Vorlage informiert. Wenn dieser Trend einmal eingesetzt hat, ist er schwer zu brechen.»
Mit ihren Warnrufen vor einem Kahlschlag in der Medienlandschaft und einem Aderlass für den medialen Service public drangen Akteure aus Kultur, Gesellschaft und Sport bis weit ins bürgerliche Lager vor.
Zudem habe die SRG dem gefährlichsten Argument der Initianten, nämlich, dass sie zu mächtig geworden sei und sparen müsse, «etwas die Zähne gezogen»: «Die SRG hat in Aussicht gestellt zu sparen», sagt Golder.
Der Politologe führt aus, dass die Grundstimmung gegenüber der Vorlage bereits im Januar mehrheitlich negativ und kritischer geworden sei. «Die Initiative geht recht weit und ist risikobehaftet. Man neigte mehr und mehr der Nein-Seite zu und hörte verstärkt auf ihre Argumente.»
Zudem sei bei es Initiativen oft so, dass man sich mehr und mehr über die Schwächen der Vorlage informiert: «Wenn dieser Trend einmal eingesetzt hat, ist er schwer zu brechen.»
Dieses Phänomen hat offensichtlich auch die «Generation Netflix» erfasst: Sie ist vom hauchdünnen Ja ins Nein gekippt. Golder begründet dies damit, dass sich die junge Generation oft erst spät über Abstimmungsvorlagen informiert: «Die Jungen haben sich dem schweizweit spürbaren Grundtenor für einen starken Service-public-Auftrag der SRG angeschlossen.»
SVP-Wählerschaft zunehmend gespalten
Die Skepsis gegenüber «No Billag» hat auch einen Teil der SVP-Wählerschaft erfasst. Bei ihnen wollen nur noch 56 statt wie im Januar 66 Prozent die Initiative annehmen – obwohl die SVP am 27. Januar die Ja-Parole fasste.
Golder interpretiert das «zunächst überraschende Ergebnis» wie folgt: «In konservativen Kreisen auf dem Land gibt es relevante Kräfte ausserhalb der SVP, die plötzlich für eine Nein-Stimmung sorgen.» Diese Akteure erreichten auch einen Teil der SVP-Anhängerschaft.
Der «Agglomerationsgraben»
Tatsächlich lässt sich für einmal kein Stadt-Land-Graben feststellen. Auf dem Land wollen 65 Prozent der Stimmberechtigten ein Nein in die Urne legen, in den Städten 72 Prozent. Eine solche Konstellation ist laut gfs.bern bei Initiativen ungewöhnlich.
Golders Erklärung: Auf dem Land seien die Menschen in der örtlichen Identität verwurzelt, und um diese zu pflegen, könnten durchaus auch die SRG-Medien genutzt werden. In den Städten wiederum wünschten sich viele Menschen eine vielfältige Medienlandschaft.
Aber: «Genau dazwischen – in den kleinen und mittleren Agglomerationen – hat die Initiative noch recht Schwung», sagt Golder. Dort seien besagte Identitäten womöglich weniger stark ausgeprägt und die Leute könnten sich eher vorstellen, künftig keine Gebühren mehr für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu zahlen. Mehrheitsfähig ist «No Billag» aber auch in den Agglomerationen nicht.
Initianten auf verlorenem Posten?
Dafür, dass es ein «Protestmomentum» Richtung Ja geben könnte, sieht Golder derzeit keine Anzeichen. Denn die einst hitzig geführte Debatte hat sich merklich abgekühlt, «die Luft ist etwas draussen», sagt Golder.
Hat die Initiative damit überhaupt noch Chancen? Ohne «Wendeereignis, ohne irgendeine Sensation» rechnet der Politologe derzeit mit einem klaren Nein im Stimmenverhältnis von mindestens 2:1.